Einleitung

In Deutschland werden Menschen mit Diabetes mellitus in den letzten Jahren zunehmend im ambulanten Sektor betreut. Das akute Nierenversagen (ANV) ist eine ernsthafte Erkrankung, die im ambulanten Bereich scheinbar selten vorkommt. Genaue Zahlen liegen für Deutschland nicht vor. Es gibt jedoch Schätzungen, dass etwa 4 % der Menschen, die sich in stationäre Behandlung begeben, ein akutes Nierenversagen gleich welchen Ausmaßes haben, und etwa jeder 5. intensivmedizinische Betreute ist von einer akuten Nierenschädigung betroffen.

Es gibt eine Reihe klinischer Situationen, in denen ein Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und akutem Nierenversagen möglich ist. Da die Symptomatik unspezifisch sein kann, ist es im ärztlichen Alltag wichtig, an ein akutes Nierenversagen zu denken.

Definition des akuten Nierenversagens

Während es früher eine Reihe unterschiedlicher Terminologien für das akute Nierenversagen gab, einigte man sich im internationalen Sprachgebrauch auf die Abkürzung AKI („acute kidney injury“), was im Deutschen etwa dem Begriff einer akuten Nierenschädigung entsprechen dürfte. Der Begriff des akuten Nierenversagens ist in Deutschland ebenfalls üblich und wird daher im Folgenden synonym zum Begriff der akuten Nierenschädigung verwendet.

Das akute Nierenversagen ist durch eine in einem Zeitraum von etwa 48–72 h neu auftretende Verschlechterung der Nierenfunktion charakterisiert. Die diagnostischen Kriterien wurden von der KDIGO (Kidney Disease Improving Global Outcomes) im Jahr 2012 entwickelt [7], einer weltweit agierenden, unabhängigen, nichtkommerziellen Organisation zur Entwicklung und Implementierung evidenzbasierter klinisch-praktischer Leitlinien für Nierenerkrankungen. In der im Jahr 2013 publizierten deutschen Übersetzung [2] sind die diagnostischen Kriterien wie in Tab. 1 aufgeführt dargestellt.

Tab. 1 Schweregrade des akuten Nierenversagens. (Adaptiert nach [2])

Für die entsprechende Graduierung der Schwere des akuten Nierenversagens sind demnach sowohl das Serumkreatinin als auch die Urinausscheidung als Parameter wichtig. Insofern erscheint es sinnvoll, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass nur der Vergleich mit einem zuvor erhobenen Kreatininwert eine korrekte diagnostische Einschätzung erlaubt. Gleichzeitig ist es sicherlich sinnvoll, zwischen akuter Nierenschädigung im engeren Sinne, einer akuten sowie einer chronischen Nierenerkrankung zu unterscheiden (Tab. 2; [7]).

Tab. 2 Definitionen des akuten Nierenversagens, der akuten und der chronischen Nierenerkrankung. (Adaptiert nach [7])

Ursachen des akuten Nierenversagens/Nierenschädigung und erste Diagnostik

Die Ursachen für eine akute Nierenschädigung sind mannigfaltig, und es ist üblich, zwischen prä-, intra- und postrenalen Ursachen zu unterscheiden. Bei der Diagnostik erlaubt ein zielgerichtetes Vorgehen eine erste Orientierung. Neben der Bestimmung des Kreatinins, einem Blutbild und evtl. weiteren serologischen Untersuchungen ist die Urinuntersuchung inklusive eines qualifizierten Urinsediments absolut notwendig [7]. Die Wertigkeit des Urinsediments erfordert ein zielgerichtetes Vorgehen bei der Analytik eines frisch gewonnenen Urins, dessen Sediment vorzugsweise im Phasenkontrast mikroskopisch analysiert wird. Mögliche diagnostisch relevante Befunde finden sich in Tab. 3.

Tab. 3 Befunde im Urinsediment bei akutem Nierenversagen

Eine erste, auch klinische Orientierung über den Volumenstatus des Erkrankten sowie eine Ultraschalluntersuchung der Nieren sind ebenfalls Bestandteil der ersten diagnostischen Maßnahmen [7]. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass frühzeitig eine Kooperation mit nephrologischen Fachkolleg:innen nicht nur sinnvoll ist, sondern meist auch geboten erscheint.

