Medizinische Technologien können Leben retten und die Lebensqualität von kranken Menschen verbessern. Ihr Einsatz kann von den Betroffenen aber auch als einschränkend, belastend oder sogar traumatisierend erlebt werden. In der Falldarstellung spitzt sich diese Ambivalenz auf die folgende Fragestellung zu: Was sollen die behandelnden Ärzt*innen tun, wenn der Patient eine aus ihrer Sicht vielversprechende Implantation eines Herzunterstützungssystems ablehnt? Inwiefern sollen bzw. dürfen sie den Patienten zu einem Überdenken seiner Entscheidung bewegen?

Es geht um den 58-jährigen Herrn B., der schwer herzkrank ist. Vor einigen Jahren wurde ihm zur Behandlung einer Herzrhythmusstörung ein Defibrillator implantiert. Dieser hat zweimal im Abstand von sechs Jahren einen Schock ausgelöst und Herrn B. damit möglicherweise zweimal das Leben gerettet. Bei der ersten Schockabgabe war Herr B. bewusstlos, so dass er nichts mitbekommen hat. Die zweite Schockabgabe erlebte Herr B. bei vollem Bewusstsein. Die damit verbundene Erfahrung der Todesnähe hat massive psychische und soziale Auswirkungen: Herr B. reagiert mit Ängsten, Nervosität, existentieller Kränkung, kann nur noch mit Hilfe starker Beruhigungsmittel einschlafen. Die Ehefrau, durch das Ereignis ebenfalls nachhaltig belastet, schläft aus Angst, eines Morgens neben einem toten Ehemann aufzuwachen, in einem eigenen Bett, wodurch sich wiederum Herr B. „vor den Kopf gestoßen“ fühlt.

Die Schilderung des „Schockereignisses“ und seiner Folgen bilden aber nur den Auftakt für die eigentliche ethische Fragestellung. Herr B. hat aufgrund seiner schweren Herzinsuffizienz seinen Beruf als Architekt aufgeben müssen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erlebt er seine neue Lebenssituation als Chance: Er engagiert sich ehrenamtlich und fährt regelmäßig mit seiner Frau zur Erholung an die Ostsee. Monetäre Erfolge spielen keine Rolle mehr, stattdessen gewinnt die gemeinsame (Urlaubs‑)Zeit mit seiner Frau an Wichtigkeit. In dieser Situation wird von den behandeln Ärzt*innen die Implantation eines Herzunterstützungssystems, eines sog. Left Ventricular Assist Device (LVAD), vorgeschlagen. Herr B. scheint für dieses System der geeignete Kandidat zu sein: Er ernährt sich gesund, bewegt sich ausreichend, hat das Rauchen aufgegeben. Der Zeitpunkt der LVAD-Implantation könnte variabel gewählt werden. Das Herzunterstützungssystem könnte den Zeitraum für eine spätere Herztransplantation überbrücken: Es würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Herr B. die Herztransplantation überhaupt erlebt, den Verlauf und die Prognose des Eingriffs erhöhen und die Lebensqualität bis zur möglichen Herztransplantation aus Sicht der Ärzt*innen deutlich erhöhen.

Herr B. sieht das für sich aber anders: Die Wahrscheinlichkeit einer Herztransplantation erachtet er als gering. Außerdem geht es ihm nicht um ein möglichst langes Leben. Vielmehr möchte er die ihm verbleibende Lebenszeit mit schönen Dingen füllen. Das Herzunterstützungssystem sieht er dabei als eher hinderlich an: Er könnte nicht mehr schwimmen gehen, nicht mehr duschen, müsste ständig die Akkulaufzeiten im Blick haben, hätte ständig Sorge vor einem Versagen. Er lehnt die Implantation deshalb ab.

Dass Herr B. das Recht hat, das ihm angebotene Herzunterstützungssystem abzulehnen, dürfte heute außer Frage stehen. Jeder medizinscher Eingriff bedarf neben der medizinischen Indikation, die im beschriebenen Fall aus ärztlicher Sicht klar gegeben scheint, der Einwilligung des angemessen aufgeklärten Patienten. Auch wenn es im Fallbeispiel nicht ausdrücklich erwähnt ist, lässt sich doch aus den zitierten Aussagen von Herrn B. schließen, dass er umfassend über den Eingriff, seine Chancen und möglichen Risiken, sowie über die möglichen Folgen im Falle eines Unterlassens der Implantation aufgeklärt ist. An keiner Stelle im Text wird erwähnt, dass es ärztlicherseits Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit von Herr B. gibt.

Die Frage am Ende der Falldarstellung lautet folglich auch nicht, ob Herr B. den Eingriff ablehnen kann, sondern wie die behandelnden Ärzt*innen mit der Ablehnung umgehen sollen: Sollen sie die Ablehnung akzeptieren oder den Patienten zu einem Überdenken seiner Entscheidung bewegen? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie man die Verpflichtungen, die aus den Prinzipien der Respektierung der Selbstbestimmung und der ärztlichen Fürsorge resultieren, gegeneinander abwägt.

Bis vor etwa 25 Jahren fiel diese Abwägung klar zugunsten der ärztlichen Fürsorge aus. So heißt es etwa in den bis 1998 geltenden Richtlinien der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung:

„Der Arzt soll Kranken, die eine notwendige Behandlung ablehnen, helfen, ihre Einstellung zu überwinden.“ (Bundesärztekammer 1993, B 1791)

Diese Aussage impliziert zwar, dass jeder ärztliche Eingriff nur mit Einwilligung der Patient*in erfolgen darf, doch wird diese nur als formale juristische Voraussetzung betrachtet. Die Ablehnung der aus ärztlicher Sicht „notwendigen Behandlung“ wird nicht als selbstbestimmte Entscheidung betrachtet, für die die Patient*in möglicherweise gute Gründe hat, sondern als eine bloße „Einstellung“, die es „zu überwinden“ gilt. Bezogen auf den Fall von Herrn B. würde daraus die Verpflichtung für die behandelnden Ärzt*innen folgen, Herrn B. davon zu überzeugen, dass die LVAD-Implantation für ihn der richtige Weg darstellt, und dadurch seine Einwilligung in den Eingriff zu erhalten.

