Verletzungsmechanismus der hinteren Kreuzbandruptur

Die häufigsten Ursachen für Verletzungen des hinteren Kreuzbandes (HKB) sind Verkehrs- und Sportunfälle. Die Inzidenz der HKB-Verletzungen im Rahmen einer sportlichen Betätigung wird in der Literatur mit 1% bei Skiunfällen und 9% beim Rugby angegeben [22, 26]. Der typische Unfallmechanismus ist der Sturz auf das gebeugte und im Sprunggelenk plantarflektierte Bein. Bei Unfallpatienten entstehen HKB-Rupturen häufig durch Rasanztraumen, bei welchen es zu einem direkten prätibialen Anprall kommt, der so genannten „dashboard injury“. Hierbei muss die typische Verletzungskette aus Knieanpralltrauma – Femurfraktur – hinterer Hüftluxation mit oder ohne Azetabulumfraktur beachtet werden. So fanden Walker u. Kennedy [31] bei 6% der Patienten mit Femurfraktur eine Verletzung des HKB. In einer prospektiven Evaluation eines amerikanischen Traumazentrums wurden 222 Unfallopfer mit einem Hämarthros des Kniegelenks behandelt. Die Inzidenz der HKB-Verletzungen betrug dabei 38% [10, 11].

Anatomie

Das HKB ist der primäre hintere Stabilisator des Kniegelenks und gewährleistet 95% des gesamten Widerstandes gegen eine posteriore Translation der Tibia in Beugung. Es wird aus 2 Hauptbündeln gebildet. Das kräftige anterolaterale Bündel spannt sich überwiegend in Beugung an, das posteromediale hingegen in Streckung (Abb. 1). In biomechanischen Untersuchungen wurde gezeigt, dass eine isolierte Durchtrennung des HKB in einer vermehrten posterioren Translation von durchschnittlich 8 mm resultiert [4]. Zu einer Rotationsinstabilität oder einer Varus-/Valgusaufklappbarkeit kommt es hierbei jedoch nicht. Derartige komplexe Instabilitäten entstehen unter Mitbeteiligung der sekundären Gelenkstabilisatoren (Außenband, posterolaterale Kapsel-Band-Ecke).

Die Länge des HKB beträgt physiologischerweise 32–38 mm, der Durchmesser im Schnitt 13 mm, wobei der Querschnitt femoral zunimmt. Im Vergleich zum vorderen Kreuzband weist das HKB den 1,5-fachen Durchmesser und die 1,5-fache Reißfestigkeit auf [12]. Im HKB wurden sowohl Mechanorezeptoren als auch freie Nervenendigungen als auch Transmitter von Schmerz und Entzündungsreizen nachgewiesen [16, 17, 18].

Spontanverlauf der HKB-Verletzung

Die isolierte HKB-Verletzung führt zunächst zu keiner funktionellen Behinderung. Subjektive Instabilitätsbeschwerden werden von den Patienten meist nicht angegeben [28].

Der Langzeitverlauf ist jedoch nicht unproblematisch. Bei Beugung des Kniegelenks kommt es bei fehlendem stabilisierendem HKB zu einer posterioren Subluxation, die sich durch die Quadrizepswirkung in strecknaher Stellung reponiert. Durch den verkürzten Hebelarm der Streckermuskulatur kommt es zu einer dauerhaften Überlastung des femoropatellaren Gleitlagers. Der Verlust der zentralen Rotationskontrolle führt zu einer vermehrten Knorpelbelastung im medialen, tibiofemoralen Gelenkspalt. Diese pathophysiologischen Zusammenhänge erklären das gehäufte Auftreten einer medialen und retropatellaren Arthrose nach 10–20 Jahren [9].

Therapie der HKB-Verletzung

Bei den transossären Rupturen überwiegen die tibiale Ausrisse, die bei adäquater Therapie eine gute Prognose aufweisen. Wir empfehlen bei ihnen den direkten, posterioren, intermuskulären Zugang, bei dem das Fragment ohne Ablösung der Gastrocnemiusköpfe dargestellt, reponiert und mit einer Krallenplatte fixiert wird (Abb. 2, [23, 30]).

Beim isolierten Substanzriss hat die primäre Naht des Ligaments nur eine geringe Erfolgsquote und ist daher nicht indiziert [23, 27]. Bei isolierten ligamentären HKB-Rupturen sollte die Operationsindikation durchaus kritisch gestellt werden, da die Patienten einerseits häufig kein Instabilitätsgefühl haben, sich jedoch andererseits die Stabilität nach einer Operation oft nicht vom Spontanverlauf unterscheidet und zudem eine langfristige Prognoseverbesserung bislang nicht gesichert wurde [8, 20].

