Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags

  • können Sie die Voraussetzungen der akzelerierten Impfstoffentwicklung gegen COVID-19 zuverlässig benennen.

  • sind Ihnen die zugelassenen COVID-19-Impfstoffe und ihre Wirkweise bekannt.

  • können Sie die Verträglichkeit und Wirksamkeit der COVID-19-Impfstoffe einordnen.

  • kennen Sie Indikationen und Kontraindikationen der COVID-19-Impfung.

  • kennen Sie die aktuellen Impfempfehlungen für besondere Personengruppen.

Fallbeispiel

Ihre 32-jährige Patientin Frau L. und ihr 31-jähriger Partner Herr L. möchten sich von Ihnen zur Impfung gegen COVID-19 beraten lassen. Sie haben bereits einiges über die Impfungen gehört, sind sich aber unsicher, ob sie diese wahrnehmen sollten. Frau L. befindet sich in der 32. Schwangerschaftswoche und hat keine Vorerkrankungen; ihr Partner ist ebenfalls gesund. Frau und Herr L. haben viele Fragen: Wie war es möglich, dass die Impfstoffe so schnell entwickelt wurden? Sind diese dann überhaupt sicher? Wie funktionieren die neuen Impfstoffe eigentlich? Und empfehlen Sie Ihnen die Impfung?

Einleitung

Die Coronapandemie stellt die Weltgemeinschaft vor eine beispiellose Herausforderung. Die möglichst rasche Entwicklung sicherer und wirksamer Impfstoffe gegen COVID-19 ist ein grundlegender Bestandteil der Pandemiebekämpfung. Lediglich 11 Tage nach den ersten Medienberichten über eine neuartige virale respiratorische Erkrankung erfolgte die Publikation des Genoms des „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2); vier Tage später ging der erste Impfstoff in Produktion [1]. Aktuell befinden sich über 100 Impfstoffkandidaten in klinischer Prüfung [2]; mehr als ein Dutzend Impfstoffe werden weltweit bereits angewendet. In der EU haben bislang die Impfstoffe der Firmen BioNTech/Pfizer, Moderna, AstraZeneca sowie Johnson & Johnson eine Zulassung erhalten. Sie basieren alle auf den neueren Vektor- und mRNA-Impfstoffplattformen. In diesem Beitrag werden diese Plattformen, ihre Entwicklung sowie ihre Sicherheit und Wirksamkeit in Gesunden und Risikogruppen näher beleuchtet.

COVID-19-Impfstoffentwicklung

Die Entwicklung eines Impfstoffes ist komplex und in der Regel ein langjähriger Prozess. Die Zulassung eines Impfstoffs bei der European Medicines Agency (EMA, dt.: Europäische Arzneimittel-Agentur) unterliegt strengen Regularien. Ihr gehen die präklinische Phase (In-vitro-Studien und Tierversuche) sowie die klinischen Phasen I, II und III voraus, in denen die Sicherheit, Verträglichkeit, Immunogenität und schließlich die Wirksamkeit der Impfstoffkandidaten an einer steigenden Zahl von Proband:innen getestet werden.

Aufgrund der tragenden Bedeutung der SARS-CoV-2-Impfstoff-Entwicklung im Kontext der Pandemie erhielt diese oberste Priorität. Im Gegensatz zu der häufig jahre- bis jahrzehntelangen Entwicklung von Impfstoffen gelang es Wissenschaftler:innen in nur einem Jahr, gleich mehrere wirksame Impfstoffe gegen SARS-CoV‑2 zu entwickeln. Während dieser Erfolg beeindruckend ist, erzeugte das hohe Tempo jedoch in der Bevölkerung Bedenken, ob die Impfstoffentwicklung auf Kosten der Sicherheit beschleunigt worden sei. Um diesen Bedenken zu begegnen, sollten die historischen und regulatorischen Hintergründe betrachtet werden, die diese Entwicklung tatsächlich erst möglich gemacht haben.

Als Reaktion auf die Ebola-Epidemie in Westafrika 2014–2016, während der die Weiterentwicklung eines Ebola-Impfstoffes trotz großer Bemühungen nicht rechtzeitig zur Bekämpfung der Pandemie gelang, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Forschungs- und Entwicklungsblaupause entwickelt [3]. Diese stellt solche Infektionserreger heraus, von denen ein besonderes Risiko für das Auslösen einer Pandemie ausgeht (sog. prioritäre Pathogene) und betont die Bedeutung der Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika für eine effektive Vorbereitung auf Pandemien.

