Einleitung

Umgebungslärm wird in Deutschland im Rahmen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in §47b beschrieben als „belästigende oder gesundheitsschädliche Geräusche im Freien, die durch Aktivitäten von Menschen verursacht werden, einschließlich des Lärms, der von Verkehrsmitteln, Straßenverkehr, Eisenbahnverkehr, Flugverkehr sowie Geländen für industrielle Tätigkeiten ausgeht“ [1]. In Städten ist die Belastung der Menschen durch Umgebungslärm und insbesondere VerkehrslärmFootnote 1 hoch. So ist in Deutschland etwa jede fünfte Person durch Verkehrslärm belastet [2]. Neben Lärmbelästigung, Schlafstörungen und Beeinträchtigungen in der kognitiven Entwicklung kann eine andauernde langjährige Geräuschbelastung unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur Folge haben und Depressionen begünstigen. Insbesondere im urbanen Raum ist Lärm durch unterschiedliche Schallquellenarten ein ständiger Begleiter. Der vorliegende Artikel beschreibt die Verkehrslärmbelastung in Deutschland beruhend auf den Daten aus der Umgebungslärmrichtlinie, gibt einen Überblick über die wichtigsten gesundheitlichen Folgen einer hohen Geräuschbelastung, thematisiert die Herausforderung von Umgebungslärm im städtischen Raum und zeigt mögliche Maßnahmen zur Lärmminderung in der Stadt auf.

Verkehrslärmbelastung in Deutschland (mit Fokus auf den urbanen Raum)

Beruhend auf den Berechnungsverfahren der Umgebungslärmrichtlinie (2002/49/EG; [3]) wird alle 5 Jahre die Geräuschbelastung durch unterschiedliche Schallquellen berechnet und kartiert. Im Einzelnen werden in Deutschland 70 Ballungsräume mit rund 24,4 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern kartiert sowie 49.000 km Hauptverkehrsstraßen, 14.000 km Haupteisenbahnstrecken und alle 11 Großflughäfen. Die Daten der letzten Erhebungsrunde aus dem Jahr 2017 zeigen, dass in Deutschland ca. 10,9 Mio. Menschen durch Verkehrslärm von durchschnittlich mehr als 50 dB LnightFootnote 2 in der Nacht betroffen sind. Etwa 15,8 Mio. sind bei einer ganztägigen Betrachtung von 24 h durchschnittlich durch Verkehrslärm von mehr als 55 dB LdenFootnote 3 belastet.Footnote 4 Dies bedeutet, dass 13,2 % der Bevölkerung in Deutschland durch nächtlichen und 19,1 % der Bevölkerung durch ganztägigen Verkehrslärm oberhalb dieser Dauerschallpegel betroffen sind (Abb. 1; [2]). Bei gesonderter Betrachtung urbaner Räume, die in der Umgebungslärmrichtlinie Ballungsräume genannt werden, zeigt sich, dass von den 24,4 Mio. Menschen, die in Deutschland in Ballungsräumen leben, 9,3 Mio. Menschen von mehr als 55 dB Lden über den ganzen Tag verteilt belastet sind und 5,7 Mio. Menschen durch nächtlichen Verkehrslärm von mehr als 50 dB Lnight. §47b des Bundes-Immissionsschutzgesetzes definiert Ballungsräume in Deutschland als Gebiete, in denen die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner über 100.000 Menschen beträgt und die Bevölkerungsdichte über 1000 Einwohnerinnen und Einwohner pro Quadratkilometer liegt [1].

Abb. 1
figure 1

Anteil der durch Verkehrslärm belasteten Bevölkerung in Deutschland. Vergleich der Jahre 2012 und 2017. Asterisk Auswertungsstand der Lärmkartierung 2012: 29.02.2016, zwei Asteriske  Auswertungsstand der Lärmkartierung 2017: 30.12.2019. (Quelle: [2], Daten der Lärmkartierungen 2012 und 2017, berechnet aus Mitteilungen der Bundesländer und des Eisenbahn-Bundesamtes entsprechend § 47c BImSchG, eigene Zusammenstellung)

Dabei gehen von den jeweiligen Verkehrsträgern unterschiedliche Belastungen aus: Die am weitesten verbreitete Verkehrslärmquelle ist der Straßenverkehr. Dies gilt insbesondere für den urbanen Raum, hier ist die Zahl der Straßenverkehrslärmbelasteten mit etwa 5,7 Mio. belasteten Personen über 55 dB tagsüber und 1,7 Mio. belasteten Personen über 50 dB nachts in etwa zweimal so hoch wie außerhalb von Ballungsräumen (Tab. 1). Der Schienenverkehr ist im Bereich der Schienenwege insbesondere nachts ein Problem. Von Fluglärm sind bundesweit betrachtet weniger Menschen betroffen, im Umfeld von Verkehrsflughäfen ist der Fluglärm jedoch häufig die dominante Geräuschquelle.

