Zusammenfassung
Frakturen des distalen Radius sind im Wachstumsalter die häufigsten Bruchverletzungen der langen Röhrenknochen. Unfallursache sind oft Sport und Spiel. Einen eigentlichen Altersgipfel gibt es nicht. Es handelt sich fast ausschließlich um metaphysäre Verletzungen (einschließlich der Wachstumsfugenlösungen), Gelenk beteiligende, epiphysäre Frakturen sind die Ausnahme. Alle typischen Frakturformen des Wachstumsalters kommen vor. Das Potenzial wachstumsassoziierter Spontankorrekturen ist hoch und hält sogar noch nach dem 10. Lebensjahr an. Das Behandlungsspektrum reicht von der rein konservativen Behandlung über die Redression (Gipskeilung) und Reposition bis zur perkutanen Kirschner-Draht-Spickung. Eine offene Reposition metaphysärer Frakturen ist nur selten notwendig. Probleme kann die Stabilisierung weiter proximal gelegener Frakturen am metadiaphysären Übergang bereiten. Hemmende Wachstumsstörungen als Folge eines vorzeitigen Verschlusses der Wachstumsfuge mit nachhaltigen Folgen sind sehr selten, bedürfen dann aber eines differenzierten Therapiekonzepts.
Abstract
Fractures of the distal radius are the most common fractures in growing children. Injuries often occur during sports and playing. There is no actual peak of age. Most often metaphyseal fractures (including physeal separations) occur, while joint involving epiphyseal fractures are extremely rare. All typical versions of fractures of the growth period appear. The power of growth-associated spontaneous correction is enormous and even remains beyond the age of ten. The spectrum of treatment options includes purely conservative treatment, redression (plaster wedging), reduction and percutaneous k-wire stabilization. An open reduction of metaphyseal fractures is almost never necessary. There may be problems in stabilizing more proximal fractures of the metadiaphyseal transition. Inhibitional growth disturbances following a premature closure of the growth plate are rare, but, if they appear, they require a differentiated treatment concept.
Die distale Radiusfraktur im Wachstumsalter darf zwar nicht als Bagatellverletzung angesehen werden. Sie erweist sich aber in den meisten Fällen als gutartig und trägt für Kinder und Heranwachsende gewissermaßen zur Lebenserfahrung bei. Für den Kindertraumatologen bedeutet ein sicherer Umgang mit dieser Verletzung und ihrer Differenzialtherapie, dass er 40% der Frakturen der langen Röhrenknochen – damit 20% aller Frakturen im Wachstumsalter – und somit einen ganz erheblichen Teil seiner Patienten adäquat zu behandeln in der Lage ist.
Hintergrund
Frakturen des distalen, metaphysären Radius bzw. des distalen Unterarms sind die häufigsten knöchernen Verletzungen bei Kindern und Jugendlichen. Sie machen etwa 40% der Frakturen der langen Röhrenknochen und damit etwa jede 5. Fraktur im Wachstumsalter, bezogen auf das gesamte Skelett, aus [3]. In einer eigenen, von Li-La (Licht und Lachen für kranke Kinder e. V.) initiierten Studie lag der Anteil bei 41,6% der Frakturen der langen Röhrenknochen (681 Kinder) mit einem Altersgipfel um das 13. Lebensjahr [14]. In einer weiteren Studie machten unter 1399 berufsgenossenschaftlich versicherten Schulunfällen distale Radiusfrakturen 24,3% aller erlittenen Frakturen aus [17].
Als der einer distalen Radiusfraktur im Wachstumsalter zugrunde liegende Hauptunfallursache wird häufig sportliche Betätigung angegeben [1, 14, 15, 17].
Klassifikation
Grundsätzlich ist es wie bei Erwachsenen sinnvoll, distale Radiusfrakturen nach der Richtung der Gewalteinwirkung und damit der Richtung einer ggf. vorhandenen Dislokation zu klassifizieren. In diesem Sinne unterschieden werden können
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Flexionsfrakturen und
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Extensionsfrakturen,
wobei auch in der im vorliegenden Beitrag besprochenen Altersklasse die Extensionsfrakturen bei Weitem überwiegen. Darüber hinaus ist es natürlich nach wie vor angemessen und dem allgemeinen Sprachgebrauch angepasst, spezielle Frakturformen mit tradierten Klassifikationen zu beschreiben. Im Fall des wachsenden Knochens sind in diesem Zusammenhang v. a. die weit verbreiteten Unterteilungen für Wachstumsfugen beteiligende Frakturen nach Aitken und Salter-Harris (nach [19]) zu nennen.