Die wahrscheinlich häufigste Form der akuten Nierenschädigung ist das sog. prärenale Nierenversagen, meist hervorgerufen durch Volumenmangel. Dieser kann bedingt sein durch eine Exsikkose, einen Blutverlust, eine Dehydrierung aus anderen Ursachen, beispielsweise auch einer Hyperglykämie. Ein erniedrigter Perfusionsdruck, z. B. infolge akuter und/oder chronischer Stenosen im Bereich der zuführenden Gefäße, aber auch Kreislaufversagen durch Schock, Sepsis, Leber- und/oder andere Nierenerkrankungen sind kausal möglich. Auch intraoperative Blutdruckabfälle können zur akuten Nierenschädigung führen. Daneben gibt es noch zahlreiche weitere Krankheiten, welche kausal an einem akuten Nierenschaden beteiligt sein können.

Die wahrscheinlich häufigste Form der akuten Nierenschädigung ist das sog. prärenale Nierenversagen

Eher seltener sind die sog. intrarenalen Ursachen des akuten Nierenversagens. Hierunter fallen akute Glomerulonephritiden, das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), aber auch sekundäre Schäden des Tubulussystems z. B. durch Hämolyse, Rhabdomyolyse, Ablagerungen von Proteinen bei multiplem Myelom und ähnlichen Erkrankungen. Akute tubulointerstitielle Nephritiden, Vaskulitiden sowie akute Tubulusnekrosen zählen ebenfalls zu den intrarenalen Ursachen für eine akute Nierenschädigung, wobei auch diese Aufzählung nicht vollständig ist.

Die dritte Gruppe möglicher Ursachen wird unter dem Oberbegriff postrenales akutes Nierenversagen zusammengefasst. Der akute Verschluss der ableitenden Harnwege, sei es durch Steine, Tumoren, aber auch durch eine Prostatahyperplasie, wird darunter subsummiert, ebenso lang dauernde Refluxerkrankungen sowie angeborene Fehlbildungen. Zweifelsohne liegt in der Mehrzahl der beispielhaft erwähnten Ursachen des postrenalen Nierenversagens bereits ein chronischer Nierenschaden vor.

Risiken für eine akute Nierenschädigung

Das Risiko für ein akutes Nierenversagen oder eine akute Nierenschädigung ist bei Menschen mit Diabetes mellitus grundsätzlich erhöht, insbesondere wenn die eGFR (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate [„estimated glomerular filtration rate“]) bereits erniedrigt und/oder das UACR (Albumin-Kreatinin-Verhältnis im Urin [„urine albumin-creatinine ratio“]) erhöht ist [10]. Gerade bei Menschen mit dieser Stoffwechselerkrankung ist ihr Diabetes ein unabhängiger Risikofaktor für einen akuten Nierenschaden, insbesondere bei bereits vorhandener eingeschränkter Nierenfunktion [13].

Für im Krankenhaus auftretende akute Nierenschädigungen sind in Abb. 1 [9] entsprechende Risikofaktoren zusammengefasst, ohne diese kausal zu gewichten. Ein stattgehabtes akutes Nierenversagen bei Menschen mit Diabetes mellitus ist zudem ein Prädiktor für die Verschlechterung einer bereits vorhandenen chronischen Nierenerkrankung, ebenso für das Neuauftreten einer solchen sowie das terminale Nierenversagen [18].

Abb. 1
figure 1

Mögliche Prädiktoren des akuten Nierenversagens, ACE Angiotensinkonversionsenzym. (Adaptiert nach [9])

Bei Menschen mit Diabetes mellitus und Vorliegen einer Sepsis ist das Risiko für eine akute Nierenschädigung im Vergleich zu Personen ohne Diabetes erhöht [13, 21]. Auch bei Menschen mit Diabetes mellitus, die wegen einer Infektion mit SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) stationär behandelt werden, besteht ein größeres Risiko für ein akutes Nierenversagen im Vergleich zu nicht an dieser Glukosestoffwechselstörung Leidenden [4, 8]. Dabei ist das Auftreten eines akuten Nierenversagens bei Menschen mit Diabetes mellitus, die wegen einer Infektion mit SARS-CoV‑2 stationär behandelt werden, mit einer 13fach erhöhten Sterblichkeit assoziiert [8].