Komplextrauma des Kniegelenks

Es sollte operativ versorgt werden. Sind Rekonstruktionen im Seitenbandbereich erforderlich, sollte der Eingriff innerhalb der ersten 2 Wochen nach dem Trauma erfolgen. Priorität hat die Rekonstruktion der Kreuzbänder, um die Funktion der Zentralpfeiler im Kniegelenk wiederherzustellen. Liegt zusätzlich eine Rotationsinstabilität vor, ist auch die Rekonstruktion der Sekundärstabilisatoren (Außenband, posterolateraler Kapsel-Band-Komplex) erforderlich.

Transplantatwahl

Als Kreuzbandersatz können Transplantate aus der Patellarsehne, der Quadrizepssehne und der Pes-anserinus-Grube verwendet werden. Das Lig. patellae hat den wesentlichen Vorteil der stabilen Fixation über Knochenblöcke, da eine Bone-Tendon-Bone-Einheit (BTB) gewonnen werden kann. Dem steht das erhöhte Risiko einer Retropatellararthrose aufgrund der Schwächung des wichtigsten Agonisten des HKB gegenüber.

Die Semitendinosus- und Gracilissehnen in gebündelter Präparation können ebenso wie die Quadrizepssehne verwendet werden. Beide Transplantate eignen sich im Gegensatz zur Patellarsehne hervorragend für eine arthroskopische Technik, da sie ausreichend lang gewonnen werden können und das sehnige Ende jeweils relativ problemlos um die Hinterkante der Tibia („killer turn“) herumgeführt werden kann.

Inlay- vs. Tunneltechnik

Die unterschiedlichen technischen Methoden zur Rekonstruktion des HKB werden in der Literatur kontrovers diskutiert. Tibial kann das Transplantat entweder durch einen Tunnel gezogen und fixiert oder direkt an der proximalen Tibia fixiert werden (Abb. 3). Die Tunneltechnik kann rein arthroskopisch oder über eine anteriore Miniarthrotomie erfolgen [6, 7]. Bei der Inlaytechnik werden die proximale Tibia von dorsal freigelegt und das Transplantat direkt in einer Knochengrube mittels Schrauben oder Staples fixiert [1, 15, 30]. Diese Technik bietet sich insbesondere bei kurzer autologer Patellarsehne oder für Revisionsfälle an. Einige Autoren sehen hier wesentliche Stabilitätsvorteile, da die Abknickung des Transplantats am Rand des tibialen Bohrkanals („killer turn“) vermieden wird [2].

In einer vergleichenden biomechanischen Studie am Kadaverknie fanden Bergfeld et al. [2], dass es bei der Tunneltechnik im Vergleich zur Inlaytechnik zu einer vermehrten posterioren Translation der Tibia und zu einer erhöhten Transplantatdegradierung über den „killer-turn“ kommt. Oakes et al. [25] zeigten jedoch in 2 aktuellen Studien, dass im Vergleich zur Tunneltechnik kein signifikanter Vorteil bezogen auf die Knielaxizität und die Transplantatkraft besteht.

Ein wesentlicher Nachteil der Inlay- gegenüber der Tunneltechnik ist, dass 2 Zugänge präpariert werden müssen und der Patient während der Operation auf den Bauch gedreht werden muss, was einen erheblichen Mehraufwand bedeutet. Bei der Tunneltechnik wird ein Tibiakanal von anterior nach posterior so angelegt, dass er die tibiale Insertion des HKB im Bereich der ehemaligen Epiphysenfuge trifft (Abb. 4). Das Transplantat wird um den „killer turn“ in den Kanal eingezogen, nach anterior angespannt und in der Tibia fixiert.

Eigene arthroskopische Operationstechnik mit neuem speziell entwickeltem Zielgerät

Der Patient befindet sich in Rückenlage, das Bein ist in einem elektrischen Beinhalter (Firma Maquet) gelagert. Es wird eine Blutsperre verwendet. Das kontralaterale Bein wird leicht abgespreizt, um ausreichend Zugang zu Innenseite des verletzten Knies zu erhalten (posteromedialer Zugang).

Sehnenentnahme- und Präparation

Die Sehnenentnahme für die Hamstrings erfolgt in Standardtechnik zu Beginn der Operation über einen kleinen schrägen Hautschnitt am anteromedialen Tibiakopf. Die Sehnen werden innerhalb der Sartorius-Faszie aufgesucht, distal abgesetzt und mit einem Sehnenstripper auf maximale Länge entnommen.

Sie werden nach Entfernung von anhängender Muskulatur 4-fach aneinander gelegt und proximal und distal mit nicht resorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 2 in Kernnahttechnik armiert. Die Transplantatlänge sollte beim Erwachsenen mindestens 110 mm betragen, der Transplantatdurchmesser mindestens 7 mm.