Wissenschaftliche Vorarbeiten

Bereits im Zuge dieser Vorbereitung wurde aktiv an Impfstoffen gegen die hochpathogenen Coronaviren (CoV) SARS-CoV und MERS-CoV (MERS: „middle east respiratory syndrome“) geforscht, die als prioritäre Pathogene identifiziert wurden. Der Impfstoff gegen MERS-CoV wurde bereits erfolgreich in klinischen Phase-I-Studien getestet [4, 5]. Hierbei konnte die Zielstruktur für ein Coronavirusvakzin erfolgreich identifiziert werden [6]: Coronaviren kodieren ein großes Oberflächenprotein, das Spike-Protein [7, 8], das für die Rezeptorbindung und die Membranfusion verantwortlich ist [9]. Antikörper, die an das Spike-Protein binden, insbesondere an seine Rezeptorbindungsdomäne (RBD), verhindern die Anheftung an die Wirtszelle und „neutralisieren“ das Virus. Die bereits klinisch getesteten Vakzine, die die Erbinformation des Spike-Proteins enthalten, induzierten gute Immunantworten und dienten somit als Grundlage, auch das Spike-Protein des SARS-CoV‑2 als immunogene Struktur in Impfstoffkandidaten zu nutzen.

Neben der Forschung an Impfstoffen gegen prioritäre Pathogene erhielt auch die Weiterentwicklung von Impfstoffplattformen für die Vorbereitung auf Pandemien zunehmende Bedeutung. Heute steht die wissenschaftliche Gemeinschaft an einem Punkt breiter Expertise zu verschiedenen Impfstoffplattformen. Neben den klassischen Ansätzen wie proteinbasierten, inaktivierten und lebend-attenuierten Impfstoffplattformen, werden insbesondere neuere Technologien wie Vektor- oder mRNA-basierte Impfstoffe intensiv untersucht, da sie besonders schnell an neue Pathogene angepasst werden können. So sind Vektorimpfstoffe, u. a. der Adenovirusvektor, der auch im COVID-19-Impfstoff von Johnson & Johnson verwendet wird (Ad26), bereits zur Prävention von Ebola zugelassen [10, 11]. Die COVID-19-Impfstoff-Designs konnten so auf extensiven Vorarbeiten aufbauen und teilweise sogar die Produktionskapazitäten für andere Impfstoffkandidaten der gleichen Plattform zurückgreifen, was eine erhebliche Zeitersparnis bedeutete [6]. Weiterhin trugen neben dem wachsenden wissenschaftlichen Fortschritt die globale Vernetzung und Zusammenarbeit zur akzelerierten Impfstoffentwicklung bei.

Finanzielle Ressourcen

Auch die Verfügbarkeit erheblicher finanzieller Mittel ermöglichte die Beschleunigung der Zulassungsprozesse. Voraussetzung für den Übergang der einzelnen klinischen Phasen ineinander sind üblicherweise vielversprechende Ergebnisse und darauf basierende wirtschaftliche Risikobewertungen. Die Studien im Rahmen der COVID-19-Impfstoff-Entwicklung wurden so konzipiert, dass sich die klinischen Phasen überschneiden und die Studienstarts gestaffelt wurden. Der Phase-I/II-Studien folgten so oft Phase-III-Studien bereits nach Zwischenanalyse der Phase-I/II-Daten. Die Impfstoffproduktion einiger Hersteller begann oft schon während der Phase-I/II-Studien. Dieses Vorgehen birgt ein hohes wirtschaftliches Risiko, das sowohl von Einzelländern als auch von internationalen Förderern wie der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) getragen wurde, die so entscheidend zu der beschleunigten Entwicklung und Produktion beitrugen.

Merke

Die rasche COVID-19-Impfstoff-Entwicklung wurde maßgeblich durch wissenschaftliche Vorarbeiten, finanzielle Ressourcen und administrative Erleichterungen ermöglicht.

