1 Einleitung

Elektrische Energie zählt längst zu den heutigen Grundgütern und ist aus unserem gesellschaftlichen Leben nicht mehr wegzudenken. Zusätzlich steigt der Anteil an dezentraler Energieerzeugung durch Windkraft und Photovoltaik, weshalb den elektrischen Verteil- und Übertragungsnetzen eine tragende Rolle zukommt. Diese Übertragungssysteme sollen redundant betrieben werden und eine hohe Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit aufweisen. Einen wesentlichen Bestandteil elektrischer Netze stellen Hochspannungs-Schaltanlagen dar, welche als Knotenpunkte das gesamte Hochspannungsnetz miteinander verbinden. Das Kernstück jeder Schaltanlage bilden die Sammelschienen, welche abgehende und ankommende Leitungen miteinander verbinden. Hier gilt es jede Anlage vor externen Einwirkungen wie Blitzeinschlägen zu schützen, um längerfristige Unterbrechungen zu vermeiden und eine stabile Versorgung zu gewährleisten.

Die Norm ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 behandelt den Schutz von baulichen Anlagen und Personen und bietet verschiedene Methoden zur Auslegung des Blitzschutzes [1], der Blitzschutz von Hochspannungsanlagen wird darin nicht gesondert behandelt. In diesem Beitrag soll eine Vorgehensweise für die Auslegung des Blitzschutzes von Hochspannungs-Freiluftschaltanlagen vorgestellt werden. Auf Basis des Blitzkugelverfahrens nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 wird eine Methodik entwickelt, mit welcher es möglich ist, die notwendigen Schutzbereiche rund um die aktiven Sammelschienen einer Schaltanlage zu ermitteln und zugleich die Wahrscheinlichkeit von Blitzeinschlägen zu reduzieren. Nicht behandelt werden Erdungsanlagen sowie Verletzungen durch Berührungs- und Schrittspannungen.

Anhand der Norm ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 „Starkstromanlagen mit Nennwechselspannungen über 1 kV“ werden angegebene Mindestabstände zwischen aktiven und geerdeten Anlagenteilen vorgegeben, um den zu schützenden Bereich um die spannungsführenden Sammelschienen (definiert als Gefahrenzone) festzulegen [2, 3]. Aus diesen Überlegungen ergibt sich ein um die aktiven Teile vergrößertes, zu schützendes Volumen in der Freiluftschaltanlage, in das der sogenannte Leitblitzkopf nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 nicht eindringen soll. Um direkte Blitzeinschläge in das zu schützende Volumen, definiert durch die Grenzen der Gefahrenzone um die aktiven Teile, zu verhindern, werden Fangeinrichtungen vorgesehen. Fangstangen kommt hier zum Schutz von Hochspannungs-Freiluftschaltanlagen die größte Relevanz zu. Ob eine Fangstange den Anforderungen an einen ausreichenden Blitzschutz genügt, hängt von der Positionierung und ihrer Höhe ab.

Am Beispiel einer 380-kV-Hochspannungs-Freiluftschaltanlage werden die relevanten Abschnitte beider Normen miteinander kombiniert und die Auslegung eines äußeren Blitzschutzes vorgestellt. Die gezeigte Methodik hat in die in Österreich gültigen OVE-Richtlinien der Reihe R 1000 Eingang gefunden [4, 5].