Arthroskopische Tunnelanlage

Über hoch angelegte Portale am Patellarsehnenrand anterolateral und -medial erfolgen zunächst das Débridement der Notch und die Darstellung der femoralen und tibialen Insertion des HKB. Dessen noch vorhandene Reste sollten soweit als möglich geschont und erhalten werden. Das Arthroskop wird über das anteromediale Portal durch die Notch in die Kniekehle vorgeschoben, und ein posteromedialer Zugang wird angelegt, über den die tibiale Insertion des HKB dargestellt und präpariert wird. Am besten eignet sich hierfür ein bipolares Radiofrequenzgerät (z. B. VAPR™).

Die Tibiakanal wird mit einem Standardzielgerät für HKB-Rekonstruktion (z. B. Firma Arthrex) angelegt. Das Zielgerät wird über das anteromediale Portal durch die Notch eingeführt, und ein Zieldraht wird eingebohrt. Das Arthroskop befindet sich zur Kontrolle des Drahtaustritts in der Kniekehle im posteromedialen Zugang. Es muss darauf geachtet werden, dass der Draht ausreichend tief und lateral posterior an der Tibia im Bereich der anatomischen Insertion des HKB liegt. Bei Bedarf kann dies mit dem Bildverstärker überprüft werden (Abb. 4). Der Draht wird dann kanüliert entsprechend der Transplantatstärke überbohrt.

Der Femurkanal wird über ein zusätzliches tiefes anterolaterales Portal angelegt. Im Bereich der anatomischen Insertion des anterolateralen Bündels des HKB (Single-Bundle-Technik) wird ein weiterer Zieldraht etwa 4 mm dorsal der Knorpel-Knochen-Grenze in der notchseitigen Fläche des medialen Femurkondylus eingebohrt und durch die Haut am medialen distalen Oberschenkel ausgeleitet. Man orientiert sich dabei im Uhrzeigersinn an der Notch (11 Uhr linkes, 1 Uhr rechtes Knie). Dieser Draht wird ebenfalls überbohrt und ein Sackloch der Tiefe 30 mm entsprechend der femoralen Transplantatstärke präpariert. Im Tibia- und Femurkanal werden jeweils 2 farblich getrennte Durchzugsfäden platziert.

Cross-Pin-Fixation

Ein spezielles, von den Autoren neu entwickeltes Zielgerät (Rigid fix™, DePuy Mitek) wird für die Fixation verwendet. Es gestattet die Platzierung von resorbierbaren Cross Pins femoral und tibial (analog zur Fixation bei vorderen Kreuzband), welche unter 360°-Kontakt des Transplantats zur knöchernen Wand der Bohrkanäle eine äußerst stabile und gelenknahe Fixation ermöglichen.

Das Zielgerät wird mittels einer variablen Winkeleinstellung der Einbringrichtung so in den Bohrkanälen platziert, dass jeweils Zielhülsen für die Applikation der Cross Pins am femoralen Femurkondylus und im Tibiakopf eingebracht werden können (Abb. 5, Abb. 6).

Transplantateinzug und Fixation

Das vorbereitete Sehnentransplantat wird transtibial mit dem entsprechenden Durchzugsfaden eingezogen. Um die Hinterkante der Tibia („killer turn“) wird es mit einem speziellen Manipulator, der als Hypomochlion fungiert, bugsiert. Nach Einziehen in den Femurkanal mit dem 2. Durchzugsfaden wird das Transplantat femoral durch Einschlagen des Cross Pins fixiert und nach distal vorgespannt (Abb. 5, Abb. 7). Dadurch wird das Knie aus der hinteren Schublade reponiert. Nach mehrfachem Durchbewegen des Gelenks und Kontrolle der intakten femoralen Fixation erfolgt die tibiale Fixation in Kniebeugestellung mit den entsprechenden Cross Pins (Abb. 6, Abb. 8).

Nachbehandlung

Direkt postoperativ sollte das Knie in Streckung fixiert werden, um die Wirkung der Ischiokruralmuskulatur weitgehend auszuschalten. Die Wade sollte stets flächig aufliegen. Hierzu verordnen wir allen Patienten eine Schiene, die die Tibia dorsal unterstützt.

Die Mobilisation erfolgt unter Teilbelastung für mindestens 6 Wochen. Postoperativ kann eine dynamische PCL-Schiene verwendet werden, welche bei Bewegung einen anterioren Schub auf die Tibia ausübt (PCL Jack, Fa. Albrecht).