Niedrige administrative Hürden

Zuletzt wurde auch die administrative Bearbeitung von COVID-19-Impfstoff-Studien priorisiert. So nehmen beispielsweise Lizenzierungsverfahren nach Durchführung der Zulassungsstudien weitere 1 bis 2 Jahre in Anspruch, insbesondere wenn nach Beantragung der Zulassung zusätzliche Daten angefordert werden. Im Kontrast hierzu ermöglicht das „Rolling-Review“-Verfahren der EMA die fortlaufende Einreichung von Unterlagen für eine Medikamentenzulassung. Während weiterhin die regulär notwendigen regulatorischen Voraussetzungen für eine Zulassung erfüllt sein müssen, können Zwischenergebnisse vorab begutachtet und das Zulassungsverfahren so akzeleriert werden. In der Folge kann eine auf 12 Monate eingeschränkte Zulassung erfolgen. Dies wurde im Fall der COVID-19-Impfstoff-Entwicklung umgesetzt. Die Voraussetzungen der Bewilligung einer Marktzulassung wurden vorab festgelegt und überschreiten die Anforderungen einer Notfallzulassung. Sie beinhalten neben der erfolgreichen Durchführung einer Phase-III-Studie u. a. eine minimale erwartete Wirksamkeit von 50 %, eine Verhinderung schwerer Krankheitsverläufe, Sicherheitsdaten von mindestens 6 Wochen nach Impfung (da die meisten unerwünschten Ereignisse nach Impfungen nach 4 bis 6 Wochen auftreten) sowie die Vorlage eines Plans zur Nachuntersuchung von Sicherheit und Wirksamkeit nach der Zulassung [12].

Merke

Für die Zulassung der COVID-19-Impfstoffe wird u. a. eine Wirksamkeit von 50 % vorausgesetzt.

Zugelassene Impfstoffe

Bislang haben die mRNA-Impfstoffe der Firmen BioNTech/Pfizer und Moderna sowie die adenoviralen Vektorimpfstoffe der Firmen AstraZeneca und Johnson & Johnson eine Zulassung durch die EMA erhalten und werden in Deutschland eingesetzt. Der Wirkmechanismus dieser beiden Impfstoffplattformen ist vergleichbar. Sowohl mRNA- als auch Vektorimpfstoffe beruhen auf den Prinzip, die Erbinformation eines immunogenen Abschnitts des Zielpathogens – im Fall der zugelassenen SARS-CoV-2-Impfstoffe dem viralen Spike-Protein – in menschliche Zellen einzubringen. Hier findet die Transkription (im Fall von Vektorimpfstoffen) sowie die Translation des Antigens statt. Dieses wird an die Zelloberfläche transportiert und dort Immunzellen präsentiert, um ein Immungedächtnis gegen das Pathogen zu erzeugen (Abb. 1). Um die Erbinformation intakt in die Zelle transportieren und dort ablesen lassen zu können, nutzen die mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna Lipidnanopartikel, während Vektorimpfstoffe rekombinante Trägerviren beinhalten. In der Impfstoffentwicklung wird eine Vielzahl von Trägerviren verwendet, die überwiegende Mehrheit stellen replikationsdefiziente, also mit Totimpfstoffen vergleichbare, Trägerviren dar. Auch die unterschiedlichen adenoviralen Vektoren, die in den Impfstoffen von AstraZeneca und Johnson & Johnson verwendet werden, gehören zu den replikationsdefizienten Vektoren.

Abb. 1
figure 1

a Adenovirale Vektorimpfstoffe: Der Adenovirusvektor ist so modifiziert, dass er die Erbinformation des Spike-Proteins des „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) als rekombinante DNA enthält (pink). Nach Applikation des Impfstoffs wird der Vektor in die Umgebungszellen aufgenommen, hier beispielhaft dargestellt an einer dendritischen Zelle (violett). Dort wird die DNA im Zellkern abgelesen und als mRNA in das Zytosol transportiert, wo sie translatiert wird und Spike-Proteine entstehen. Diese werden an der Zelloberfläche präsentiert und von Immunzellen als fremd erkannt; sie reagieren und bilden ein Immungedächtnis. b Lipidnanopartikelbasierte mRNA-Impfstoffe: In den aktuell verfügbaren mRNA-Impfstoffen liegt die Erbinformation des Spike-Proteins von SARS-CoV‑2 als mRNA (blau), umhüllt von Lipidnanopartikeln (gelb), vor. Nach Aufnahme in die Zellen an der Impfstelle (grün) wird die mRNA freigesetzt und im Zytosol translatiert. Auf diese Weise entsteht auch hier Spike-Protein (rot), das wiederum an der Zelloberfläche und von antigenpäsentierenden Zellen wie hier einer dendritischen Zelle (violett) präsentiert wird und Immunantworten induziert

Verträglichkeit und Nebenwirkungen

Bezogen auf Standardimpfungen sind die COVID-19-Impfstoffe vergleichsweise reaktogen. Dabei ist im Fall der Impfung von AstraZeneca die erste, im Fall der mRNA-Impfstoffe die zweite Impfung reaktogener, wobei ältere Individuen weniger Impfreaktionen beschreiben [13, 14, 15].