2 Methoden zur Auslegung des äußeren Blitzschutzes

2.1 Blitzkugelverfahren nach ÖVE/ÖNORM EN 62305-3

Das Blitzkugelverfahren nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 stellt eine von drei Methoden dar, um einschlagsgefährdete Bereiche eines zu schützenden Objekts bzw. Volumens zu ermitteln und die Wahrscheinlichkeit von direkten Blitzeinschlägen wesentlich zu reduzieren. Das Blitzkugelverfahren beruht auf dem sogenannten geometrisch-elektrischen Modell [1]. Dabei wird die Enddurchschlagstrecke als Kugel modelliert, wobei der Mittelpunkt dieser Kugel den Leitblitzkopf darstellt, welcher dem unteren Ende der heranwachsenden Entladung entspricht. In Abhängigkeit der Entfernung zum Leitblitzkopf können allen Punkten, von denen Fangentladungen ausgehen, bestimmte Einschlagswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden. Die minimale Entfernung zwischen Leitblitzkopf und dem Ausgangspunkt einer Fangentladung wird Enddurchschlagstrecke genannt, dies entspricht beim Blitzkugelverfahren dem Radius der Blitzkugel r. Bei der Oberfläche der Blitzkugel handelt es sich somit um potenzielle Einschlagspunkte. Aus diesen Überlegungen kann das Blitzkugelverfahren abgeleitet werden, wobei die Kugel in alle Richtungen über das zu schützende Volumen „gerollt“ wird (Abb. 1a). Alle Punkte, wo die Blitzkugel das betrachtete Volumen berührt, müssen geschützt werden. In Abhängigkeit vom maximalen Stromscheitelwert des Blitzstromes wurden definierte Blitzschutzklassen (BSK) festgelegt, welchen unterschiedliche Radien r der Blitzkugel zugeordnet wurden. Für BSK III beträgt der Blitzkugelradius r = 45 m und für BSK II ist der Blitzkugelradius mit r = 30 m vorgegeben. Mit r = 20 m gibt BSK I den kleinsten Radius vor [1].

Abb. 1
figure 1

a Blitzkugelverfahren zur Ermittlung potenzieller Einschlagspunkte (rote Linien) nach [1] und b aufgespannter Schutzraum (blau) bei Verwendung von zwei Fangstangen nach [2]

2.2 Schutzmethode nach ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1

Die in der Norm ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 beschriebene Schutzmethode gegen direkten Blitzeinschlag (Anhang E, informativ) geht nicht von definierten Blitzkugelradien aus, sondern macht den Radius R von den Abmessungen des zu schützenden Objekts bzw. Volumens abhängig (Abb. 1b). Eine Einschränkung besteht darin, dass die Höhe des Schutzraumes auf 25 m begrenzt ist, wobei diese Höhe den Verhältnissen in der 420-kV-Netzebene entspricht. Der aufgespannte Schutzraum zweier Fangstangen der Höhe hF mit einem maximalen Abstand von 3hF ist in Abb. 1b dargestellt. Das zu schützende Objekt (z. B. eine Sammelschiene) muss sich innerhalb des aufgespannten Schutzraumes befinden [2].

3 Blitzschutzauslegung nach ÖVE/ÖNORM EN 62305-3 adaptiert für eine Hochspannungs-Freiluftschaltanlage

3.1 Methodik

In diesem Beitrag wird eine Vorgehensweise für die Auslegung des Blitzschutzes von Hochspannungs-Freiluftschaltanlagen beschrieben, die auf Basis des Blitzkugelverfahrens nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 eine Methodik entwickelt, mit welcher es möglich ist die Positionen und Höhen der Fangeinrichtungen rund um die aktiven Sammelschienen zu ermitteln und zugleich die Wahrscheinlichkeit von Blitzeinschlägen zu reduzieren.

Zunächst wird ein erweiterter Bereich um die Sammelschienen als Hochspannungs-Gefahrenzone, welche es vor direkten Blitzeinschlägen zu schützen gilt, definiert. Hierzu müssen die geometrischen Abmessungen der Sammelschienen, Mindestabstände zwischen aktiven und passiven Leitern, Mindesthöhen zwischen aktiven Leitern und geerdeten Anlagenteilen, Trennungsabstände sowie Mindestmaße der Fangstangen ermittelt werden. Der Blitzschutz wurde am Beispiel der 380-kV-Spannungsebene im österreichischen Höchstspannungsnetz ausgelegt.

Bei der Positionierung und Dimensionierung von Fangstangen sind anlagentechnische und normative Vorgaben zu berücksichtigen. Die Methodik zur Auslegung der Fangstangen legt die BSK II zu Grunde und wurde in folgende Teile gegliedert, wobei sich Teil 1 und Teil 2 nach der Norm ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 und Teil 3–6 nach der Norm ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 richten:

  1. 1.

    Sammelschienenanordnung anhand der Mindestabstände

  2. 2.

    Definition einer Hochspannungs-Gefahrenzone

  3. 3.

    Ermittlung einschlagsgefährdeter Bereiche

  4. 4.

    Berücksichtigung des Trennungsabstandes

  5. 5.

    Erforderliche Mindesthöhe der Fangstangen

  6. 6.

