FormalPara Originalpublikation

Herrero Y, Pascuali N, Velázquez C, Oubiña G, Hauk V, de Zúñiga I, Peña MG, Martínez G, Lavolpe M, Veiga F, Neuspiller F, Abramovich D, Scotti L, Parborell F (2022) SARS-CoV‑2 infection negatively affects ovarian function in ART patients. Biochim Biophys Acta Mol Basis Dis. 2022 Jan 1;1868(1):166295. https://doi.org/10.1016/j.bbadis.2021.166295.

FormalPara Hintergrund.

Die Pandemie und die Bedrohung der Gesundheit durch Infektionen mit SARS-CoV‑2 begleiten uns nun im Alltag der Reproduktionsmedizin seit 2 Jahren. Die aktuellen Infektionszahlen in Deutschland, vor allem in den östlichen und südlichen Bundesländern, sind gerade bei jungen Menschen hoch; die höchsten 7‑Tages-Inzidenzen für Erwachsene zeigen sich in den Altersgruppen der 30- bis 45-Jährigen (Abb. 1) (RKIFootnote 1). Vollständig geimpft waren Mitte Dezember 2021 60–76 % der erwachsenen Bevölkerung in Abhängigkeit vom BundeslandFootnote 2.

Abb. 1
figure 1

7‑Tages-Inzidenzen für SARS-CoV-2-Nachweis in Deutschland in Altersgruppen, Zahlen für die Woche vom 06.12.2021 bis 12.12.2021 (RKI)1

Für die reproduktionsmedizinischen Zentren bedeuten die hohen Infektionszahlen und die Beschäftigung mit den möglichen Auswirkungen von Infektionen und den Maßnahmen zur Prävention, vor allem der Impfung, einen ständigen Austausch mit den Patient:innen. Auch wenn sich bislang die Patient:innen vor künstlicher Befruchtung scheinbar eher mit den möglichen negativen Auswirkungen einer Impfung beschäftigten, müssen grundsätzlich in Forschung und Beratung die Folgen einer Infektion für die weitere Beratung und Behandlung von infertilen Paaren berücksichtigt werden.

Nach einer israelischen Studie ist bereits bekannt, dass Antikörper nach Infektion mit SARS-CoV‑2 und nach Impfung im Follikelpunktat nachweisbar sind [1]. In dieser kleinen Studie mit je 9 Frauen nach COVID-19-Erkrankung und nach Impfung im Vergleich zu 14 Kontrollen ohne Infektion zeigen sich keine Unterschiede in den Gruppen bzgl. Outcomeparametern der IVF-Behandlung, gemessen an der endokrinen Reaktion auf die hormonelle Stimulationsbehandlung, Anzahl der Oozyten und Markern für die Eizellqualität (HSPG2/Pearlecan).

Aktuell wurde eine Studie über die möglichen Auswirkungen eines asymptomatischen SARS-CoV-2-Nachweises oder einer leichten COVID-19-Infektion auf IVF/ICSI-Behandlungen im Vergleich zu nicht infizierten Frauen veröffentlicht.

FormalPara Zusammenfassung des Artikels.