Während der weitaus überwiegende Anteil erwartete Reaktionen wie lokale Schmerzen und grippale Symptome darstellt, wurden im Rahmen der millionenfachen Impfungen auch sehr seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen beschrieben. Hierzu zählen für die zugelassenen adenoviralen Vektorimpfstoffe das Kapillarlecksyndrom sowie das Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS). Bei letzterem handelt es sich um eine am ehesten autoimmune Reaktion, die durch plättchenaktivierende Antikörper gegen Plättchenfaktor 4 (PF4) vermittelt wird und klinisch der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) ähnelt [16]. Durch die ausgeprägte Thrombozytenaktivierung kommt es zur Plättchenaggregation und durch die Aktivierung von Thrombin zu mitunter fulminanten Thrombosen, die an ungewöhnlichen Orten entstehen können (z. B. arterielle Thrombosen, Sinusvenenthrombosen). Gleichzeitig führt die Plättchenaggregation zu Thrombozytopenien mit dem damit verbundenen Blutungsrisiko. Die meisten Fälle von TTS traten innerhalb von 3 Wochen nach der Impfung und bei Frauen unter 60 Jahren auf [17, 18]. Daher sollten Geimpfte angewiesen werden, auf Anzeichen einer Thromboembolie, einschließlich neurologischer Symptome als Anzeichen einer Sinusvenenthrombose, und/oder einer Thrombopenie (u. a. Petechien) zu achten. Das weitere diagnostische Vorgehen wird in den Empfehlungen der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e. V. aufgeführt und umfasst einen Screeningtest auf HIT [19].

Im Rahmen der mRNA-Impfungen wurde dagegen eine Häufung von Myokarditis- und Perikarditisfällen innerhalb von 14 Tagen nach der Impfung und insbesondere bei jüngeren Männern beobachtet [20, 21]. Die Therapie dieser Nebenwirkung ist symptomatisch. Für alle hier aufgeführten sehr seltenen Nebenwirkungen gilt, dass die absolute Häufigkeit aufgrund der Seltenheit nicht bekannt ist.

Wirksamkeitsprofile

Zur Einschätzung der Wirksamkeit der Impfstoffe steht mittlerweile neben den Phase-III-Daten der Zulassungsstudien eine immer weiter wachsende Menge an Evidenz aus der Praxis zur Verfügung. Eine Übersicht der Wirksamkeit der einzelnen Impfstoffe gibt Abb. 2. Diese ist im Vergleich zu Impfstoffen gegen andere respiratorische Erreger mit bis zu 95 % hoch und wurde in Bevölkerungsstudien bestätigt (Dagan et al. für den Impfstoff von BioNTech/Pfizer [22]).

Abb. 2
figure 2

Übersicht über die in der EU zugelassenen Impfstoffe gegen COVID-19. a Laut Produktinformation und aktueller Empfehlung der Ständigen Impfkommission, bdefiniert als der Anteil der Erkrankungen, die durch eine Impfung verhindert werden. Alle zugelassenen Impfstoffe schützen vor schwerem Krankheitsverlauf. (Stand 27.07.2021, nach Abbildung des Paul-Ehrlich-Instituts „Vier zugelassene COVID-19-Impfstoffe: sicher & wirksam“ [23])

Der direkte Vergleich der einzelnen Impfstoffe untereinander ist jedoch aus mehreren Gründen nur eingeschränkt möglich. Zum einen wurden klinische Studien zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der Pandemie durchgeführt, was u. a. Auswirkungen auf den Grad der vorherrschenden Infektionsaktivität und vorkommenden Virusvarianten hat. So wurde die Zulassungsstudie des Impfstoffs von Johnson & Johnson beispielsweise zu einem Zeitpunkt u. a. in Südafrika durchgeführt, zu dem die Betavariante (B 1.351) dort bereits die dominierende Variante war [24].

Zum anderen stammen verfügbare Daten aus unterschiedlichen Regionen, die wiederum unterschiedliche Impfstoffe verwenden (z. B. stammt ein relevanter Teil der Daten der Bevölkerungsstudien aus den USA und Israel, die ausschließlich mRNA-Impfstoffe einsetzen), eine unterschiedliche demografische Zusammensetzung besitzen und unterschiedliche Impfstrategien verfolgen (z. B. prolongierte Impfintervalle in den UK).

Außerdem sind die Endpunkte der Studien unterschiedlich gewählt. Für den Individualschutz ist der Schutz vor schweren Verläufen einer COVID-19-Erkrankung von oberster Priorität. Eine Reduktion von milden oder asymptomatischen Verläufen kann darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zum Bevölkerungsschutz leisten, indem die Wahrscheinlichkeit der Transmission auf (ungeimpfte) Personen reduziert wird.