Diese paternalistische Grundhaltung hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert. In den aktuellen Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung kann man dazu lesen:

„Der Arzt soll Kranken, die eine indizierte Behandlung ablehnen, helfen, die Entscheidung zu überdenken.“ (Bundesärztekammer 2011, A 347)

Diese Aussage betont das Selbstbestimmungsrecht der Patient*in ohne aber die ärztliche Verantwortung ganz aufzugeben. Sie erkennt an, dass es sich bei der Ablehnung der Patient*in um eine „Entscheidung“ handelt. Die Verantwortung der Ärzt*in äußert sich nicht darin, die Patient*in von dieser Entscheidung abzubringen. Vielmehr soll die Ärzt*in der Patient*in helfen, die Entscheidung zu „überdenken“. Dies kann z. B. in Form eines ergebnisoffenen Gesprächsangebots erfolgen, mit dem sichergestellt werden soll, dass die Patient*in am Ende eine wohlinformierte und wohlüberlegte Entscheidung trifft, die unabhängig vom Ergebnis zu respektieren ist. Der Wechsel der Formulierung von der „notwendigen“ hin zur „indizierten Behandlung“ unterstreicht den hier zum Ausdruck kommenden Gedanken einer gemeinsamen Entscheidungsfindung (shared decision-making): Während „notwendig“ impliziert, dass jedes Abweichen vom ärztlichen Vorschlag defizitär ist, beschreibt „indiziert“ die Einschätzung der Ärzt*in, dass die vorgeschlagene Maßnahme dazu beitragen kann, ein bestimmtes Behandlungsziel zu erreichen. Lehnt die Patient*in die Durchführung dieser Maßnahme ab, weil sie das mit ihr verfolgte Behandlungsziel nicht (mehr) verfolgt oder die mit ihr verbundenen Risiken, Belastungen und Einschränkungen nicht erdulden möchte, wird die Ärzt*in mit ihr über andere Maßnahmen und ggf. auch andere Behandlungsziele nachdenken, die mit der aktuellen Lebenssituation und den Präferenzen der Patient*in besser übereinstimmen.

Wie könnte nun die Hilfe zu einem Überdenken der Entscheidung im geschilderten Fall aussehen? Und ab wann stellt ein (erneutes) Gesprächsangebot keine Hilfe zur selbstbestimmten Entscheidung, sondern einen paternalistischen Überredungsversuch dar?

Nimmt man den Gedanken der Hilfe zu einer selbstbestimmten Entscheidung ernst, so erscheint ein erneutes Gesprächsangebot nur dann gerechtfertigt, wenn die Ärzt*innen begründet davon ausgehen können, dass die Ablehnung der LVAD-Implantation auf einem Autonomiedefizit beruht, dessen Behebung dazu führen würde, dass Herr B. in die Implantation einwilligt. Solche behebbaren Autonomiedefizite können kognitiv, aber auch emotional begründet sein. Kognitive Autonomiedefizite wären z. B. mangelnde oder nicht ausreichend verstandene Information, die zu einer sachlich nicht angemessenen Einschätzung des Eingriffs und der mit ihm verbundenen Vor- und Nachteile führen. Diese könnten durch eine erneute und stärker patientengerechte Aufklärung behoben werden. Emotionale Defizite können u. a. aus psychisch nicht adäquat verarbeiteten Ereignissen resultieren, die die Umsetzung einer eigentlich als sinnvoll angesehen Maßnahme erschweren oder verhindern. Hier könnte ein psychologisches oder psychotherapeutisches Unterstützungsangebot hilfreich sein.

Wie oben bereits festgestellt, scheint Herr B. – sofern man dies aus den zitierten Aussagen schließen kann – umfassend über das Herzunterstützungssystem und dessen mögliche Vor- und Nachteile informiert zu sein und die erhaltenen Informationen auch verstanden zu haben. Kognitive Autonomiedefizite dürften also bei seiner Ablehnung keine Rolle spielen. Bezüglich möglicher emotionaler Defizite wäre es interessant zu wissen, in welchem zeitlichen und kausalen Zusammenhang die Erfahrung der zweite Schockabgabe und die damit verbundenen physischen, psychischen und sozialen Folgen mit der Ablehnung der LVAD-Implantation stehen. Dies geht leider aus der Falldarstellung nicht eindeutig hervor.

Zusammenfassend kann man festhalten: Die Falldarstellung enthält keine Hinweise auf eine mangelnde Aufklärung oder fehlende Einwilligungsfähigkeit. Es erscheint vielmehr so, dass Herr B. umfassend informiert sowie in der Lage ist, das Für und Wider einer möglichen LVAD-Implantation für sich abzuwägen. Die Ablehnung des Herzunterstützungssystems erscheint als Ergebnis eines persönlichen Abwägungsprozesses vor dem Hintergrund einer geänderten Lebenssituation und geänderter Präferenzen. Nach meiner Einschätzung wäre deshalb ein erneuter Versuch, den Patienten zu einem Überdenken seiner Entscheidung zugunsten einer Implantation zu bewegen, nicht angemessen. Gegebenenfalls könnte man Herrn B. auf psychologische bzw. psychotherapeutische Unterstützungsangebote hinweisen. Ferner sollte man ihm zusichern, dass er sich melden kann, wenn er seine Entscheidung bezüglich der Implantation geändert hat.