Tab. 1 Die Anzahl verkehrslärmbelasteter Personen innerhalb und außerhalb von Ballungsräumen in Deutschland

Da im Rahmen der „Lärmkartierung“ ausschließlich Hauptverkehrsstraßen mit einem Verkehrsaufkommen von mehr als 3 Mio. Kraftfahrzeugen pro Jahr, Haupteisenbahnstrecken mit mehr als 30.000 Zugbewegungen jährlich sowie Großflughäfen mit mehr als 50.000 Flugbewegungen im Jahr berücksichtigt werden, stellt die Gesamtzahl der Betroffenen eine Unterschätzung dar.

Gesundheitliche Auswirkungen von Umgebungslärm

Eine dauerhafte Belastung durch Umgebungslärm kann weitreichende gesundheitliche Folgen haben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit „nicht lediglich als die Abwesenheit von Krankheit, sondern als einen Zustand vollkommenen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ [4]. Beruhend auf dieser Definition identifizieren die neuen WHO-Leitlinien für Umgebungslärm für die europäische Region verschiedene gesundheitliche Auswirkungen. Dazu zählen unter anderem Lärmbelästigung, Schlafstörungen, kognitive Beeinträchtigungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und mentale Auswirkungen [5]. Insbesondere die Lärmbelästigung und Schlafstörungen können bei längerer Latenz zu weiteren manifesten gesundheitlichen Erkrankungen führen.

Die gesundheitlichen Folgen von Umgebungslärm finden auch Eingang in die europäische Gesetzgebung. Anhang III der Umgebungslärmrichtlinie (2002/49/EG) sieht die Bewertung der Auswirkungen von Umgebungslärm auf die Bevölkerung mithilfe von Expositions-Wirkungs-Funktionen vor [3]. Die Expositions-Wirkungs-Funktionen stellen den Zusammenhang zwischen der Intensität der Dauerschallbelastung (z. B. Lden oder Lnight) und einer gesundheitlichen Auswirkung (z. B. Lärmbelästigung, selbstberichteten Schlafstörungen oder ischämischen Herzerkrankungen) dar. Die Umgebungslärmrichtlinie gibt keine Grenzwerte vor, die für die Mehrheit der Bevölkerung einen vorsorgenden Gesundheitsschutz erzielen könnten. Der Anhang III dient der Information über die gesundheitlichen Auswirkungen, die mit der im Rahmen der Richtlinie berechneten Geräuschbelastung zu assoziieren ist.

Lärmbelästigung

Belästigung ist neben Schlafstörungen die häufigste unmittelbare Auswirkung von Umgebungslärm. So fühlen sich beispielsweise etwa 75 % der Bevölkerung in Deutschland durch Straßenverkehrslärm belästigt (Abb. 2; [6]). Laut WHO ist die Belästigung eine komplexe Reaktion, die primär aus drei Elementen besteht: (a) einer häufig wiederholten Störung von Aktivitäten (wie beispielsweise der Kommunikation mit anderen Menschen, dem Hören von Musik, dem Lesen, Arbeiten oder Schlafen), die Verhaltensanpassungen zwecks Minimierung der Störung nach sich zieht; (b) eine einstellungsbezogene Reaktion (Wut oder Ärger über die Störung oder die negative Evaluation der entsprechenden Geräuschquelle) und (c) eine kognitive Reaktion (beispielsweise die Einsicht, dass es kaum eine Möglichkeit gibt, sich gegen die ungewollte Situation zu wehren). Es handelt sich hierbei um eine Stressreaktion die aufgrund eines Umweltstressors (unerwünschte Geräusche bzw. Lärm) ausgelöst wird und physiologische, emotionale, kognitive und Verhaltensänderungen nach sich zieht. Sie kann anteilig erinnert und in Form der langfristigen Belästigung verbalisiert werden [7, 8].