Besonders hervorgehoben werden sollen an dieser Stelle, auch wenn sie bereits oben erwähnt wurden, einige potenziell auch iatrogene Ursachen für ein akutes Nierenversagen. So sollte die Gabe von i.v. Kontrastmitteln zu diagnostischen und/oder therapeutischen Zwecken einer strengen Indikationsstellung unterzogen werden. Für Menschen mit Diabetes werden insbesondere isomolare Kontrastmittel empfohlen [23]. Eine gezielte Strategie zur Prophylaxe der akuten Nierenschädigung im Rahmen von Koronarinterventionen wie Angiographien und kathetergestützten Eingriffen ist nicht bekannt [5]. Die vorherige Gabe hochdosierter Statine zur Prophylaxe eines akuten Nierenversagens kann den Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Diabetes zwar verringern, das Risiko per se kann dadurch aber nicht vollständig aufgehoben werden [20].

Es gibt vielfältige iatrogene Ursachen für ein akutes Nierenversagen

Die gleichzeitige Gabe von Renin-Angiotensin-Aldosteron-System-Blockern und Indometacin sowie dessen pharmakologisch Verwandten kann ebenfalls zum akuten Nierenversagen führen, insbesondere bei vorhandener Nierenschädigung [9]. Auch die Kombination von ACE-Hemmern (ACE: Angiotensinkonversionsenzym) und/oder Angiotensinrezeptorblockern mit Mineralokortikoidrezeptorblockern (z. B. Spironolakton) kann ein akutes Nierenversagen zur Folge haben, akzentuiert wird das Risiko durch Diuretika. Die Gabe von SGLT-2-Inhibitoren (SGLT-2: „sodium glucose linked transporter 2“) hingegen senkt das Risiko für einen akutes Nierenversagen bei Menschen mit und ohne Diabetes [1, 22, 25], auch im Vergleich mit DPP-4-Hemmern (DPP: Dipeptidylpeptidase) und GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1: „glucagon-like peptide 1“; [24]). Insbesondere vulnerable Personen mit Typ-2-Diabetes profitieren stärker von der Gabe von SGLT-2-Inhibitoren zur Prophylaxe des akuten Nierenversagens [6].

Auch operative Eingriffe bei Menschen mit Diabetes mellitus wirken sich auf das Risiko eines akuten Nierenversagens aus. Der präoperative HbA1c-Wert hat (HbA1c: glykiertes Hämoglobin) bei den meisten operativen Eingriffen keinen Einfluss auf die postoperative Morbidität und Mortalität [17]. Bei Hüftoperationen ist das Risiko für eine akute Nierenschädigung bei Menschen mit im Vergleich zu solchen ohne Diabetes mellitus erhöht [26]. Auch bei einer TAVI (Transkatheter-Aortenklappenimplantation [„trans-katheter aortic valve implantation“]) ist das Risiko, eine akute Nierenschädigung zu erleiden, für Menschen mit Diabetes mellitus deutlich größer. In dieser Gruppe von Betroffenen ist der Diabetes zudem ein negativer Prädiktor für die Überlebensrate im 1. und nach 3 Jahren [12, 15]. Bei geplanten Herzoperationen ist ein HbA1c-Wert unter 7 % bei Menschen mit Diabetes mit einer erniedrigten Inzidenz einer akuten Nierenschädigung assoziiert [3]. Nierentransplantierte mit Diabetes mellitus Typ 2 haben bei geplanten operativen Eingriffen insgesamt ein erhöhtes Risiko, insbesondere auch für ein akutes Nierenversagen [16].

Therapeutische Maßnahmen

Bereits weiter oben erfolgte der Hinweis auf die erforderliche Zusammenarbeit mit nephrologischen Fachärzt:innen. Dies ist nicht nur im Rahmen der Diagnostik sinnvoll, sondern insbesondere bei den therapeutischen Maßnahmen des akuten Nierenversagens. Die bereits dargestellten Risikogruppen sollten entsprechend der in Abb. 2 dargestellten Behandlungsempfehlungen versorgt werden.