    Graphische Überprüfung

3.2 Sammelschienenanordnung und Definition der Hochspannungs-Gefahrenzone

Zunächst wurden die geometrischen Abmessungen einer dreipoligen Sammelschienenanordnung, welche es zu schützen gilt, bestimmt. Dazu mussten die Mindestabstände von aktiven Teilen sowie deren Mindesthöhe über begehbaren Flächen nach ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 ermittelt werden. Die Mindesthöhe über begehbaren Flächen muss wenigstens 2,25 m betragen [2]. Daraus kann die Mindesthöhe H von aktiven Teilen berechnet werden. Es wird nur von den vorgeschriebenen Mindestabständen ausgegangen. Je nach Schaltanlage und Bauweise kann es sein, dass sich unter den Sammelschienen Trennschalter, Transport- oder Bedienwege befinden. Weiter müssen zwischen den Gerüsten und den Sammelschienen Isolatoren, deren Länge abhängig vom Isolationspegel ist, angebracht werden. Dadurch kann die Anbringungshöhe der Sammelschienen variieren.

Aufgrund obiger Überlegungen ergibt sich um die Sammelschienen ein Bereich, der anhand der Mindestabstände definiert ist. Dieser in allen Darstellungen flächig rot gekennzeichnete Bereich wird als Hochspannungs-Gefahrenzone (HS-Gefahrenzone) bezeichnet (Abb. 2). Die Höhe der HS-Gefahrenzone hG kann mit Gl. 1 berechnet werden, wobei N (nach ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 [2]) den Leiter-Erde-Abstand, dL‑L den Leiter-Leiter-Abstand und rs den Radius der Sammelschienen darstellt:

$$h_{\mathrm{G}}=2,25\,\mathrm{m}+N+d_{\mathrm{L-L}}+2r_{\mathrm{s}}$$
(1)
Abb. 2
figure 2

Prinzipieller Aufbau einer dreipolige Sammelschienenanordnung mit HS-Gefahrenzone (flächig rot): a Längsschnitt, b Querschnitt und c Aufsicht

Die Mindestabstände in der 380-kV-Spannungsebene ergeben einen Leiter-Leiter-Abstand von dL‑L =3,6 m und Leiter-Erde-Abstand von N = 3,4 m (Bemessungs-Blitzstoßspannung Up = 1300 kV/1425 kV und Bemessung-Schaltstoßspannung Us = 1050 kV/1575 kV (Leiter/Erde und Leiter/Leiter)) [2]. Typischerweise werden Sammelschienen als Rohr ausgeführt und haben einen Durchmesser von d = 0,1–0,25 m [6]. Für die Betrachtungen wurde ein Durchmesser von ds = 0,2 m (Radius rs = 0,1 m) gewählt. Um die HS-Gefahrenzone definieren zu können, wurde der Leiter-Leiter-Abstand dL‑L herangezogen und die HS-Gefahrenzone zylinderförmig um die drei Leiter angenommen. Da in der 380-kV-Spannungsebene die Leiter-Erde-Abstände weniger als die Leiter-Leiter-Abstände betragen, reicht die HS-Gefahrenzone bis zum geerdeten Gerüst, an dem die Stützisolatoren befestigt sind (Abb. 3). Die Höhe der HS-Gefahrenzone berechnet sich hierbei nach Gl. 1 zu hG = 9,45 m.

Abb. 3
figure 3

Dreipolige Sammelschienenanordnung einer 380-kV-Freiluftschaltanlage mit HS-Gefahrenzone (flächig rot)

3.3 Ermittlung einschlagsgefährdeter Bereiche

Zur Ermittlung einschlagsgefährdeter Bereiche am Rand der HS-Gefahrenzone um die Sammelschienen wurde das Blitzkugelverfahren mit einem Kugelradius von r = 30 m für BSK IIFootnote 1 auf das Modell angewendet (Abb. 4). Alle Bereiche, wo die Blitzkugel die Ränder der HS-Gefahrenzone berührt, sind als rote Linien eingezeichnet und stellen Bereiche mit hoher Einschlagswahrscheinlichkeit dar. Die HS-Gefahrenzone muss innerhalb des Schutzraumes der geplanten Fangstangen liegen.

