Zusammenfassung
Ich schlage vor, „Race“ als analytische Kategorie zu verwerfen, nicht aber als empirische Bezeichnung, die sich auf die Art und Weise bezieht, in der Akteure und Institutionen Menschen kategorisieren und Positionen auf der Grundlage einer naturalisierten Hierarchie stratifizieren. Rasse ist sowohl historisch als auch logisch eine Unterform von Ethnizität, die von gewöhnlich (Aura) bis rassifiziert (Stigma) reicht. Ich schätze den Beitrag postkolonialer Denker zur Erforschung rassischer Herrschaft, wende mich aber gegen erkenntnistheoretischen Populismus: Die Werkzeuge der Sozialwissenschaft aufzugeben, um das Wissen der Subalternen zu feiern, käme einer einseitigen analytischen Abrüstung gleich.
Abstract
I propose to get rid of “race” as an analytical category but not, evidently, as an empirical denotation referring to the ways in which agents and institutions categorize people and stratify positions based on a naturalized hierarchy. Race is both historically and logically a subtype of ethnicity, which runs from ordinary (aura) to racialized (stigma). I welcome the contribution of postcolonial thinkers to the study of racial domination but argue against epistemological populism: to give up the tools of social science for the celebration of the knowledge of the subaltern amounts to unilateral analytic disarmament.
Résumé
Je propose de nous débarrasser de la « race » en tant que catégorie analytique mais pas, évidemment, en tant que dénotation empirique se référant aux manières dont les agents et les institutions catégorisent les personnes et stratifient les positions sur la base d’une hiérarchie naturalisée. La race est à la fois historiquement et logiquement un sous-type de l’ethnicité, qui court de l’ethnicité ordinaire (aura) l’ethnicité racialisé (stigmate). Je salue la contribution des penseurs postcoloniaux à l’étude de la domination raciale, mais je m’oppose au populisme épistémologique : renoncer aux outils des sciences sociales pour célébrer le savoir des subalternes équivaut à un désarmement analytique unilatéral.
Notes
Im Folgenden werden zwecks besserer Lesbarkeit anstelle der weiblichen und männlichen Berufs- bzw. Akteursbezeichnungen abwechselnd nur die maskulinen oder die femininen Formen verwendet, wobei stets alle Geschlechter mit eingeschlossen sind.
Für eine Diskussion der Varianten der „ursprünglichen Geschichte“ von Race, der religiösen (12. Jahrhundert), der kolonialen (16. Jahrhundert) und der wissenschaftlichen (17. bis 18. Jahrhundert), siehe Wacquant (2023, Kapitel 1).
Für ein anschauliches Beispiel der Hyperrassifizierung, die in den Bedürfnissen und Zwängen eines Militärkonflikts verankert ist, siehe John Dowers (1987) außergewöhnliche Studie zum Pazifikkrieg zwischen Japan und den USA als einem „race war“.
Die Infragestellung der Unveränderlichkeit des Geschlechts steht im Gegensatz zur Bekräftigung der Inhärenz von Race (als Schwarzsein) in der neueren US-amerikanischen Kultur und Politik, wie sie scharfsinnig von Brubaker (2016) analysiert wurde.
Dies habe ich in meinem Aufsatz „Deadly symbiosis: When ghetto and prison meet and mesh“ versucht, indem ich, um die rassifizierte Hyperinhaftierung in der heutigen Zeit zu verstehen, die Sequenz der vier Race herstellenden Institutionen nachverfolgt habe, die über vier Jahrhunderte lang Afroamerikaner definiert und eingeschränkt haben (Wacquant 2001; siehe auch 2023, Kapitel 3).
Versteht der seiner Bildung beraubte, niedergeschlagene und an den engen Horizont der Plantage gefesselte Sklave die innere Logik der Sklaverei als das Gefüge von nataler Entfremdung, radikaler Machtlosigkeit und allgemeiner Stigmatisierung, um Pattersons (2018) Charaktersierung dieser Institution zu verwenden, die auf einer vergleichenden historischen Analyse über fünf Kontinente und zwanzig Jahrhunderte hinweg beruht? Gibt das „unterworfene Wissen“, das von den Insassen eines Konzentrationslagers hervorgebracht wird, ihnen Anhaltspunkte über die Architektur und die Funktionen der nationalsozialistischen Zwangsarbeits‑, Vertreibungs- und Vernichtungspolitik, oder ist der Sozialhistoriker besser in der Lage, sie zu erfassen und aufzudecken (Wachsmann 2015)?
Die fast eine Milliarde Menschen, die auf dem indischen Subkontinent unter der Herrschaft der Kasten leben, würden hier wohl anderer Auffassung sein.
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Der vorliegende Text ist der vierte und vorerst abschließende Beitrag zu einer Debatte über den analytischen Zugriff auf Probleme des Rassismus und den Umgang mit der Kategorie „Race“. Auf Loïc Wacquants Eröffnung („Immer Ärger mit ‚Race‘. Eine Agenda für den Umgang mit einer heiklen Kategorie“, [https://doi.org/10.1007/s11609-023-00494-0]) reagierten zuvor Martina Löw und María do Mar Castro Varela in zwei Kommentaren („Über die Einhegung von Race in Ethnizität. Eine feministische Intervention“, [https://doi.org/10.1007/s11609-023-00495-z]; „Unruhe bewahren. Eine unordentliche Antwort auf Loïc Wacquants Plädoyer für eine Diskurskorrektur“, [https://doi.org/10.1007/s11609-023-00496-y]). In der vorliegenden Entgegnung bezieht Wacquant zu den vorgebrachten Einwänden Stellung. Zu Idee und Konzeption der Debatte, s. das Editorial zu Heft 1/2023 des Berliner Journals für Soziologie.
Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen von Henri Band.
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Wacquant, L. Ein Plädoyer für eine genetische Soziologie ethnorassischer Herrschaft. Eine Antwort auf meine deutschen Kritikerinnen. Berlin J Soziol 33, 57–67 (2023). https://doi.org/10.1007/s11609-023-00497-x
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