Daneben etablierten sich jedoch allgemeingültige, zumindest für alle langen Röhrenknochen anwendbare Klassifikationen für Frakturen im Wachstumsalter, die, aus einem gemeinsamen Ursprung entstanden, unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Dabei handelt es sich um
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das „fracture and dislocation classification compendium for children“ der AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen; [26]) und
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die Li-La-Klassifikation für Frakturen der langen Röhrenknochen im Wachstumsalter [13, 25].
Die Unterschiede dieser beiden Einteilungen beziehen sich v. a. auf enthaltene therapeutische Hinweise, die Zahl der Ausnahmeregelungen und die Zuordnung der Wachstumsfugenlösungen Salter-Harris I und II zur Metaphyse und damit dem Knochenschaft (Li-La) bzw. zur Epiphyse und damit dem Gelenk (AO). Die Li-La-Klassifikation erlaubt mit der derzeitig aufgrund fehlender Datenlage an vielen Stellen noch subjektiven Einschätzung einer tolerablen oder nichttolerablen Dislokation an der 5. Stelle des Kodes eine Plausibilitätsprüfung der eigenen Vorgehensweise.
Eine vollständig dislozierte Fraktur der distalen Radiusmetaphyse wird nach AO mit 23r-M/3.1, nach Li-La mit 2.3.S.3.2 klassifiziert. Eine geringfügig nach dorsal abgerutschte Wachstumsfugenlösung Salter-Harris II erhält nach AO den Kode 23r-E/2.1, nach Li-La den Kode 2.3.S.1.1. Klassifikationsübungen finden sich in der weiterführenden Literatur [25, 26] und im Internet (www.li-la.org, www.aofoundation.org).
Frakturformen und Stabilität
Im Bereich des distalen, metaphysären Radius finden sich alle für das Wachstumsalter typischen stereotypen Frakturformen [19].
Wulstfrakturen („buckle fractures“) des Vorschulalters
Sie manifestieren sich ohne Unterbrechung der Kontinuität des Knochens. Es handelt sich um Stauchungsfrakturen, die auf dem Röntgenbild manchmal erst bei subtiler Betrachtung erkannt werden.
Stauchungsfrakturen älterer Kinder und Jugendlicher
Sie bieten meist das Bild der Infraktion einer Kortikalis (meist dorsal), während die gegenüberliegende Kortikalis unverletzt oder allenfalls leicht gebogen erscheint. Beide Formen sind stabil und dislozieren nicht sekundär [24].
Biegungsbrüche
Eigentliche Grünholzfrakturen sind metaphysär selten. Sie zeichnen sich durch eine klaffende Kortikalis (meist palmar) aus. Die typische Problematik der hohen Refrakturraten der eigentlichen Grünholzfraktur des Unterarmschafts findet sich distal, nicht jedoch metaphysär. Nicht selten aber kommt es während der Gipsbehandlung zu einer leichten Zunahme der Abkippung.
Metaphysäre vollständige Frakturen des distalen Radius
Sie sind nicht selten vollständig disloziert, d. h. um mehr als Schaftbreite verschoben, verkürzt und ohne Fragmentkontakt und führen zum typischen klinischen Bild der Bajonettfehlstellung. Nach Reposition kommt es oft zu einer sekundären Abkippung, nie jedoch zu einer vollständigen Redislokation.
Wachstumsfugenlösung mit oder ohne metaphysären Keil
Sie ist die typische Frakturform der Pubertät, hier bildet die Fuge eine Sollbruchstelle zum Schutz der Epiphyse und damit des Gelenks selbst.
Intraartikuläre Frakturen
Sie sind im Gegensatz zum Erwachsenenalter bei Kindern und Jugendlichen extrem selten. Wenn sie vorkommen, dann als Übergangsfraktur in der Pubertät und zum Ende der Wachstumsperiode [10, 16].