Abb. 2
figure 2

Ausmaß der Lärmbelästigung der Bevölkerung in Deutschland durch unterschiedliche Lärmquellen. Lärmbelästigung in Deutschland (in %). Frage: Wenn Sie einmal an die letzten 12 Monate hier bei Ihnen denken, wie stark haben Sie sich persönlich durch den Lärm von folgenden Dingen gestört oder belästigt gefühlt? (Angaben in Prozenten, Abweichungen von 100 Prozenten rundungsbedingt). (Quelle: [6])

Die Lärmbelästigung kann ein Vermittler für die Manifestation weiterer (insbesondere klinischer) gesundheitlicher Auswirkungen sein. Die Lärmbelästigung wird durch ein standardisiertes Fragebogeninstrument erhoben – die sogenannte ICBEN-FrageFootnote 5. Diese differenziert das Stör- und Belästigungserleben der letzten 12 Monate durch eine Geräuschquelle anhand von zwei unterschiedlichen Skalen – einer 11-stufigen numerischen und einer 5‑stufigen verbalen Skala. Die 5‑stufige verbale Skala, reicht von „überhaupt nicht“ (1) bis „äußerst“ (5; [9]). Das Belästigungsurteil beschreibt somit nicht die momentane Belästigung, sondern ein längerfristiges Lärmerleben im individuellen Kontext. Für die Darstellung des Expositions-Wirkungs-Zusammenhangs wird der prozentuale Anteil an hoch belästigten Personen pro Schallpegel berechnet. Als „hoch belästigt“ werden hierbei in vielen Studien die obersten drei Antwortkategorien der 11-stufigen numerischen Skala definiert. Dies entspricht den obersten 27 % der Skala [10].

Die Belästigungsangaben durch einzelne Schallquellen unterscheiden sich zum Teil deutlich. So gilt Fluglärm als die am stärksten belästigende Verkehrslärmquelle, gefolgt von Straßen und Schienenverkehrslärm [10]. Studien der letzten Jahre weisen inzwischen darauf hin, dass das Belästigungserleben bei hohen Schallpegeln durch Schienenverkehr als stärker belästigend im Vergleich zu Straßenverkehrslärm wahrgenommen wird [11, 12]. Das unterschiedliche Belästigungspotenzial spiegelt sich auch in den Expositions-Wirkungs-Funktionen der neuen WHO-Leitlinien für Umgebungslärm für die europäische Region deutlich wider. So sind 10 % der Personen bei einem durchschnittlichen ganztägigen Dauerschallpegel von 45 dB Lden des Luftverkehrs hoch belästigt. Beim Straßenverkehr ist dieser Prozentsatz bei einer durchschnittlichen Dauerschallbelastung von 53 dB Lden und beim Schienenverkehr bei einer durchschnittlichen Dauerschallbelastung von 54 dB Lden erreicht [5]. Neben dem hier beschriebenen Verkehrslärm stellt, insbesondere im urbanen Raum, der Nachbarschaftslärm eine weitere wichtige Quelle der Belästigung dar.

Schlafstörungen

Schlaf ist für den Menschen unverzichtbar. Er dient der psychischen und physischen Erholung und der „Entmüdung“. Ein durch Umgebungslärm gestörter oder zu kurzer Schlaf kann das neuroendokrine System einschließlich des Immunsystems negativ beeinflussen. Langfristig ist der durch Geräusche gestörte Schlaf daher, neben der Beeinträchtigung geistiger und körperlicher Leistungen als akute Wirkung, auch mit einer erhöhten kardiometabolischen Morbidität und Mortalität verbunden (z. B. [13,14,15]). Eine neue Studie weist darauf hin, dass insbesondere eine gestörte Nachtruhe das Risiko erhöht, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln. Wesentliche Einflussfaktoren in diesem Prozess sind die Bildung von freien Radikalen (oxidativer Stress) und Entzündungsreaktionen in Gehirn, Herz und Gefäßen [16]. Ebenfalls medizinisch relevant sind psychische Erkrankungen wie Depression und Angststörungen, die häufig durch gestörten Schlaf ausgelöst werden. Die durch Stress (mit-)verursachten Erkrankungen zeigen sich oft erst nach einer Latenzzeit von 10–15 Jahren.