Abb. 2
figure 2

Schweregradabhängige Behandlung des akuten Nierenversagens (ANV). (Nach [2])

Nephrotoxische Substanzen sind in der Diabetestherapie nicht üblich. Metformin ist per se nicht nephrotoxisch, kumuliert aber bei eingeschränkter Nierenfunktion, sodass bei entsprechende Risikopersonen ein prophylaktisches Pausieren der Einnahme anzuraten ist. Die heute zunehmend weniger verwendeten Sulfonylharnstoffe neigen ebenfalls bei eingeschränkter Nierenfunktion zur Akkumulation, mit einem deutlich erhöhten Risiko für auch länger andauernde Unterzuckerungen. Der Neubeginn einer Therapie mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten kann im Einzelfall durch gastrointestinale Nebenwirkungen die Flüssigkeitszufuhr kompromittieren. Zudem gibt es einzelne Berichte über akute Nierenschädigungen unter GLP-1-Rezeptor-Agonisten [11, 19].

Die Sicherstellung eines ausreichenden Volumenstatus und Perfusionsdrucks kann durch entsprechende klinische Maßnahmen erfolgen, bedarf aber im Einzelfall der interdisziplinären Kooperation und intensivmedizinischer Maßnahmen. Das Gleiche gilt für das hämodynamische Monitoring, auch hier gibt es keine spezifischen diabetologischen Maßnahmen.

Serumkreatininwert und Urinausscheidung sollten frühzeitig und konsequent überwacht werden

Die Überwachung sowohl des Serumkreatininwerts als auch der Urinausscheidung sollte hingegen, insbesondere bei den weiter oben beschriebenen Risikopopulationen mit Diabetes mellitus, frühzeitig und konsequent umgesetzt werden. Hier sind nicht nur die diabetologisch tätigen Ärzt:innen, sondern alle betreuenden Fachdisziplinen unbedingt gefordert.

Die Vermeidung von Hyperglykämien hingegen kann in die Kompetenz diabetologisch tätiger Ärzt:innen fallen. Bei der akuten Nierenschädigung wird empfohlen, mit einer Insulintherapie dem Blutzuckerspiegel in einem Bereich zwischen 110 und 149 mg/dl (6,1–8,3 mmol/l) zu halten [7]. Dies wird in der Regel nur unter stationären Bedingungen zu realisieren sein. Mit oral verabreichten Antidiabetika ist es wahrscheinlich nicht möglich, das zuvor dargestellte Therapieziel zuverlässig zu erreichen und einzuhalten. Auch gibt es für die akute Nierenschädigung diesbezüglich keine Empfehlungen.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in der Cochrane-Database zwischen den einzelnen Diabetestherapeutika hinsichtlich Effektivität und Sicherheit keine Evidenz für die Bevorzugung einer bestimmten Substanzklasse für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 und chronischer Nierenerkrankungen erarbeitet werden konnte [14]. Möglicherweise werden hier in Zukunft Daten zum Einsatz von SGLT-2-Inhibitoren zu einer Neubewertung führen.

Insofern bleiben das frühzeitige Erkennen und die konsequente Abklärung und Behandlung des akuten Nierenversagens oder der akuten Nierenschädigung eine interdisziplinäre Aufgabe, bei der Diabetolog:innen oder in diesem Fachgebiet Tätige ebenfalls gefordert sind.

Fazit für die Praxis

  • Die Symptomatik des akuten Nierenversagens (ANV) ist meist unspezifisch: Daran denken ist wichtig.

  • Menschen mit einem erhöhten Risiko für ein ANV und diagnostische sowie therapeutische Maßnahmen, die das Risiko für ein solches erhöhen, müssen erkannt werden.

  • Das Vorhandensein eines Diabetes mellitus ist generell eher risikoerhöhend.

  • Eine frühzeitige und konsequente interdisziplinäre Kooperation, insbesondere mit der Nephrologie, ist wichtig.

  • Therapeutische Maßnahmen sollen ebenfalls interdisziplinär koordiniert werden.