Diagnostik
Anamnese und Klinik
Die Diagnose einer distalen Radiusfraktur kann in aller Regel klinisch gestellt werden. Die Anamnese und der Sturz auf das extendierte Handgelenk geben dabei den Hinweis. Der Aspekt der Bajonettfehlstellung bei komplett dislozierten Frakturen ist pathognomonisch. Im Falle undislozierter Frakturen kann die begleitende Weichteilschwellung gering ausgeprägt sein. Bei entsprechender Anamnese und Schmerzangabe verbietet sich die Überprüfung lokaler mehr oder weniger sicherer Frakturzeichen wie Druckschmerz und Krepitation.
Die klinische und apparative Diagnostik darf nicht zusätzliche Schmerzen erzeugen. In jedem Fall überprüft werden müssen jedoch die periphere Durchblutung und Nervenfunktion. Bei dislozierten distalen Radiusfrakturen muss v. a. auch an eine Läsion des N. medianus in Form eines traumatischen Karpaltunnelsyndroms gedacht werden.
Bildgebung
Röntgen
Basis der apparativen Diagnostik ist das konventionelle Röntgenbild in 2 Ebenen im lateralen sowie im dorsoventralen Strahlengang [19, 20]. Die Diagnose dislozierter Frakturen bereitet dabei keine Schwierigkeiten, lediglich die Detektion von gering ausgeprägten Stauchungs- oder Wulstbrüchen bzw. kaum dislozierter Wachstumsfugenlösungen kann problematisch sein. Bei der technischen Durchführung ist darauf zu achten, dass die Röntgenröhre um den ruhenden Unteram bewegt wird, um auch an der distalen Ulna eine tatsächliche Darstellung in 2 Ebenen zu gewährleisten, v. a. aber um nicht durch eine erzwungene Umwendbewegung zusätzliche Schmerzen zu verursachen.
Sonographie
Als Alternative in der Verlaufsbeobachtung, aber auch in der Primärdiagnostik einer distalen Radiusfraktur im Wachstumsalter gewinnt die Ultraschalluntersuchung mehr und mehr an Bedeutung ([2, 7], Abb. 1). Sie ist selbstverständlich unter dem Aspekt des Strahlenschutzes gerade im Kindesalter eine interessante Alternative. Die Untersuchung ist einfach und ohne besondere Vorkenntnisse durchführbar und erreicht nach Ackermann et al. [2] im Rahmen der Primärdiagnostik eine Sensitivität von 94–99%. Auch die Einschätzung der entstandenen Achsabweichung ist sicher möglich. Die Abweichung zwischen röntgenologischer und sonographischer Messung lag in der gleichen Untersuchung lediglich bei 1,8°.
Die medizinischen Erfahrungen und Publikationen zur Sonographie bei Frakturen im Kindes- und Jugendalter nehmen zu, sodass angenommen werden darf, dass diese Methode in naher Zukunft einen erheblichen Teil der radiologischen Diagnostik ersetzen kann. Medikolegale Stellungnahmen zum Ersatz des Röntgenbildes durch den Ultraschall liegen noch nicht vor.
Computertomographie (CT)
Sie spielt in der erweiterten Diagnostik frischer distaler Radiusfrakturen im Wachstumsalter keine wesentliche Rolle. Zum einen sind die Verletzungsmuster stereotyp, komplexe intraartikuläre Mehrfragmentfrakturen, wie bei Erwachsenen, kommen nicht vor. Zum anderen muss bei diesen Patienten der Strahlenschutzaspekt besonders beachtet werden. Allenfalls eine begleitende Skaphoidfraktur kann eine Indikation zum CT beinhalten.
Magnetresonanztomographie (MRT)
Zimmermann et al. [30] fanden im MRT mehr als 30% Zusatzverletzungen, insbesondere des triangulären fibrokartilaginären Komplexes (TFCC) oder des skapholunären (SL) Bandes. Das MRT wurde in diesen Fällen jedoch nicht als primäres Diagnostikum der frischen Verletzung, sondern sekundär bei persistierenden Beschwerden eingesetzt. Aufgrund der Vielzahl der im Wachstumsalter in Frage stehenden Frakturen und des meist gutartigen Verlaufs mit prompter, folgenloser Heilung einerseits und des immensen Aufwandes der Methode andererseits muss das MRT also einzelnen Fällen mit verbleibenden Beschwerden nach Frakturheilung vorbehalten bleiben.