Der „Goldstandard“ für die Messung des Schlafs ist die Polysomnographie. Mit ihrer Hilfe kann für die schlafende Person ein individuelles Schlafprofil erstellt werden. Die Auswertung solcher Schlafprofile zeigt, dass sich wiederholende oder andauernde nächtliche Schallreize als fragmentierter Schlafverlauf einschließlich von ArousalFootnote 6 und AufwachreaktionenFootnote 7 äußern.

In den letzten Jahren wurde, insbesondere durch Feldstudien, verstärkt der Zusammenhang zwischen einzelnen Schallereignissen (Maximalpegel, Lmax) und einem sich anschließenden Erwachen im Schlafprofil in den Blick genommen (z. B. [18, 19]). Aus den Studien wurden mittels Maximalschallpegeln Expositions-Wirkungs-Beziehungen für Einzelschallereignisse des Verkehrslärms abgeleitet (z. B. [20, 21]; Abb. 3). Um andere Einflüsse als den nächtlichen Lärm so gering wie möglich zu halten, wurden ausschließlich (schlaf-)gesunde Personen als freiwillige Probandinnen und Probanden in den Studien untersucht. Aufgrund dieser starken Selektion und der sehr kleinen Stichprobengrößen ist daher eine Übertragung der Ergebnisse auf die Gesamtbevölkerung aus epidemiologischer Sicht nicht möglich [22, 23].

Abb. 3
figure 3

Wahrscheinlichkeit zusätzlicher Schlafstadienwechsel in den Wachzustand oder das Einschlafstadium (S1) in einem Zeitfenster von 90 s nach Eintritt des Lärmereignisses in Abhängigkeit vom maximalen Schalldruckpegel (LAS,max innen) für a Straße (STRAIN und DEUFRAKO, N = 94 Probanden), b Flugzeug (STRAIN, N = 61) und c Schienenlärm (DEUFRAKO, N = 33; Müller et al. [19]). Die spontane Aufwachwahrscheinlichkeit wurde abgezogen. Gestrichelte Linien: 95 % Konfidenzintervalle. (Abbildung entnommen aus: Basner und McGuire [20], veröffentlicht unter der CC-BY 4.0 Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/). Es wurden keine Änderungen vorgenommen)

Eine weitere Methode ist die Erhebung der Selbsteinschätzungen von Schlafstörungen (sogenannte selbstberichtete Schlafstörungen). Sie kann in großen Zufallsstichproben erfragt werden (z. B. mittels Fragebögen oder Interview) und ist daher grundsätzlich dafür geeignet, generalisierte Expositions-Wirkungs-Beziehungen zu erstellen [5, 24,25,26]. Da der Mensch während der meisten Zeit des Schlafes ohne Wachbewusstsein ist, lassen sich Fehleinschätzungen („information bias“) nicht vermeiden. Diese Fehleinschätzungen sind nichtdifferenzielle Fehlklassifikationen und damit nahezu unabhängig von der Geräuschbelastung, sodass dadurch der statistische Zusammenhang der Expositions-Wirkungs-Beziehung grundsätzlich unterschätzt wird [27].

Bei einem Vergleich der Expositions-Wirkungs-Funktionen der WHO-Metaanalyse (Studien aus den Jahren 2000–2015; [5]) mit der Expositions-Wirkungs-Funktion von Miedema und Vos aus dem Jahr 2007 (Studien bis zum Jahr 2004; siehe rote Linie in Abb. 4; [26]) zeigt sich, dass bei gleichem nächtlichen Dauerschallpegel Lnight der Anteil sich hochgradig durch Flug- und Schienenverkehrslärm im Schlaf gestört fühlender Menschen (% HSD [„highly sleep disturbed“]) in den zurückliegenden Jahren erheblich zugenommen hat. In der WHO-Metaanalyse sind keine Ergebnisse von Studien enthalten, die nach 2015 publiziert wurden. Würden diese einbezogen, ist ein weiterer Anstieg der hochgradig schlafgestörten Personen durch Flug- und Schienenverkehrslärm erkennbar [11, 15]. Beim Straßenverkehrslärm ist kein vergleichbarer Anstieg ersichtlich.

