Dass ein am Schmerzmechanismus orientierter Ansatz zwar hilfreich sein kann, aber nicht in jedem Fall ans therapeutische Ziel führt, hat bereits die Untergliederung in die Gruppen nozizeptiv, neuropathisch und eben auch ‚mixed pain‘ gezeigt, wie Prof. Hans-Raimund Casser, Mainz, während eines Symposiums beim Deutschen Schmerzkongress verdeutlichte. Beim Rückenschmerz aufgrund eines Bandscheibenvorfalls mache die nozizeptive Kompontente etwa ein Viertel aus. Das erkläre sich daraus, dass zunächst die Bandscheibe auf den Nerv treffe. Dies führe zu einer rein mechanischen Beeinträchtigung. Wenn sich eine Läsion entwickle, käme eine neuropathische Komponente hinzu, die schließlich noch um eine chemische ergänzt werde, die mit der Ausschüttung von Interleukinen (1 und 6), Tumornekrosefaktor alpha, Phospholipiden und Prostaglandinen einhergehe. Diese könne auch als entzündliche Komponente bezeichnet werden, die beispielsweise auf eine lokale subpedikuläre Kortisoninjektion gut anspreche. Evidenz gebe es allerdings eher für die Kurzzeit- als die Langzeitwirkung, so Casser.

Oftmals sei das Bild sogar noch komplexer, wie der Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie ausführte. Denn im Rahmen der Degeneration der Bandscheibe komme es zur Einsprossung von nozizeptiven Nervenfasern und damit zu einem lokalen nozizeptiven Rückenschmerz, einem lokalen nozizeptiven Muskelschmerz und einem lokalen neuropathischen Rückenschmerz. Läuft dieses ganze Spektrum von Mechanismen ab, ist der Rückenschmerz meist hartnäckig und sollte mit zentral wirksamen Medikamenten behandelt werden.

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Die Genese von Rückenschmerzen ist häufig multifaktoriell.

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Pragmatische Annäherung

Wie also soll die Annäherung an das Symptom Rückenschmerz beim individuellen Patienten mit Kreuzscherz und/oder Beinbeschwerden mit Funktionseinschränkung erfolgen? Dazu verwies Casser auf die Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz. Sie verfolge drei Ziele:

  1. 1.

    Die Früherkennung bedrohlicher Ursachen („red flags“) und psychosozialer Problematiken („yellow flags“) durch frühzeitiges anamnestisches und klinisches Screening.

  2. 2.

    Die Vermeidung überflüssiger und obsoleter Therapiemaßnahmen sowie bildgebender Diagnostik (MRT, Röntgen).

  3. 3.

    Eine Kostenverlagerung im Gesundheitswesen.

Zunehmende Bedeutung der Primärversorgung

Bei diesem Ansatz kommt laut Casser der Primärversorgung zunehmende Bedeutung zu, da hier die Unterscheidung in spezifischen/klassifizierten und nicht spezifischen/nicht klassifizierten Kreuzschmerz gemacht werde. Ersterer mache etwa 15% der chronischen Rückenschmerzen aus und sei durch den diagnostischen Nachweis der Kompression neuraler Strukturen, Entzündung der Gelenke und Synchondrosen sowie Instabilität eines oder mehrerer Bewegungssegmente charakterisiert. Letzterer weise keinen sicheren kausalen Zusammenhang zwischen Beschwerden, klinischem Befund und bildgebender Diagnostik auf und solle zu einer Verlaufskontrolle medizinischer und psychosozialer Befunde mit gleichzeitiger Zurückhaltung bei diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen führen, riet Casser. Denn hier handelt es sich meist um Funktionsstörungen im muskuloskelettalen System. Diese sind manualdiagnostisch und -therapeutisch erfassbar und mit Mobilisation behandelbar. Allerdings kann auch hier die persistierende Nozizeption aus Gelenken, Bändern, Disci oder Muskeln zu einer peripheren oder zentralen Sensibilisierung führen, die sich als zunehmende spontane und generalisiert auftretende Hyperalgesie oder Allodynie zeigt.

All dies verweist laut Casser auf die Bedeutung einer frühzeitigen Zusammenarbeit mit interdisziplinärem Assessment und multimodalem Therapieansatz.