Behandlung
Optionen
Abhängig von Frakturform, Dislokationsgrad und -richtung, v. a. aber vom Alter des verletzten Kindes muss zur adäquaten Behandlung einer distalen Radiusfraktur im Wachstumsalter ein breites Spektrum operativer sowie nichtoperativer Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen.
Frakturform, Dislokationsgrad und -richtung
Undislozierte Frakturen
Sie werden selbstverständlich konservativ behandelt. Zunächst wird eine Gipsschiene (Kunststoffschiene) angelegt, um den Rückgang der evtl. verletzungsbegleitenden Weichteilschwellung abzuwarten. Nach Abschwellung kann, muss aber nicht, auf einen zirkulären, ruhigstellenden Verband gewechselt werden [22]. Bei stabilen Wulstfrakturen schlugen Vernooj et al. [28] sogar den Verzicht auf einen Gipsverband vor.
Achsabweichung
Liegt sie primär vor, muss eine posttraumatische Wachstumsprognose erstellt werden, die die oben genannten Punkte berücksichtigt. Sagt diese aus, dass die vorliegende Dislokation voraussichtlich durch wachstumsassoziierte Spontankorrekturmechanismen vollständig und in angemessener Zeit ohne funktionelle Defizite remodelliert wird, kann, ebenso wie bei einer vollkommen undislozierten Fraktur, streng konservativ ohne Manipulation vorgegangen werden [8, 9, 23]. Diese Vorgehensweise muss jedoch mit Patienten und Eltern insbesondere wegen vorübergehend sichtbarer, kosmetischer Störungen eingehend erörtert werden. Die distale Radiuswachstumsfuge ist eine sehr aktive Fuge und trägt 80% zum Längenwachstum ihres Knochens bei [19]. Sie verschließt sich spät, bei manchen Individuen erst nach dem 18. Lebensjahr [16], und ist daher in der Lage, auch erhebliche Achsabweichungen im weiteren Wachstum auszugleichen (Abb. 2). Unterschiedliche Einschätzungen zur altersabhängigen Spontankorrekturfähigkeit finden sich in der weiterführenden Literatur [1, 8, 19, 20].
Dislokation
Bei einer unter kosmetischen oder wachstumsprognostischen Kriterien nicht tolerabel erscheinenden Dislokation muss eine Manipulation zur Stellungsverbesserung erfolgen. Diese kann in bestimmten Fällen in Form einer Redression narkosefrei durchgeführt werden (z. B. Gipskeilung), meist jedoch ist eine Reposition erforderlich, die immer einer angemessenen Anästhesie bedarf. Die Gipskeilung ist eine anspruchsvolle, konservative Technik, bei der der zuvor angelegte, speziell für diese Prozedur vorbereitete, zirkuläre Gips- oder Kunststoffverband in der Konkavität der Frakturfehlstellung quer zur Knochenachse eingeschnitten und aufgedehnt wird. Bei Beachtung einiger technischer Details kann auf diese Weise eine Achsabweichung narkosefrei, ggf. mit Unterstützung eines Analgetikums, minimiert oder gar völlig beseitigt werden [4].
Technik
Die Reposition in Narkose gelingt bei lediglich abgekippten Frakturen immer, bei vollständig dislozierten Brüchen fast immer geschlossen [1]. Manchmal ist eine übertriebene Nachstellung des Frakturmechanismus, d. h. in der Regel eine extreme Hyperextension, notwendig. Nur bei vollständig dislozierten Frakturen mit extremer Verkürzung und inversem Frakturverlauf (d. h. bei Extensionsfrakuren von dorsal distal nach palmar proximal) gelingt die geschlossene Reposition nicht in jedem Fall.
Die Eröffnung des Hautmantels ist nur so weit nötig, um ein Instrument als Repositionshilfe zu positionieren. Weichteilinterponate finden sich in dieser Region extrem selten.