Abb. 4
figure 4

Anteil hochgradig schlafgestörter Personen (HSD) bei unterschiedlichen Verkehrslärmquellen, basiert auf Antworten zum Erwachen sowie zu Einschlafschwierigkeiten und Schlafstörungen durch Straßenlärm (N = 30.290), Schienenlärm (N = 13.640) und Fluglärm (N = 12.731). Schwarz gestrichelte Linien: 95 % Konfidenzintervalle. Rote Linien: Expositions-Wirkungs-Funktionen Miedema und Vos (2007) zum Vergleich [20, 28]. (Abbildung entnommen aus: Basner und McGuire [20], veröffentlicht unter der CC-BY 4.0 Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/). Es wurden keine Änderungen vorgenommen)

Neben der Verkehrslärmbelastung spielt in dicht bebauten urbanen Räumen auch der Nachbarschaftslärm eine wichtige Rolle. So wurde in der WHO-LARES-Studie in 8 europäischen Städten der Nachbarschaftslärm etwa gleich häufig als Quelle von Schlafstörungen genannt wie der Verkehrslärm [29]. Geräusche sind dabei nur eine Komponente einer Vielzahl möglicher umweltbedingter Ursachen für Schlafstörungen. Auch Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Lichtverhältnisse sowie eingeschränkte Luftwechsel durch geschlossene Fenster können sich negativ auf den Schlaf des Menschen auswirken ebenso wie innere Ursachen, z. B. Angst, Gesundheitszustand oder schlechte Träume.

Kognitive Beeinträchtigungen (Einschränkung der Entwicklung)

Bei Kindern laufen grundlegende kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Sprachverarbeitung weniger automatisiert ab als bei Erwachsenen und die Möglichkeit, kognitive Bewältigungsstrategien anzuwenden, ist bei ihnen noch nicht voll ausgeprägt. Dies macht sie zu einer besonders vulnerablen Gruppe hinsichtlich kognitiver Beeinträchtigungen. So kann sich Verkehrslärm negativ auf die kognitive Leistungsfähigkeit bei Kindern auswirken, einschließlich einer verschlechterten Langzeitgedächtnisleistung [30, 31]. In den letzten zwei Jahrzehnten sind darüber hinaus vermehrt Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Fluglärm und dem Lese- und Hörverständnis durchgeführt worden. Clark und Paunovic haben in einer Metastudie 2018 beispielsweise insgesamt 14 Studien zum Zusammenhang zwischen Fluglärm und dem Lese- und Hörverständnis analysiert (für Straßen- und Schienenverkehrslärm stand keine vergleichbare Evidenz zur Verfügung). 10 dieser Studien zeigten einen signifikanten Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen Fluglärmbelastung und einem schlechteren Lese- und Hörverständnis bei Schulkindern [32]. Die WHO geht davon aus, dass es ab einer durchschnittlichen Geräuschbelastung von 55 dB Lden zu einer Verzögerung von einem Monat im Lese- und Hörverständnis kommt [5]. Absolut betrachtet mag diese Zahl zunächst gering erschienen. Ihre Relevanz zeigt sich erst im Vergleich zur Gesamtlernzeit des Erwerbs der Lese- und Hörverständnisses bei Kindern: In der Regel erreichen Schulkinder das Leseverständnis im ersten Schuljahr. Durch Schuleingewöhnung und Ferien liegt die gesamte Lernzeit des ersten Schuljahres bei etwa einem halben Jahr. Eine Verzögerung des Kompetenzerwerbs von einem Monat bedeutet daher eine Verzögerung um etwa ein Sechstel der Leselernzeit gegenüber Kindern, die nicht durch Fluglärm belastet sind. Zum jetzigen Zeitpunkt ist ungeklärt, inwiefern Kinder dieses Defizit kompensieren und wie lange sie dafür benötigen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Zu den klinisch relevanten gesundheitlichen Auswirkungen des Umgebungslärms zählen insbesondere die Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Umgebungslärm aktiviert das Hormonsystem und das autonome Nervensystem. Infolgedessen können sich der Blutdruck und die Herzfrequenz verändern und der Stoffwechsel und dessen Regulation beeinträchtigt werden. Biologische Risikofaktoren, wie der Blutzucker oder die Gerinnung des Blutes, können beeinflusst werden. Dies kann zu Arterienverkalkung und Bluthochdruck bis hin zum Herzinfarkt führen. Abb. 5 zeigt ein mögliches Schema, wie eine dauerhafte Geräuschbelastung das Herz-Kreislauf-System sowohl über den direkten als auch den indirekten Pfad beeinträchtigen und welche Auswirkungen dies haben kann. Zu den relevantesten Herz-Kreislauf-Beeinträchtigungen zählen ischämische Herzkrankheiten, wie Herzinsuffizienz und der Myokardinfarkt, chronische Veränderungen des Blutdrucks, aber auch sogenannte Hirninfarkte bzw. Schlaganfälle. Die Mehrzahl der bisher durchgeführten Studien befasst sich mit dem Zusammenhang von Straßenverkehrs- bzw. Fluglärm auf das Herz-Kreislauf-System [33]. Über den Zusammenhang mit dem Schienenverkehr gibt es hingegen nur wenige Erhebungen und belastbare Erkenntnisse [33]. Die Metaanalyse von van Kempen et al., welche den neuen WHO-Leitlinien für Umgebungslärm für die europäische Region als Grundlage dient, findet beispielsweise einen signifikanten Anstieg des relativen Risikos, geräuschbedingt an einer ischämischen Herzkrankheit zu erkranken von 8 % (Konfidenzintervall [KI]: 1–15 %) pro 10 dB Lden des Straßenverkehrsdauerschallpegels. Mit einem Anstieg von 9 % (KI: 1–14 %) pro 10 dB Lden des Dauerschallpegels ist das relative Risiko, geräuschbedingt an einer ischämischen Herzkrankheit zu erkranken, für den Luftverkehr vergleichbar hoch [33]. Diese Erkenntnisse stehen auch im Einklang mit neueren Erkenntnissen zum Zusammenhang von Flug- und Straßenverkehrslärm, die nicht mehr in die Metastudie einfließen konnten [34, 35].