Abb. 4
figure 4

Ermittlung einschlagsgefährdeter Bereiche (rote Linien) am Rand der HS-Gefahrenzone (flächig rot) einer dreipoligen Sammelschienenanordnung nach dem Blitzkugelverfahren (BSK II)

3.4 Berücksichtigung des Trennungsabstandes

Um aufgrund des großen Spannungsabfalls an Fangstangen bei Blitzeinschlägen einen Überschlag zu vermeiden, ist nach der Norm ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 zwischen den Fangeinrichtungen und Ableitungen des Blitzschutzsystems auf der einen Seite und den spannungsführenden Teilen auf der anderen Seite ein Trennungsabstand einzuhalten [1]. Dieser sollte mindestens dem berechneten Trennungsabstand s aus Gl. 2 entsprechen. Der Trennungsabstand s kann bei Sammelschienen nach den folgenden Überlegungen berücksichtigt werden:

  • Fall A: Geerdete Fangstangen führen bei einem Einschlag einen Blitzstrom und sind somit als spannungsführende Teile zu betrachten. Werden die Fangstangen direkt an der Grenze der HS-Gefahrenzone platziert – was bei eingehaltenem Mindestabstand dL‑L der Norm ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 entspricht – würde es zu einer Verletzung des Trennungsabstandes s in der HS-Gefahrenzone kommen (Abb. 5a). Dies kann durch die hohe Feldstärke an den Sammelschienen und die transiente Spannungsanhebung an der Fangstange zu einem Überschlag führen.

  • Fall B: Der Trennungsabstand s zwischen den Fangstangen und der HS-Gefahrenzone wird eingehalten, wodurch die Wahrscheinlichkeit eines Überschlages stark reduziert wird, da es zu keiner Verletzung der HS-Gefahrenzone kommt (Abb. 5b).

Abb. 5
figure 5

Trennungsabstand (rot-weiß) einer Fangstange zur HS-Gefahrenzone (flächig rot): a Verringerung der HS-Gefahrenzone durch den Trennungsabstand und b korrekte Berücksichtigung des Trennungsabstandes zwischen Fangstange und HS-Gefahrenzone

Aufgrund obiger Ausführungen wurde der Trennungsabstand s nach Fall B (Abb. 5b) berücksichtigt. Der Trennungsabstand s sollte im betrachteten Beispiel mit mindestens s ≥ 0,35 m ausgeführt werden (Gl. 2). Die Werte der Parameter ki, kc und km sind in der Norm ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 definiert, wobei BSK II, Luft als Isoliermedium und eine Fangstange angenommen wurde [1]. l entspricht der Länge entlang der Fangstange von dem Punkt aus, an dem der Trennungsabstand berechnet werden soll und ergibt sich somit aus der Geometrie der Sammelschienenanordnung und der HS-Gefahrenzone zu l = 5,75 mFootnote 2. Damit beläuft sich der Abstand dF,quer zwischen den Fangstangen auf dF,quer = 16 m (Trennungsabstand gerundet auf s = 0,5 m, Abb. 6).

$$s\geq \frac{k_{\mathrm{i}}\cdot k_{\mathrm{c}}}{k_{\mathrm{m}}}\cdot l=\frac{0,06\cdot 1}{1}\cdot 5,75\,\mathrm{m}=0,35\,\mathrm{m}$$
(2)
Abb. 6
figure 6

Ermittlung des Trennungsabstandes unter Berücksichtigung der HS-Gefahrenzone (flächig rot) einer dreipolige Sammelschienenanordnung

3.5 Erforderliche Mindesthöhe der Fangstangen

Maßgeblich von der Höhe der Fangstange hF hängt die Eindringtiefe p der Blitzkugel ab (i. e. wie weit die Blitzkugel in den Schutzraum hineinragt, Abb. 7). Die Fangstangen müssen eine Mindesthöhe aufweisen, sodass trotz Eindringtiefe p kein Punkt der Blitzkugel die HS-Gefahrenzone verletzt. Die Eindringtiefe p kann über den größten Abstand dmax zwischen zwei Fangstangen berechnet werden (Gl. 3; [1]). Der größte Abstand der Fangstangen entspricht der Diagonalen eines Rechtecks und kann mit dem pythagoreischen Lehrsatz berechnet werden:

$$d_{\max }=\sqrt{{d_{\text{F,l"angs}}}^{2}+{d_{\text{F,quer}}}^{2}}$$
(3)
Abb. 7
figure 7

Zusammenhang zwischen Eindringtiefe p und Abstand der Fangstangen (grün) zueinander

Die Formel zur Berechnung der Eindringtiefe p leitet sich aus der Formel für die Höhe eines Kreissegments mit dem Radius r (Radius der Blitzkugel) ab:

$$p=r-\sqrt{r^{2}-\left(\frac{d_{\max }}{2}\right)^{2}}$$
(4)