Eine Osteosynthese zur Sicherung des Repositionsergebnisses ist nicht zwingend in jedem Fall notwendig, auch wenn manche Autoren mit Berechtigung propagieren, jedes Repositionsergebnis zur Vermeidung einer Redislokation mit einem Kirschner-Draht zu sichern [11]. Hierfür sind 1 oder maximal 2 die Fraktur kreuzende Kirschner-Drähte ausreichend, da ohnehin eine zusätzliche Ruhigstellung im Gips- oder Kunststoffverband notwendig ist. Die Kirschner-Drähte können perkutan implantiert werden. Bei rein metaphysären Frakturen können sie oft proximal der Wachstumsfuge eingebracht werden. Im Falle von Wachstumsfugenlösungen dürfen sie auch Fugen kreuzend implantiert werden, wobei darauf geachtet werden sollte, dass die Drähte die Wachstumsfuge nach einmaliger Bohrung möglichst zentral passieren (Abb. 3). Eine periphere Implantation, insbesondere das Eindringen in die Region der perichondralen Durchblutung, sollte vermieden werden, da nach jetzigem Kenntnisstand eine erhöhte Quote an hemmenden Wachstumsstörungen nach einem derartigen Vorgehen nicht ausgeschlossen werden kann. Mehrfache Bohrversuche sollen ebenfalls vermieden werden.
Andere Osteosynthesetechniken spielen bei der Stabilisierung der typischen distal metaphysären Frakturtypen des Radius im Wachstumsalter keine Rolle. Allenfalls kann ein Fixateur externe bei verschmutzten, offenen Frakturen indiziert sein. Hingewiesen sei jedoch auf die nicht allzu seltene und problematische Frakturlokalisation am diametaphysären Übergang des Radiusschafts. Diese Bruchverletzungen liegen für die meist zum Einsatz kommende gekreuzte Kirschner-Draht-Osteosynthese zu weit proximal und für die Versorgung der Wahl für eine diaphysäre Unterarmfraktur, die elastische, stabile intramedulläre Nagelung (ESIN), zu weit distal. Für die Anwendung Letzterer am diametaphysären Übergang wurden verschiedene technische Modifikationen vorgeschlagen. Die Plattenosteosynthese mit einem adäquat dimensionierten Implantat ist eine Alternative [21].
Wie angeführt bedürfen sowohl die konservative Therapie als auch die operative Stabilisierung mit Ausnahme des Fixateur externe einer adäquaten zusätzlichen Ruhigstellung im Gips- oder Kunststoffverband, wobei dessen notwendige Länge immer wieder diskutiert wird. In einigen der wenigen prospektiv randomisierten Studien in der Kindertraumatologie wurden die Unterschiede zwischen Ober- und Unterarmgips behandelt. Es zeigte sich, dass die alleinige Verwendung eines Unterarmgipses im Vergleich zum Einsatz von Oberarmgipsverbänden nicht mit einer höheren Rate an sekundären Dislokationen assoziiert war [5, 29]. Insbesondere nach Osteosynthese ist ein Oberarmgips nicht notwendig. Lediglich die Gipskeilung bedarf wegen der benötigten Hebelarme stets eines Oberarmgipses [4].
Behandlungsvorschlag
Die im Folgenden dargestellten Behandlungsalgorithmen (Tab. 1, Tab. 2, Tab. 3) berücksichtigen das immense Korrekturpotenzial des distalen Radius für posttraumatisch verbliebene Fehlstellungen. Eine Altersgrenze wurde dabei bei 10 Jahren angelegt, in der Annahme, dass danach die Spontankorrekturmöglichkeiten abnehmen. Diese Grenze ist sehr zurückhaltend gezogen und könnte wahrscheinlich um 2 Jahre erhöht werden [6].