Chronische komplexe Knieinstabilität, knöcherner Varus

Eine besondere Herausforderung an die Therapie stellen Patienten mit chronischer hinterer (und meist posterolateraler Instabilität) dar, welche gleichzeitig eine knöcherne Varusfehlstellung aufweisen. Kommt es unter der knöchernen Fehlstellung auf dem Boden der chronischen und komplexen Bandinstabilität zu einer vermehrten lateralen Gelenköffnung („double varus“) oder gar zu einer Überstreckbarkeit und vermehrten Außenrotation im Knie („triple varus“), ist eine alleinige Bandrekonstruktion unter Belassen der knöchernen Fehlstellung zum Scheitern verurteilt.

Während der Steh- und Gehphase treten erhebliche Distraktionskräfte auf der Außenseite des Knies auf, sodass eine varische Beinachse die vermehrte laterale Aufklappung verursacht, wodurch jede primäre Bandrekonstruktion erheblichen Distraktionskräften ausgesetzt wäre. Daher sollte bei komplexen Instabilitäten mit Achsfehlstellung zunächst immer eine Korrektur der mechanischen Beinachse durchgeführt werden. Wir bevorzugen hierfür eine intraligamentäre, valgisierende Osteotomie am Tibiakopf von anteromedial in öffnender Technik. Durch die Osteotomie wird die Traglinie in die mediale Begrenzung des lateralen Gelenkspalts gebracht. Da bei chronisch insuffizientem HKB die Tibia in einer hinteren Subluxation steht, erhöhen wir bei der Osteotomie gleichzeitig die Reklination des Tibiakopfs („tibial slope“). Somit gleitet das Femur bei axialer Belastung in strecknaher Stellung nach dorsal bzw. die Tibia nach anterior, wodurch auch die hintere Subluxationstendenz reduziert wird. Durch diese Technik wird die meist vorhandene Hyperextension des Kniegelenks verringert. Die Fixation der Osteotomie erfolgt mit einer Tomofixplatte™ der Firma Synthes.

Liegt eine komplexe posteriore, posterolaterale Instabilität vor, muss von einer Schädigung der lateralen Sekundärstabilisatoren (Popliteus, popliteofibulares Ligament, Arkuatumkomplex, Außenband) ausgegangen werden. Da diese Strukturen wesentliche Synergisten zum HKB sind, gefährdet eine derartig komplexe Instabilität die isolierte HKB-Rekonstruktion [14, 19, 21]. Daher muss in diesen Fällen zusätzlich eine posterolaterale Rekonstruktion durchgeführt werden. Dies kann durch einen distal gestielten Bizepssehnenstreifen („petit poplité“ nach Bousquet) oder die Verwendung eines Semitendinosusautografts erfolgen (z. B. Technik nach Larsen) [3].

Abb. 1
figure 1

Hinteres Kreuzband, aus 2 Hauptbündeln bestehend: AL anterolaterales Bündel, PM posteromediales Bündel, a Anspannung des PM in Streckung, b,c Anspannung des kräftigeren AL in Beugung

Abb. 2
figure 2

Knöcherner Ausriss des HKB an der Tibia, offene Fixation von posterior mit Krallenplatte

Abb. 3
figure 3

Rekonstruktion des hinteren Kreuzbandes, a Ziehen und Fixation des Transplantats tibial durch einen Tunnel (z. B. arthroskopische Technik) oder b direkte Fixation an der proximalen Tibia über einen direkten, dorsalen Zugang (Inlaytechnik)

Abb. 4
figure 4

Anatomische Bohrkanalposition als entscheidendes Kriterium, an der Tibia Lokalisation der anatomischen Insertion tief im Bereich der Begrenzung der ehemaligen Epiphysenfuge, Möglichkeit der seitlichen Durchleuchtungskontrolle zur korrekten Bohrlochplatzierung

Abb. 5
figure 5

Femorale Fixation am Sawbone-Modell, speziell entwickelter variabler Zielbogen zur Einbringung von Zielhülsen in den medialen Femurkondylus: Einschlagen resorbierbarer Cross Pins quer durch den Bohrkanal zum Zweck der Transplantatfixation

Abb. 6
figure 6

Tibiale Fixation am Sawbone-Modell, mit dem variablen Zielbogen Einbringen der Applikationshülsen für die Cross Pins von lateral im Bereich des Tuberculum gerdii in den Tibiakopf

Abb. 7
figure 7

Femorale Fixation mit dem Zielbügel am Leichenpräparat (links, Mitte) und während einer Operation (rechts)

Abb. 8
figure 8

a Arthroskopische Kontrolle der Einschlagrichtung der quer durch die Mitte des Bohrkanals verlaufenden Cross Pins, b Hamstring-Sehnen-Transplantat nach femoraler Fixation, arthroskopischer Blick vom anterolateralen Portal auf die Innenseite des medialen Femurkondylus