In dieser prospektiven multizentrischen Studie wurden 80 Frauen untersucht, die zwischen 11/2020 und 4/2021 in IVF-Zentren in Argentinien behandelt wurden. Nur Frauen ohne gynäkologische Erkrankungen und mit normaler ovarieller Funktionsreserve wurden in die Studie eingeschlossen. 46 Frauen wurden durchschnittlich 4,5 (2–9) Monate nach bestätigtem SARS-CoV-2-Nachweis mit IVF oder ICSI in üblicher Weise behandelt. Die Infektion wurde durch positiven Antikörpernachweis im Blut und im Follikelpunktat bestätigt. Patientinnen mit und ohne Nachweis einer Infektion unterschieden sich nicht signifikant in Bezug auf Alter (33,09 vs. 33,43 Jahre) sowie Serumspiegel von Östradiol, Progesteron, Prolaktin und AMH. Bei Nachweis von höheren Antikörperspiegeln als Marker für eine stärkere Entzündungsreaktion war die Anzahl der gewonnenen und reifen Eizellen signifikant niedriger als in der Vergleichsgruppe mit niedrigem oder fehlendem Nachweis von Antikörpern (7,0 vs. 11,1 in der Kontrollgruppe). IL-1β und VEGF-Konzentrationen, nicht aber IL-10, waren signifikant geringer im Follikelpunktat der Frauen nach Infektion als bei Frauen ohne SARS-CoV-2-Infektion nachweisbar. Auch die Proteinexpression in Granulosazellen nach Inkubation mit Follikelflüssigkeit von Frauen nach Infektion unterschied sich signifikant in Bezug auf „steroidogenic acute regulatory protein“ (StAR), Östrogenrezeptor‑β (ER-β), „vascular endothelial growth factor“ (VEGF) und einen Marker für Zellschädigung auf DNA-Ebene (γH2AX). Im nächsten Schritt verglichen die Autoren das Migrationsverhalten der Endothelzellen aus Zellkulturlinien nach Stimulation mit Follikelflüssigkeit der Studienpatientinnen. Auch hier zeigten sich signifikante Unterschiede der Zellen nach Stimulation mit Follikelflüssigkeit nach SARS-CoV-2-Nachweis im Vergleich zu Zellen von Frauen ohne nachgewiesene Infektion in der Anamnese. Kontrollen der Zellmarker für Migrationsverhalten ergaben jedoch keine Gruppenunterschiede. In der Untergruppenanalyse in Abhängigkeit von der Höhe des Antikörpernachweises fand sich ein verstärkter Effekt bei hohen Antikörperspiegeln im Follikelpunktat. Die Autoren mutmaßen, dass Veränderungen im Follikelpunktat und erhöhte IgG-Antikörper nach SARS-CoV-2-Infektion, vergleichbar mit Antikörperspiegeln bei durchgemachten Chlamydieninfektionen, durch veränderte Regulation der Eizellreifung längerfristig die Fertilität negativ beeinflussen könnten.

Kommentar und Fazit

In der Flut von schnell publizierten Studien zur Auswirkung der COVID-19-Pandemie auf die Fertilität stellen die Ergebnisse dieser Studie ein weiteres Puzzleteil dar. Experimentelle und klinische Studien wie diese ergänzen bisherige Daten von nationalen Registerstudien, z. B. des Deutschen IVF-Registers, die keinen eindeutigen Einfluss auf Schwangerschaftsraten für das Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr zeigen [2]. Die hier diskutierte Studie mit klinischen Daten in kleiner Fallzahl in Kombination mit Experimenten an Zellkulturlinien weist darauf hin, dass auch nach asymptomatischer Infektion oder nur geringen Symptomen dennoch die Fertilität durch eine prolongierte Immunantwort negativ beeinflusst werden kann. Mögliche Veränderungen der Vaskularisation des Ovars oder der Follikelflüssigkeit und Auswirkungen auf die Eizellreifung werden in dieser Studie untersucht und diskutiert. Hohe Antikörperspiegel im Blut und im Follikelpunktat nach durchgemachter Infektion könnten Marker für ein schlechteres Ansprechen auf eine kontrollierte hormonelle Stimulation sein. Aufgrund des Studiendesigns und der Kombination aus klinischen Daten und Untersuchungen an Zelllinien ist die Aussage dieser kleinen Studie jedoch sehr begrenzt.

Grundsätzlich bleibt für die klinische Tätigkeit im Gesamtbild der aktuellen Studienlage zur Fertilität und reproduktionsmedizinischen Behandlungen während der Pandemie noch vieles offen. Wie verhalten sich Antikörperspiegel nach Infektion im Verlauf? Wann sollte nach asymptomatischer Infektion mit SARS-CoV‑2 oder bei leichten Symptomen eine Kinderwunschbehandlung begonnen werden? Gibt es Risikogruppen, die nach Infektion besonders negative Auswirkungen auf die ART-Behandlung aufweisen, z. B. in Bezug auf Alter, Vorerkrankungen oder ovarielle Funktionsreserve? Wie reagieren Frauen nach schwerem und/oder prolongiertem Verlauf der COVID-19-Infektion auf eine kontrollierte ovarielle Stimulation?