Alle 4 zugelassenen Impfstoffe sind in ihrer Wirksamkeit gegen schwere Verläufe vergleichbar und werden als gleichwertig für den Individualschutz angesehen [25]. Während die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen asymptomatische Infektionen und Transmission in klinischen Studien nicht systematisch untersucht wurde, zeigen inzwischen mehrere Untersuchungen, dass die COVID-19-Impfung zum einen die Wahrscheinlichkeit der asymptomatischen Infektion um 80–90 % reduziert wird, und dass zum anderen die Personen, die trotz vollständigem Impfschutz PCR-positiv auf SARS-CoV‑2 getestet werden, eine niedrigere Viruslast vorweisen und das Virus kürzer ausscheiden. Die Covid-19-Impfung ist sowohl für den Individualschutz als auch für die Eindämmung der Pandemie eine essenzielle Maßnahme [25, 26, 27].

Merke

Die COVID-19-Impfung ist essenziell für den Individual- und den Bevölkerungsschutz.

Impfstrategien

Einen Überblick über die Impfschemata der Vakzine gibt Abb. 2. Die Impfstoffe von BioNTech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca sind als homologe Zweifachimpfungen mit jeweils unterschiedlichen Impfabständen zugelassen. Der Impfstoff der Fa. Johnson & Johnson ist dagegen eine Einmalimpfung. Dieser eignet sich besonders für Situationen und Individuen, in bzw. bei denen die Möglichkeit einer Zweitimpfung oder Nachverfolgung eingeschränkt ist (z. B. Personen ohne festen Wohnsitz).

Heterologe Impfung

Neben den zugelassenen Impfschemata wird von der STIKO ein heterologes Impfschema mit dem Impfstoff von AstraZeneca als Erst- und einem mRNA-Impfstoff als Zweitimpfung im Abstand von mindestens 4 Wochen empfohlen [25]. Diese Empfehlung gilt insbesondere für Personen, die bereits eine Erstimpfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca erhalten haben, da das Nutzen-Risiko-Profil dieser Kombination aufgrund des kürzeren Impfintervalls und der möglichen Vermeidung von TTS dem homologen Impfschema gegenüber als überlegen betrachtet wird. Erste Studien, u. a. die prospektive Com-COV(Comparing COVID-19 Vaccine Schedule Combinations)-Studie aus Großbritannien, zeigen, dass – bei tendenziell etwas erhöhter Reaktogenität – die Immunogenität der heterologen Impfung mit der einer homologen mRNA-Impfung vergleichbar ist. Die umgekehrte Impfreihenfolge wird jedoch nicht empfohlen [25, 28].

Indikationen und Kontraindikationen

Generell ist zu beachten, dass die COVID-19-Impfung für den weitaus überwiegenden Teil der Bevölkerung empfohlen wird. Aufgrund einer noch als unzureichend bewerteten Datenlage und damit eingeschränkter Abwägungsmöglichkeit von Nutzen und Risiko werden die Impfungen aktuell lediglich für Schwangere im 1. Trimenon nicht generell empfohlen. Für Kinder ab 12 Jahren sind die mRNA-Impfstoffe sind jedoch bereits ab 12 Jahren zugelassen (Abb. 2). Keiner der Impfstoffe ist bislang für Kinder unter 12 Jahren zugelassen, jedoch laufen Studien hierzu bereits. Aufgrund der beobachteten TTS unter adenoviralen Vektorimpfstoffen werden für Personen unter 60 Jahren mRNA-Impfstoffe empfohlen. Bei bereits erfolgter Erstimpfung mit einem adenoviralen Vektorimpfstoff sollte eine heterologe Zweitimpfung (s. oben) erfolgen. Dies gilt aufgrund des schneller erreichbaren vollständigen Immunschutzes insbesondere gegen die Deltavariante (B.1.617.2) nunmehr auch für Personen ≥ 60 Jahren [25].

Kontraindikationen gegen die Impfung bestehen generell bei bekannten Allergien gegen Inhaltsstoffe der jeweiligen Vakzine sowie für eine Zweitimpfung bei anaphylaktischen Reaktionen gegen die erste Impfdosis. Personen, bei denen ein Kapillarlecksyndrom bekannt oder nach einer Dosis mit einem adenoviralen Vektorimpfstoff aufgetreten ist, dürfen nicht mit diesen erst- bzw. zweitgeimpft werden. Auch nach Auftreten eines TTS nach einer Erstimpfung mit diesen Impfstoffen darf keine Zweitimpfung mit adenoviralen Vektorimpfstoffen erfolgen.

Merke

Die COVID-19-Impfung wird für den weitaus überwiegenden Teil der Bevölkerung empfohlen.