Abb. 5
figure 5

Wirkungsschema zum geräuschbedingen Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen entnommen aus [44]

Mentale Gesundheit

Neben den Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen auch psychische Erkrankungen zu den möglichen klinischen Folgen einer dauerhaften Belastung durch Umgebungslärm. Insbesondere die Erforschung des Zusammenhangs zwischen depressiven Störungen und verschiedenen Verkehrslärmquellen ist in den letzten Jahren immer bedeutsamer geworden [15, 36]. So werden beispielsweise im Rahmen von zwei großen deutschen Kohortenstudien (Heinz-Nixdorf-Kohorte, Life Kohorte Leipzig) Analysen und Studien zum Einfluss von Verkehrslärm auf depressive Störungen durchgeführt [37]. Alle Studien weisen auf einen Anstieg depressiver Störungen bei steigenden Schallpegeln hin. In der NORAH-Studie war die unipolare depressive Episode mit einem Anstieg des relativen Risikos von 3,9 % (KI: 2,9–4,9 %) bis 8,9 % (KI: 7,4–10,4 %) pro 10 dB des jeweiligen Dauerschallpegels sogar das am stärksten repräsentierte Störungsbild [37]. Eine Metaanalyse von Seidler und Kolleginnen [38], die im Rahmen eines laufenden Forschungsvorhabens des Umweltbundesamtes (UBA) zu den psychischen Auswirkungen von Verkehrslärm durchgeführt wurde, bestätigt die Zusammenhänge. So steigt das relative Risiko, an einer Depression zu erkranken, auf 15 % (KI: 12–18 %) pro 10 dB Lden Anstieg des Dauerschallpegels für den Fluglärm sowie auf 4 % (KI: 3–6 %) pro 10 dB Lden Anstieg des Dauerschallpegels für den Straßenverkehrslärm. Ergebnisse der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell 2012“ des Robert Koch-Instituts zeigen zudem, dass eine „starke“ oder „äußerst starke“ Lärmbelästigung im Vergleich zu einer Referenzgruppe ohne Lärmbelästigung mit einer erhöhten statistischen Chance für körperliche und psychische Beeinträchtigungen einhergeht [39].

Herausforderung von Umgebungslärm im urbanen Raum

Umgebungslärm, und hier insbesondere der Verkehrslärm, stellt im urbanen Raum eine große Herausforderung dar [1, 39]. Durch eine dichte Bauweise in Städten, das hohe Verkehrsaufkommen und die gemischte Nutzung von Wohnen und Gewerbe sind viele Menschen nicht nur durch eine, sondern durch mehrere Schallquellenarten gleichzeitig belastet.

Im Rahmen der repräsentativen Studie zum Umweltbewusstsein in Deutschland untersucht das Umweltbundesamt auch die Mehrfachbelästigung der Menschen durch eine oder mehrere Schallquellenarten im gesamten Bundesgebiet. In Deutschland geben insgesamt 73 % der Menschen an, durch mindestens 2 oder mehr Schallquellenarten belästigt zu sein. Immer noch 51 % der Bevölkerung fühlen sich durch 3 oder mehr Schallquellenarten belästigt. Bei ausschließlicher Betrachtung des Verkehrslärms fühlen sich weiterhin 50 % der Menschen in Deutschland durch 2 oder mehr Verkehrslärmquellenarten belästigt [40].