Jede Betrachtung noch verbleibender Korrekturmöglichkeiten muss natürlich individuell erfolgen. Die Behandlungsvorschläge berücksichtigen des Weiteren das in der Kindertraumatologie geltende Prinzip, mit dem geringstmöglichen Aufwand das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Besonders wichtig bei der Betrachtung des folgenden Algorithmus ist die Unterscheidung zwischen vollständig dislozierten, um mehr als eine Schaftbreite verschobenen und oft verkürzten Frakturen auf der einen Seite (Beispiel Abb. 3, Tab. 3) und lediglich abgekippten Frakturen mit erhaltenem Knochenkontakt auf der anderen Seite (Beispiel Abb. 2). Erstere bedürfen in jedem Alter einer in Narkose durchzuführenden Reposition und ggf. Osteosynthese, während Letztere – natürlich in Abhängigkeit vom Ausmaß der Fehlstellung – auch mit konservativen Mitteln (Gipskeilung) korrigiert und redressiert werden können.
Behandlungsalgorithmen
Undislozierte, stabile, metaphysäre Stauchungsfrakturen
Sie werden gemäß Tab. 1 behandelt. Da die Anlage von Unterarmgipsschienen oder zirkulären Unterarmgipsen bei Kindern unter 3 Jahren meist zu einem raschen Abstreifen desselben und zu regelmäßigen Wiedervorstellungen zur Neuanlage führt, empfiehlt sich bei kleinsten Kindern immer die Anlage ruhigstellender Verbände in Oberarmlänge.
Abgekippte, metaphysäre Frakturen
Zunächst wird der Grad der Achsabweichung näherungsweise bestimmt, anschließend wird die Wachstumsprognose erstellt. Ist davon auszugehen, dass sich die Achsabweichung im Rahmen des altersabhängigen Spontankorrekturpotenzials ausgleichen wird, und sind Patient und Eltern einverstanden, kann laut Tab. 1 wie bei undislozierten stabilen Stauchungsfrakturen vorgegangen werden. Überschreitet die Achsabweichung dieses Maß, kommt der in Tab. 2 angegebene Algorithmus zur Anwendung.
Vollständig dislozierte Frakturen
Sie werden zunächst – immer in Narkose oder unter Regionalanästhesie – reponiert (Tab. 3). Eine derart adäquat wiedereinrichtete Fraktur wird nie wieder vollständig dislozieren, kann aber häufig sekundär wieder abkippen. Bei Kindern unter 10 Jahren kann anschließend entschieden werden, ob die Abkippung der Spontankorrektur überlassen oder das Ausmaß der Fehlstellung durch Keilung verbessert wird. Bei älteren Kindern und Jugendlichen mit einer bereits reduzierten Spontankorrekturfähigkeit ist die operative Fixation des Repositionsergebnisses gerechtfertigt.
Epiphysäre, intraartikuläre distale Radiusfrakturen
Sie stellen eine extrem seltene Besonderheit dar. Sie kommen so gut wie nur bei Jugendlichen kurz vor dem Verschluss der Wachstumsfugen vor. Hier steht nicht, wie bei den meisten typischen Frakturen des Kindes- und Jugendalters, die Gelenkachsen-, sondern wie beim Erwachsenen die Gelenkflächenrekonstruktion im Vordergrund. Die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme muss dann ggf. unter zu Hilfenahme der Schnittbilddiagnostik geklärt werden. Die Rekonstruktion ist oft nur offen möglich. Vor Verschluss der Wachstumsfuge ist bei diesen Verletzungen mit einer erhöhten Rate an hemmenden Wachstumsstörungen zu rechnen.
Komplikationen
Als häufigste Komplikation der Behandlung distaler Radiusfrakturen im Wachstumsalter könnte die Übertherapie angesehen werden [18]. Die klinische Erfahrung zeigt immer wieder, dass Frakturen mit Fehlstellungen, die ohne Verzögerung des Heilungsverlaufs, ohne drohende funktionelle Störungen und ohne Einschränkung der Belastbarkeit der wachstumsassoziierten Spontankorrektur überlassen werden können, aggressiv mit Reposition oder gar Osteosynthesen behandelt werden. Grund sind meist Unwissenheit und Unsicherheit im Umgang mit der Wachstumsprognose. Oft fehlen auch Kenntnisse und Fähigkeiten in Bezug auf eine differenzierte konservative Therapie (insbesondere in Zusammenhang mit Methoden wie der Gipskeilung). Auch die mangelnde Abbildung nichtoperativer Verfahren in den derzeit gültigen Entgeltregelungen begünstigt ein aggressives, therapeutisches Vorgehen. Die oben vorgeschlagenen Behandlungspfade (Tab. 1, Tab. 2, Tab. 3) zeigen darüber hinaus, dass nicht jede reponierte Fraktur zwangsläufig mit einer Osteosynthese versehen werden muss.