Besondere Situationen

COVID-19-Genesene

Aktuell wird empfohlen, COVID-19-Genesene 6 Monate nach der Erkrankung einmalig gegen COVID-19 zu impfen. Die Impfung kann auch früher erfolgen, jedoch sollte ein Mindestabstand von 4 Wochen zur Genesung eingehalten werden [25]. Diese Empfehlung basiert auf Beobachtungen aus einer großen multizentrischen Studie, in der Reinfektionen nach Erstinfektion systematisch untersucht wurden. Hier konnte gezeigt werden, dass eine Infektion zu 84 % – und somit vergleichbar zu der COVID-19-Impfung – vor einer Reinfektion schützte und Reinfektionen im Mittel erst nach 7 Monaten auftraten [29]. Es konnte zudem gezeigt werden, dass eine einmalige Impfung bei Rekonvaleszenten eine humorale Immunantwort auslöst, die mit der Immunantwort SARS-CoV-2-naiver Personen nach 2 Impfungen vergleichbar ist. Die überlegene Immunantwort nach einmaliger Impfung war mit einer höheren Reaktogenität verbunden [30]. Ein Mindestabstand von 4 Wochen ist daher zur Vermeidung starker Impfreaktionen und zur Optimierung der Immunreaktion sinnvoll. Diese Empfehlung gilt auch für Personen, die im Intervall zwischen Erst- und Zweitimpfung an COVID-19 erkranken [25].

Merke

Nach einer COVID-19-Erkrankung sollte eine einmalige Impfung nach 6 Monaten erfolgen.

Immunsuppression

Immunsupprimierte Patient:innen haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf, und daher bedarf es insbesondere in dieser Population wirksamer Präventionsmaßnahmen [31]. Da die zugelassenen COVID-19-Impfstoffe allesamt keine Lebendimpfstoffe sind, können sie immungeschwächten Personen sicher verabreicht werden [32, 33]. Die Wirksamkeit der Impfstoffe variiert vermutlich analog zu anderen Impfstoffen je nach Grunderkrankung [34, 35, 36] und Therapieregimen [37, 38]. Bislang haben Studien bei Patient:innen mit chronisch lymphatischer Leukämie (CLL, [39, 40]), nach allogener Stammzelltransplantation [41] und unter Immunsuppression nach Organtransplantation [42, 43] eine reduzierte humorale Antwort gezeigt. Bezüglich der zellulären Immunantwort gibt es bislang nur begrenzte Daten für dieses Patient:innenkollektiv [44, 45]; welche Rolle dieser zukommt, ist aktuell noch Gegenstand der Forschung.

Merke

Eine Immunsuppression stellt keine Kontraindikation zur Impfung dar.

Bei Patient:innen nach B‑Zell-Depletion und unmittelbar nach allogener Stammzelltransplantation wird aktuell empfohlen, einen zeitlichen Abstand von 3 bis 6 Monaten zur letzten Therapie einzuhalten [32]. Diese Empfehlung kann sich bislang nicht auf Studiendaten stützen, sondern wurde in Analogie zu anderen Schutzimpfungen ausgesprochen. Hintergrund sind keine Sicherheitsbedenken, sondern vielmehr die Sorge vor mangelndem Aufbau einer Immunität in dieser Situation [32].

In den USA sowie in Frankreich haben kürzlich erstmals Patient:innen unter Immunsuppression nach Organtransplantation eine 3. Impfung erhalten [46, 47]. Eine erhöhte Rate an Nebenwirkungen wurde nicht berichtet. Die Patient:innen zeigten im Durchschnitt zwar höhere Antikörpertiter, jedoch gab es auch hier Patient:innen, die auch nach 3. Impfung keine nachweisbare bzw. eine niedrigtitrige Antikörperantwort entwickelten. Noch ist unklar, welche Faktoren ein besseres Ansprechen auf die Impfung bedingen, und wie diese Daten langfristig einzuordnen sind. Schließlich gibt es bisher keinen definierten Antikörpertiter, der den Impfschutz sicher vorhersagen kann.

Während immunsupprimierte Patient:innen ein heterogenes Kollektiv darstellen, besteht für diese Patient:innengruppe trotz der ggf. eingeschränkten Schutzwirkung eine klare Empfehlung zur COVID-19-Schutzimpfung. Immunsupprimierte sollten über diese Einschränkung jedoch aufgeklärt werden. Neben dem Einhalten der Hygienemaßnahmen (Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, Abstandhalten sowie Vermeidung von Menschenansammlungen) sollten sich auch enge Kontaktpersonen gegen COVID-19 impfen lassen, um zum Schutz dieser Personen beizutragen [48].