Die Bedeutsamkeit der Thematik der Mehrfachbelastung durch unterschiedliche Schallquellenarten (auch Gesamtlärmbelastung genannt) spielt insbesondere im urbanen Umfeld eine maßgebende Rolle, daher sieht die Bundesregierung die Einführung einer Gesamtlärmbetrachtung vor [41]. Auch die WHO unterstreicht die Relevanz der Betrachtung von Mehrfachbelastung durch unterschiedliche Schallquellenarten und hält in ihren neuen Leitlinien für Umgebungslärm für die europäische Region fest, dass für eine umfassende Betrachtung der gesundheitlichen Auswirkungen von Umgebungslärm, Mehrfachbelastungen anhand entsprechender Modelle zu berücksichtigen sind [5]. Dies betrifft auch die Mehrfachbelastung durch unterschiedliche Umweltbelastungen, wie beispielsweise Geräusche und Luftschadstoffe oder Vibrationen.

Darüber hinaus stellen auch die Vielzahl und Heterogenität der verschiedenen Schallquellenarten eine Herausforderung dar. Zu den Hauptbelastungsquellenarten im urbanen Raum zählen neben dem Verkehrslärm auch die Geräusche durch Personen aus der Nachbarschaft, durch Industrie- und Gewerbebetriebe und von Sport- und Freizeitanlagen. Bei diesen Quellenarten ist die Bewertung besonders anspruchsvoll. Dies liegt zum einen daran, dass alle 3 sehr heterogene Geräuschcharakteristika besitzen. Zu den Geräuschen von Personen aus der Nachbarschaft gehören beispielsweise Trittschall, laute Musik, Rufe von Kindern oder nächtliche Unterhaltungen vor dem Fenster. Zu Geräuschen durch Gewerbebetriebe zählen Gespräche von Gästen der benachbarten Gastwirtschaft, aber auch der morgendliche Anlieferverkehr des Supermarkts. Zum anderen gibt es bislang nur wenige Studien, die Rückschlüsse auf Expositions-Wirkungs-Zusammenhänge dieser Schallquellenarten und gesundheitlichen Auswirkungen zulassen.

Maßnahmen zur Minderung der Umgebungslärmbelastung im urbanen Raum

Die Umgebungslärmrichtlinie ist ein wichtiges Instrument zur Erfassung und Verbesserung der Umgebungslärmsituation in Deutschland (EU-Umgebungslärmrichtlinie 2002/49/EG [3]). Ziel der Richtlinie ist es, den Umgebungslärm zu vermindern und in bisher ruhigen Gebieten einer Zunahme der Geräuschbelastung vorzubeugen. Dazu wird die Belastung in „Lärmkarten“ erfasst. Auf dieser Grundlage stellen Kommunen unter aktiver Mitwirkung der Öffentlichkeit Lärmaktionspläne auf. In diesen Plänen werden konkrete Maßnahmen zur Lärmminderung geplant. Das mögliche Maßnahmenspektrum für den Lärmschutz im Verkehrsbereich ist vielfältig, die Verantwortung für einzelne Maßnahmen liegt allerdings bei unterschiedlichen Entscheidungsträgern. Es umfasst sowohl langfristig strategische Ansätze der Verkehrsvermeidung als auch kurzfristig realisierbare Maßnahmen wie den Einsatz lärmmindernder Fahrbahnbeläge.

Eine Auswahl lärmmindernder Maßnahmen wird im Folgenden kurz dargestellt:

Ab ca. 30 km/h ist das Rollgeräusch der Reifen eines Personenkraftfahrzeuges in der Regel lauter als das Motorengeräusch. Daher trägt eine Minderung der Regelgeschwindigkeit auf 30 km/h hörbar zur Minderung der Verkehrsgeräusche bei. Im Vergleich zu einer Regelgeschwindigkeit von 50 km/h mindert eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h in Abhängigkeit vom Lkw-Anteil der entsprechenden Straße den Dauerschallpegel um 2–3 dB. Die Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Tempo 30 kann nicht nur in Wohngebieten, sondern auch an städtischen Hauptverkehrsstraßen sinnvoll sein. Damit Tempo 30 auf weiteren Straßen (z. B. Bundes‑, Landes- und Kreisstraßen) angeordnet werden kann, ist es wichtig, die Straßenverkehrsordnung anzupassen.