Sehr selten, aber schwerwiegend ist demgegenüber die hemmende Wachstumsstörung der distalen Radiusfuge mit ihrem vorzeitigen vollständigen oder teilweisen Verschluss. Unter 1349 Patienten im eigenen Krankengut fanden wir nur 2 klinisch relevante hemmende Wachstumsstörungen (0,15%). Diese Komplikation kann grundsätzlich nach jeder der angeführten Frakturformen vorkommen, auch nach einfachsten Stauchungsfrakturen und bei Verletzungen, die die Wachstumsfuge vordergründig gar nicht tangieren. Gehäuft scheinen hemmende Wachstumsstörungen jedoch nach epiphysären Frakturen und Verletzung des Stratum germinativum der Wachstumsfuge vorzukommen (Abb. 4). Diese Komplikation wird meist mittels aufwendiger Korrekturosteotomie behandelt [12, 27].
Berufsgenossenschaftliches Heilverfahren
Die Behandlung erfolgt in der Regel ambulant, im Rahmen der operativen Frakturversorgung allenfalls kurzstationär. Die Metallentfernung ist ebenfalls ambulant möglich. Nur bei Gelenk beteiligenden Frakturen der Jugendlichen liegen Frakturen aus dem aktuell gültigen Verletzungsartenverzeichnis (von 2005 und Erläuterungen 2007) vor. Nach einer distalen Radiusfraktur beträgt die Dauer der Schulunfähigkeit meist nicht mehr als 1 Woche. Die Schulsportunfähigkeit kann in Abhängigkeit vom Frakturtyp und Behandlungsmodus bis zu 3 Monate betragen und damit den Ausfall nahezu eines ganzen Halbjahres, zumindest im Sportunterricht, nach sich ziehen.
Bei Behandlungsabschluss sollten die Eltern und ggf. der Kinderarzt über die seltene Möglichkeit einer posttraumatischen hemmenden Wachstumsstörung informiert werden. Bei Wachstumsfugenlösungen im Adoleszentenalter und den seltenen epiphysären Frakturen sollte eine Wachstumskontrolle nach 9–12 Monaten empfohlen werden, um eine Wachstumsfugenlösung durch eine kindertraumatologisch versierte klinische Untersuchung frühzeitig detektieren zu können.
Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist nur bei Begleitverletzungen bzw. Entwicklung einer posttraumatischen Wachstumsstörung zu erwarten.
Fazit für die Praxis
Ziel der Behandlung der distalen Radiusfraktur im Wachstumsalter ist eine kindgerechte, effiziente Therapie, die mit dem geringsten Aufwand zum besten Ergebnis führt.
Das Diagnostikum der Wahl ist das Röntgenbild in 2 Ebenen. Zur Verlaufsbeobachtung wird in Zukunft der Ultraschall an Bedeutung gewinnen.
Vor Therapieeinleitung muss eine posttraumatische Wachstumsprognose erhoben werden, die Frakturtyp, Dislokationsgrad und -richtung sowie das Patientenalter berücksichtigt.
Die distale Radiusfraktur bleibt eine Domäne der konservativen Therapie. Wenn eine Osteosynthese notwendig ist, ist die perkutane Kirschner-Draht-Spickung die Methode der Wahl.
Hemmende Wachstumsstörungen können nach jeder Frakturform vorkommen, sind aber extrem selten.
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Danksagung
Dr. O. Ackermann, Duisburg, sei herzlicher Dank für die Überlassung des Ultraschallbildes (Abb. 1).
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Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Dieser Artikel erschien ursprünglich in Trauma und Berufskrankheit 4/2012.
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Kraus, R. Distale Radiusfraktur im Wachstumsalter. Trauma Berufskrankh 16 (Suppl 1), 53–60 (2014). https://doi.org/10.1007/s10039-013-1932-y
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