Cave

Aufgrund des erhöhten Risikos für einen schweren COVID-19-Verlauf haben Immunsupprimierte eine besonders dringliche Indikation für eine COVID-19-Impfung.

Kinderwunsch

Frauen mit Kinderwunsch sind durch verbreitete Gerüchte, dass eine Impfung einen negativen Einfluss auf ihre Fertilität habe, teilweise verunsichert. Dabei gibt es bislang keine Hinweise, dass die Impfstoffe gegen COVID-19 die Fertilität beeinträchtigen. Im Gegenteil wird Frauen mit Kinderwunsch die Impfung von der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin und der STIKO sogar dringend empfohlen, um vor einer COVID-19 Erkrankung in der Schwangerschaft zu schützen [49]. Auch eine (ggf. akzidentielle) Impfung zu einem Zeitpunkt, an dem eine bereits eingetretene Schwangerschaft noch nicht bekannt ist, stellt keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch dar [25, 50].

Schwangerschaft und Stillzeit

Im Vergleich zu Nichtschwangeren bestehen bei Schwangeren derselben Altersgruppe ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf und eine bis zu 26-fach erhöhte Mortalität [51]. Außerdem ist das Risiko für peripartale Komplikationen bei an COVID-19 erkrankten Schwangeren erhöht [51]. Gleichzeitig liegen weniger Daten über die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe in diesem Kollektiv vor, da Schwangere von den Zulassungsstudien der Impfstoffe ausgeschlossen waren. Das Nutzen-Risiko-Profil wird vor diesem Hintergrund von unterschiedlichen Ländern und empfehlungsgebenden Organisationen unterschiedlich bewertet. Während in einigen anderen Ländern (u. a. den USA, Israel und Großbritannien) die Impfung in der Schwangerschaft bereits früh empfohlen wurde, hat nun auch die STIKO eine generelle Impfempfehlung für Schwangere ab dem 2. Trimenon ausgesprochen [49]. Ursächlich für die bislang nicht ausgesprochene Impfempfehlung im 1. Trimonon sind dabei keine konkreten Sicherheitsbedenken, sondern die noch limitierte Datenlage.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG) empfiehlt Schwangeren in einer Stellungnahme gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften die COVID-19-Impfung mit mRNA-Impfstoffen aufgrund zunehmender retrospektiver Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe bei Schwangeren [51]. Diese stammen zum Großteil aus den USA; dort wurde bereits zu Beginn der Impfkampagne Schwangeren die Impfung mit den dort genutzten mRNA-Impfstoffen angeboten. Im Rahmen der Nachbeobachtung von geimpften Schwangeren zeigten sich im Vergleich zu Nichtschwangeren keine relevanten Unterschiede im Nebenwirkungsprofil, und es traten keine Sicherheitsbedenken auf. Es wurden weder vermehrte schwangerschaftsspezifische Komplikationen (Abort, Totgeburt, Frühgeburt, fetale Wachstumseinschränkung oder Fehlbildungen) noch ein erhöhtes Morbiditäts- oder Mortalitätsrisiko für die Schwangere oder das Ungeborene nachgewiesen [52, 53]. Die meisten Frauen erhielten die Impfungen im 2. oder 3. Trimenon.

Auch für stillende Frauen liegen nun genügend Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit der COVID-19 Impfstoffe vor, so dass auch diesen die Impfung explizit empfohlen wird. Die DGGG hebt als Vorteil hervor, dass diese ggf. einen Nestschutz vermitteln kann, da Antikörper in der Muttermilch nachgewiesen werden konnten [51]. Auch ein diaplazentarer Transfer von Antikörpern wurde nachgewiesen [49].

Merke

Für Schwangere ab dem 2. Trimenon und Stillende wird die Impfung gegen COVID-19 sowohl von der STIKO als auch von den verantwortlichen Fachgesellschaften ausdrücklich empfohlen.

Offene Fragen

Korrelate für Immunität

Die impfinduzierte Immunantwort ist vielfältig und umfasst mehrere Komponenten, wie die humorale bzw. antikörpervermittelte, die zelluläre und angeborene Immunität. Von anderen Impfungen ist bekannt, dass diese einzelnen Komponenten mit dem Schutzniveau korrelieren können. Die Korrelate des Impfschutzes können sich je nach definiertem Endpunkt unterscheiden, z. B. Schutz vor Infektion, Krankheiten, schweren Erkrankungen oder Sterblichkeit. Die meisten der derzeit bekannten Impfschutzkorrelate basieren auf Antikörpermessungen [54]. Diese sind im Vergleich zu zellulärer Immunität einfacher mess- und etablierbar.