Zur Ermittlung der Fangstangenhöhe muss jedenfalls darauf geachtet werden, dass die Blitzkugel die HS-Gefahrenzone nicht verletzt. Aus dieser Bedingung ergibt sich, dass die Höhe der Fangstange hF in jedem Fall größer als die Höhe der HS-Gefahrenzone hG zuzüglich der Eindringtiefe p sein muss:

$$h_{\mathrm{F}}> p+h_{\mathrm{G}}$$
(5)

Bei gleicher Wahl der Abstände zwischen den Fangstangen in Längs- und Querrichtung (dF,längs = dF,quer = 16 m, Abschn. 3.4) und BSK II (r = 30 m) ergibt sich die Mindesthöhe hF der Fangstangen am Beispiel einer 380-kV-Freiluftschaltanlage zu hF = 11,67 m. Abb. 8 zeigt die HS-Gefahrenzone (flächig rot) inklusive der ermittelten einschlagsgefährdeten Bereiche (rote Linien) sowie die Fangstangen mit der erforderlichen Mindesthöhe hF inklusive deren Schutzraum (blau). Abb. 8a zeigt die Schnittebene bei maximaler Eindringtiefe p der Blitzkugeln, da diese auf allen vier Fangstangen aufliegen (vgl. Abb. 7). Die Blitzkugeln in Abb. 8b liegen in der Schnittebene der gegenüberliegenden Fangstangen. Wie zu erkennen ist, befindet sich die gesamte HS-Gefahrenzone im aufgespannten Schutzbereich der Fangstangen.

Abb. 8
figure 8

Dreipolige Sammelschienenanordnung einer 380-kV-Freiluftschaltanlage mit HS-Gefahrenzone (flächig rot) und Fangstangen inklusive Schutzraum (blau) mit zwei Schnittebenen: a Schnittebene bei maximaler Eindringtiefe p und b Schnittebene auf Höhe gegenüberliegender Fangstangen

3.6 Weiterführung der Methodik

Durch die Anpassung der Mindestabstände und Mindesthöhen nach ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 und somit der HS-Gefahrenzone kann die vorgestellte Methodik auch für andere Spannungsebenen adaptiert werden. Ferner sind die Enden der Sammelschienen (Abb. 2a) sowie die Übergänge zu anderen elektrischen Anlagenteilen und Betriebsmitteln gesondert zu betrachten, da sich die gesamte zylinderförmige HS-Gefahrenzone innerhalb des Schutzraumes befinden muss. Werden die Sammelschienen oberhalb der erforderlichen Mindesthöhe montiert, muss eine Anpassung der Trennungsabstände zwischen den Fangstangen und der HS-Gefahrenzone erfolgen (Abb. 5). Eine Variation des Abstandes zwischen den Fangstangen entlang der Sammelschienen dF,längs (Abb. 7) erfordert ebenfalls eine Anpassung der Mindesthöhe der Fangstangen. Bei Adaption auf Doppel‑, Dreifach- und Mehrfach-Sammelschienenanordnungen ist das zu schützende Volumen anzupassen, wodurch die beschriebene Methodik gleichermaßen angewendet werden kann.

3.7 Vergleich der Schutzmethoden

Ein Vergleich der adaptierten Methode nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 (Abschn. 2.1) und der Schutzmethode nach ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 (Abschn. 2.2) zeigt, dass bei steigendem Isolationspegel in beiden Fällen die erforderlichen Mindesthöhen der Fangstangen zunehmen. Die Berechnungsgrundlagen beider Methoden sind in Tab. 1 angeführt.

Tab. 1 Berechnungsgrundlagen für die Fangstangenhöhen nach ÖVE/ÖNORMEN

Für das betrachtete Beispiel ergibt sich nach ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 [2] unter Berücksichtigung des Trennungsabstandes eine Mindesthöhe der Fangstangen von hF = 11,99 m. Dieses Ergebnis korreliert sehr gut mit dem nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 [1] ermittelten Wert von hF = 11,67 m. Es zeigt sich jedoch, dass ab einer bestimmten Schutzraumhöhe die erforderliche Fangstangenhöhe nach ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 im Vergleich zum Blitzkugelverfahren abnimmt. Der Grund liegt darin, dass der obere Schutzraum vom Kreisbogen mit dem Radius R abhängt (Abb. 1b). Übersteigt dieser Radius den Wert des Radius der Blitzkugel nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3, vergrößert sich zwar der aufgespannte Schutzraum, jedoch wäre eine ausreichende Schutzwirkung nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 nicht mehr gewährleistet. Diese Erkenntnis ist besonders bei der Auslegung des Blitzschutzes von Mehrfach-Sammelschienenanordnungen, aufgrund der größeren Abstände zwischen den Fangstangen dF,quer, zu berücksichtigen.

