Zusammenfassung
Hintergrund
Menschen mit Behinderungen (MmB), die in institutionellen Settings der Behindertenhilfe arbeiten und leben, wurden bislang in repräsentativen Gesundheitssurveys in Deutschland nicht berücksichtigt. Daher fehlt Evidenz zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität (LQ) dieser Bevölkerungsgruppe.
Fragestellung
Die körperliche und psychische LQ von Menschen mit Behinderung wird erfasst.
Material und Methode
Die standardisierte Erhebung mit 333 Beschäftigten fand in sechs Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) eines Trägers der Freien Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen statt. Die gesundheitsbezogene LQ wurde mit dem SF12 erfasst. Daneben wurden zusätzlich soziodemografische, sozioökonomische und behinderungsspezifische Merkmale der Beschäftigten erhoben. Die psychische und körperliche LQ wurde mittels uni- und bivariater Analysen unter Berücksichtigung des Pearson-χ2-Tests ausgewertet.
Ergebnisse
Rund 47 % der Befragten berichteten eine niedrige körperliche und 65 % eine niedrige psychische LQ. Beschäftigte mit einer psychischen und chronischen Erkrankung, die sich häufig einsam fühlten, häufig finanzielle Einschränkung und einen niedrigen subjektiven Sozialstatus (SSS) berichteten, wiesen die höchste Prävalenz niedriger LQ auf. Beschäftige mit mindestens Hauptschulabschluss hatten eine höhere Prävalenz niedriger psychischer LQ als jene, die keinen oder lediglich einen Förderschulabschluss besaßen.
Schlussfolgerungen
Die Studie verdeutlicht, dass MmB zu einer deutlich mehrfach belasteten Bevölkerungsgruppe zählen, die bislang nicht Bestandteil repräsentativer Surveys und sozialepidemiologischer Studien in Deutschland sind. Maßnahmen der Gesundheitsförderung sollten für und mit Beschäftigten durchgeführt werden, um die Zielgruppe partizipativ in diesen Prozess einzubinden.
Abstract
Background
People with disabilities, who live and work in institutional settings for people with disabilities, have not been sampled in representative health surveys in Germany. Thus, there is little evidence on health-related quality of life (HRQoL) of people with disabilities.
Objectives
The physical and psychological HRQoL among people with disabilities were assessed.
Materials and methods
The standardized survey included 333 people with disabilities working in six sheltered workshops for people with disabilities in Northrhine-Westphalia. HRQoL was measured by SF12. Sociodemographic, socioeconomic and disability-related factors were also surveyed. Physical and psychological HRQoL was analysed by uni- and bivariate analyses using Pearson χ2-significance test.
Results
In all, 47% of participants reported low physical and 65% low psychological HRQoL. Prevalence was highest for people with psychological and chronic diseases, who felt lonely, could not afford something, and reported a low subjective social status (SSS). To highlight, participants who have at least a certificate from low track schools (Hauptschule) had the highest prevalence in psychological HRQoL compared to people with disabilities who report no school leaving certificate or only a certificate from schools for pupils with special educational needs (Förderschule).
Conclusions
According to the results, HRQoL differs by disability-related factors and people with disabilities are a highly vulnerable population group that has not been sampled in representative surveys and in social-epidemiological studies. Health promotion initiatives should be targeted for people working in sheltered workshops for people with disabilities by using participative methods.
Notes
Eine Beeinträchtigung („impairment“) liegt nach dem „sozialen Modell von Behinderung“ vor, wenn auf individueller Ebene eine Einschränkung der Körperfunktionen und -strukturen zu einer Beeinträchtigung führen. Liegt neben der körperlichen Beeinträchtigung auch eine soziale Benachteiligung in Form von einer Beeinträchtigung in der Wahrnehmung von Aktivitäten oder Teilhabemöglichkeiten vor (soziale Ebene), nutzt das soziale Modell den Begriff der Behinderung [7, 8, 28].
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Interessenkonflikt
K. Rathmann, C. Nellen, J. Brambrink und C. Krause geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethik-Kommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor.
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Rathmann, K., Nellen, C., Brambrink, J. et al. Gesundheitsbezogene Lebensqualität von Beschäftigten in Werkstätten für Menschen mit Behinderung: soziale und behinderungsspezifische Unterschiede. Präv Gesundheitsf 14, 248–255 (2019). https://doi.org/10.1007/s11553-018-0696-4
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