Die Definition eines Impfschutzkorrelats ist aus mehreren Gründen wichtig. Ein solches Korrelat würde helfen, die sich noch in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe auch durch Immunogenitätsstudien und nicht nur durch große Phase-III-Wirksamkeitsstudien zulassen zu können und so dem weiterhin bestehenden erheblichen Mangel an Impfstoff entgegenzuwirken [55]. Durch ein definiertes Schutzkorrelat könnte außerdem der Impferfolg in vulnerablen Patient:innengruppen wie Organtransplantierten unter Immunsuppression oder hämatoonkologischen Patient:innen gemessen werden. Schließlich kann ein Korrelat über Immunität auch Aufschluss über die Dauer des wirksamen Impfschutzes geben. Bei unzureichender Immunität können in der Folge Auffrischimpfungen empfohlen werden.

Merke

Die Definition eines Schutzkorrelates ist eine wichtige Voraussetzung für die mögliche Empfehlung weiterer Auffrischimpfungen.

Personen mit Durchbruchsinfektionen nach Impfung weisen sehr variable Antikörpertiter auf, sodass ein Schwellenwert, der einen Schutz vor Infektion oder Erkrankung darstellt, für die COVID-19-Impfung bislang nicht definiert werden konnte. Gleichzeitig zeigen kürzlich veröffentliche Studien, dass die Höhe neutralisierender und möglicherweise auch bindender Antikörper mit der Wirksamkeit eingesetzter COVID-19-Impfstoffe korreliert [56] und diese somit wahrscheinlich direkt zu der Schutzwirkung der Vakzine beitragen und ein mechanistisches Schutzkorrelat darstellen könnten.

Merke

Es gibt bislang kein fest definiertes Schutzkorrelat nach einer Impfung; erste Studien messen den neutralisierenden Antikörpern jedoch einen hohen prädiktiven Wert bei.

Ausblick

Nach über 1,5 Jahren anhaltender Pandemie gibt es inzwischen 4 zugelassene Impfstoffe, die sicher sind und schweren Krankheitsverläufen vorbeugen. Sie werden für den weitaus überwiegenden Teil der Bevölkerung empfohlen und konnten den Verlauf von Infektionswellen bisher effektiv beeinflussen und aufhalten.

Die Etablierung eines Impfschutzkorrelats ist ein wichtiger nächster Schritt, um die Zulassung weiterer Impfstoffe zu katalysieren und evidenzbasierte Entscheidungsgrundlagen für Auffrischimpfungen verschiedener Patient:innen- und Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen.

Inwiefern neu auftretende Virusmutationen die Wirksamkeit der Impfungen einschränken werden, ist nicht in Gänze vorhersehbar. Erste Daten zeigen, dass die COVID-19-Impfstoffe auch bei Infektionen mit anderen Virusvarianten effektiv gegen schwere Erkrankungen schützen [57]. Die Deltavariante (B.1.617.2) des SARS-CoV‑2 hat zuletzt zu einem Anstieg der Fälle in Indien beigetragen und sich rasch auf der ganzen Welt verbreitet. Bislang ist jedoch auch hier davon auszugehen, dass 2 Impfstoffdosen ausreichend vor schweren Krankheitsverläufen schützen [58].

Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn im Bereich der COVID-19-Impfstoffforschung wächst schnell und kontinuierlich. Dieser Beitrag ist aus diesem Grund in gewisser Weise eine Momentaufnahme des Standes der Wissenschaft (September 2021). Die aktuellen Empfehlungen sind daher als Nutzen-Risiko-Abwägung zu betrachten, die vor dem Hintergrund neuer Forschungserkenntnisse fortlaufend evaluiert wird.

Fazit für die Praxis

  • Die akzelerierte Impfstoffentwicklung wurde durch wissenschaftliche Vorarbeiten, finanzielle Ressourcen und administrative Erleichterungen, u. a. durch das Rolling-Review-Verfahren der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), ermöglicht.

  • Aktuell sind je 2 mRNA- und adenovirale Vektorimpfstoffe zugelassen. Sie beruhen auf dem Prinzip, die Erbinformation des viralen Spike-Proteins des Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) in menschliche Zellen einzubringen.

  • Alle zugelassenen Impfstoffe bieten einen sehr guten Individualschutz und senken das Transmissionsrisiko maßgeblich.

  • Die Impfung gegen COVID-19 wird für den Großteil der erwachsenen Bevölkerung empfohlen.

  • Immunsupprimierte sollten – bis auf wenige Ausnahmen – geimpft werden.