Ein Vergleich in der praktischen Anwendung zeigt, dass die Adaption des Blitzkugelverfahrens nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 einfacher anzuwenden ist, da hier die Kugelradien fest vorgegeben werden. Diese Erkenntnis spiegelt sich auch in der Komplexität der Formeln in Tab. 1 wieder.

4 Zusammenfassung

Hochspannungs-Schaltanlagen bilden die Knotenpunkte der elektrischen Energieversorgungsnetze. Dem Blitzschutz dieser Anlagen kommt deshalb in allen Spannungsebenen und Ausführungsformen große Bedeutung zu, um Schäden an den Anlagenkomponenten zu vermeiden und Versorgungsunterbrechungen zu minimieren. In diesem Zusammenhang sind besonders Freiluftschaltanlagen den direkten Einwirkungen von Blitzentladungen ausgesetzt, da sich deren spannungsführende Anlagenteile im Freien und in exponierter Lage befinden.

Der Blitzschutz von baulichen Anlagen und Personen ist in der Norm ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 geregelt, der Blitzschutz von Hochspannungsanlagen wird darin nicht gesondert angeführt. Die Anforderungen an Hochspannungsanlagen sind in der Norm ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 definiert, in welcher eine Schutzmethode zur Auslegung des Blitzschutzes von Hochspannungs-Freiluftschaltanlagen beschrieben wird.

Auf Basis dieser beiden Normen wurde eine Methodik zur praktischen Auslegung des äußeren Blitzschutzes am Beispiel einer 380-kV-Hochspannungs-Freiluftschaltanlage erarbeitet, wobei alle relevanten Abschnitte aus den angeführten Normen einbezogen und kombiniert wurden.

Durch die Definition der Hochspannungs-Gefahrenzone nach ÖVE/ÖNORM EN 61936‑1 und unter Berücksichtigung von Mindestabständen und Mindesthöhen aktiver Teile wurde in diesem Beitrag ein vor Blitzeinschlägen zu schützender Bereich definiert. Mit Hilfe des Blitzkugelverfahrens und der definierten Blitzschutzklasse (BSK II) nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 können in weiterer Folge einschlagsgefährdete Bereiche ermittelt werden und die Positionierung der Fangstangen entsprechend des zu schützenden Volumens, definiert durch die Hochspannungs-Gefahrenzone, ausgelegt werden.

Bei der Anordnung der Fangstangen muss zusätzlich zur Hochspannungs-Gefahrenzone ein Trennungsabstand nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 berücksichtigt werden (Vermeidung von Erdschlüssen bei Ableitung von Blitzströmen), woraus sich die erforderliche Mindesthöhe der Fangstangen ergibt.

Auf Basis des Blitzkugelverfahrens nach ÖVE/ÖNORM EN 62305‑3 konnte für den darin nicht behandelten Bereich der Schaltanlagen eine Methodik entwickelt werden, mit welcher es möglich ist, die notwendigen Schutzräume rund um die aktiven Sammelschienen von Hochspannungs-Freiluftschaltanlagen zu ermitteln und zugleich die Wahrscheinlichkeit von direkten Blitzeinschlägen in aktive Teile wesentlich zu reduzieren.

Die praxisbezogenen Ausführungen dieser Arbeit für den Blitzschutz von Hochspannungs-Freiluftschaltanlagen stellten die Vorarbeit für die 2019 erschienen OVE-Richtlinien der Reihe R 1000 dar. Besonders hervorzuheben ist dabei der Blitzschutz unter Berücksichtigung der Gefahrenzone und des Trennungsabstandes (OVE-Richtlinie R 1000-3). Für Hochspannungs-Freiluftschaltanlagen wird in den Richtlinien Mindestblitzschutzklasse BSK II gefordert, um ein ausreichendes Schutzziel zu gewährleisten.

5 Nomenklatur

Die Nomenklatur finden Sie in Tab. 2.

Tab. 2 Nomenklatur