Wolfgang Zapf wollte Intendant werden, und er ist es geworden. Dies allerdings nicht von Theatern, wie er es als Schüler und auch noch als Student wollte, als er Dylan Thomas und Jean Anouilh übersetzte und Stücke von Bertolt Brecht und Friedrich Dürrenmatt spielte, sondern bei zahlreichen Anspanner- und Ausrichterfunktionen der Wissenschaft, befasst mit Dichtern und Schauspielern der „scientific community“. Er nahm zahlreiche Ämter in Universitäten, bei der DFG und in der Humboldt-Stiftung wahr, managte lange Zeit den sehr erfolgreichen Sonderforschungsbereich „Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik“, fungierte mehrfach als Vorstandsmitglied, dann auch als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, brachte die Vorgängerin der heutigen Leibniz-Gemeinschaft, die „Arbeitsgemeinschaft Blaue-Liste-Einrichtungen“ mit auf den Weg, leitete das GESIS-Kuratorium, und er war bis 1994 Präsident des Berliner Wissenschaftszentrums (WZB).

In diesen und vielen weiteren Funktionen – Funktionen zum Beispiel in zahllosen Gutachtergremien und Berufungskommissionen – wurde Wolfgang Zapf in Deutschland zu einer der wichtigsten Figuren unserer Profession. Er hat sich dabei ein außerordentliches Maß an Respekt und Sympathie erworben. Wenn man zu bestimmen versucht, wie das zustande kam, dann wird man nicht nur an seine fachliche Autorität denken müssen, sondern auch daran, wie er damit umging. Mir imponierte seine unaufgeregte Entschiedenheit, auch seine Unbestechlichkeit. Im kollegialen Umgang war er von einer spröden Freundlichkeit, die nicht viele Worte brauchte, um einen für ihn einzunehmen. Autorität kann sich leisten, wortkarg zu sein.

Um das WZB, wo wir beide etwa 30 Jahre benachbart waren, hat er sich von Anfang an gekümmert. Schon 1969 hat Wolfgang Zapf, zusammen u. a. mit Richard Löwenthal, Niklas Luhmann und Christian-Peter Lutz, die Planung eines WZB-Instituts betrieben, aus dem dann in den Wirren studentischer und sonstiger Unruhen nichts wurde: ein „Internationales Institut für Friedens- und Konfliktforschung“. In den siebziger Jahren konnte er sich im Beirat des WZB erfolgreicher an dessen weiterem Aufbau beteiligen, bevor er in den Jahren 1983/84 eine Kommission leitete, die die Grundstrukturen des heutigen WZB folgenreich vordachte. 1987 wurde er selber in das Amt des WZB-Präsidenten berufen, sorgte mit der Durchsetzung vorbereiteter Reformen für die institutionelle Sicherung des groß gewordenen Instituts, berief neue Direktoren, pflegte die Internationalität des Hauses und belebte die Kooperation mit den Berliner Universitäten.

In Erinnerung bleibt vom WZB-Präsidenten Zapf, neben allem sonstigen, sein Einsatz für die Minderheiten des Faches. Zur Minderheit gehörten nicht nur die Wissenschaftlerinnen, deren Zahl und Anteil Zapf in seiner Amtszeit kräftig erhöhte. Zur Minderheit im Fach gehörten nach der deutschen Vereinigung auch die heimat- und orientierungslos gewordenen Kollegen und Kolleginnen aus der DDR. Zapf machte das WZB zu einem Zentrum des Austauschs mit den Sozialwissenschaftlern der sogenannten neuen Bundesländer, dann auch zum Arbeitgeber von zwei Forschungsgruppen aus der Akademie der Wissenschaften der DDR, die der Wissenschaftsrat dem Wissenschaftszentrum empfohlen hatte. Der Abrechnungseifer, mit dem sich mancher gelernte Bundesrepublikaner im Osteinsatz aufblähte, war Zapf völlig fremd. Er war in mehrfachem Sinne zu gut, um kleinlich zu sein.

Largesse bildet sich am ehesten bei einem, der weiß, was er kann. Wolfgang Zapf konnte das sehr früh schon wissen. Ralf Dahrendorf und Karl W. Deutsch, übrigens auch Jürgen Habermas, haben ihn schon gewürdigt und gefördert, als die Profession Zapf noch nicht hatte lesen können. 1965, er war 28 Jahre alt, erschienen aber schon drei Bücher, die uns andere aufmerken ließen – vor allem die große Elitestudie über die deutschen Führungsgruppen 1919 bis 1961. Drei Jahre später hatte er in Frankfurt a. M. schon seine erste Professur. Und 1969 erschien auch seine unüberholte Sammlung von Theorien des sozialen Wandels, die uns mit der Präsentation von achtundzwanzig internationalen Texten eine jahrzehntelang verlässliche Einführung in eine interdisziplinär ausgreifende Makrosoziologie über „Stabilitätsbedingungen, Wandlungspotentiale und Entwicklungsrichtungen von Gesellschaften“ bot – ein viel gekauftes Musterstück soziologischer Literatur, das völlig undogmatisch analytische Maßstäbe für die erfahrungswissenschaftliche Begründung unseres Faches lieferte. Zapf selber hat anhand dieser Maßstäbe seine komplexe, ständig weiterentwickelte Theorie der Modernisierung ausgearbeitet.

Das große überfachliche Verdienst von Wolfgang Zapf sehe ich darin, dass er mit den fachlichen Mitteln seiner Indikatorenforschung eine Aufklärung beförderte, die sich, vermittelt zum Beispiel über den „Wohlfahrtssurvey“, die mit dem Statistischen Bundesamt erstellten „Datenreports“ und nicht zuletzt über das „Sozio-ökonomische Panel“, bis in die Lehrbücher der Schulen verbreiten ließ. Dass jeder Sozialkundelehrer und – wichtiger noch – jeder Schüler von unserer Gesellschaft mehr wissen und begreifen kann als frühere Generationen, das verdankt sich in Deutschland nicht zuletzt den Zapf’schen Forschungsprogrammen zur systematischen und kontinuierlichen Sozialberichterstattung und zur vergleichenden Wohlfahrts- und Lebensqualitätsforschung. Mit diesen erlangte er auch eine hohe internationale Reputation.

Zapf stand gegen alle akademischen Wolkenschiebereien. Er hielt sich auf das verpflichtet, was er auch in der WZB-Forschung zu fördern verstand: eine mittlere Abstraktionsebene der Theoriebildung, die durch Jahreszahlen und Ortsangaben, d. h. durch den Bezug auf konkrete Gesellschaften und Institutionen charakterisiert ist. Genau dies macht Soziologie verbindlich und anwendbar. Spekulieren kann jeder. In der Wissenschaft geht es um Vergewisserungen.

Am 26. April ist Wolfgang Zapf in Berlin gestorben.