Aktuelle Studien verdeutlichen den Zusammenhang zwischen nächtlicher Geräuschbelastung und Herz-Kreislauf-Risikofaktoren [16, 36]. Dem Schutz der Nachtruhe kommt daher eine hohe Bedeutung zu. Dies gilt vor allem im urbanen Raum aufgrund der großen Zahl an betroffenen Menschen. Maßnahmen zur betrieblichen Beschränkung von Verkehrsträgern können dazu beitragen die nächtliche Geräuschbelastung deutlich zu mindern. Das Umweltbundesamt empfiehlt daher die Einführung des Ruhens des regulären Flugbetriebs an stadtnahen Flughäfen zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr.

Die durch Wohnraummangel bedingte Nachverdichtung im urbanen Raum führt dazu, dass die Wohnbebauung wieder dichter an Straßen- und Schienenverkehrswege heranrückt. In kompakten Quartieren mit hoher Bevölkerungsdichte kann baulicher Schallschutz im Neubau beispielsweise dazu beitragen, Verkehrs- und Nachbarschaftslärm zu reduzieren. Die Koexistenz von Wohnbebauung und Gewerbe auf engem Raum kann durch die Planung „lärmabgewandter“ Fassaden, geschlossener oder Blockbauweisen und durchgesteckter GrundrisseFootnote 8 ermöglicht werden. Kritisch anzumerken bleibt, dass der bauliche Schallschutz durch Maßnahmen des aktiven Schallschutzes im Außenraum Unterstützung finden sollte, da Schallschutzfenster nur die Geräuschsituation im Innenraum verbessern und für die Außenwohnbereiche keinen Schutz bieten. Generell ist daher der Schallschutz an der Quelle allen anderen Maßnahmen zur Lärmminderung vorzuziehen, da er effektiver und meist kosteneffizienter ist.

Neben der Minderung der bestehenden Geräuschbelastungen ist der Erhalt ruhiger Gebiete, gerade in Städten, essenziell. Wohnungsnahe Erholungsgebiete, in denen man „zur Ruhe kommt“, erhöhen die Umwelt- und Lebensqualität von dicht besiedelten und kompakten Städten [42, 43]. Die EU-Umgebungslärmrichtlinie verfolgt neben der Erfassung der Lärmbelastung und deren Minderung auch das Vorsorgeprinzip: Bestehende ruhige Gebiete sollen bewahrt werden. Die konkrete Ausgestaltung der ruhigen Gebiete, z. B. durch Schutzmaßnahmen und Auswahlkriterien, obliegt den für die Lärmaktionsplanung zuständigen Behörden.

Fazit

Immer mehr Menschen leben in urbanen Räumen in Deutschland. Kompakte Bauweise, Nutzungsmischung, wachsendes Verkehrsaufkommen und eine Vielfalt an unterschiedlichen Geräuschquellen machen Städte besonders laut. So sind mehr als ein Drittel der Menschen, die in Deutschland in einem Ballungsraum leben, ganztägig durchschnittlich einer Verkehrslärmbelastung von mehr al 55 dB Lden ausgesetzt und etwa ein Viertel nachts einer Verkehrslärmbelastung von über 50 dB Lnight. Die WHO empfiehlt – je nach Verkehrslärmquelle – nachts eine durchschnittliche Geräuschbelastung von 40–45 dB Lnight nicht zu überschreiten, um negative Auswirkungen zu vermeiden. Dies bedeutet, dass jede vierte Person, die in Deutschland in einem Ballungsraum lebt, einer Geräuschbelastung ausgesetzt ist, bei der langfristig gesundheitliche Auswirkungen nicht ausgeschlossen werden können.

Grundsätzlich bildet die EU-Umgebungslärmrichtlinie ein rechtliches Rahmenwerk, welches beruhend auf der „Lärmkartierung“ ein breites Spektrum an Maßnahmen bei der Lärmaktionsplanung ermöglicht. Den Kommunen, welche in Deutschland für die Erstellung der Lärmaktionspläne verantwortlich sind, steht jedoch meist nur eine begrenzte Anzahl an technischen Maßnahmen zur Verfügung.

Um die Geräuschbelastung kurz-, mittel- und langfristig im Sinne der empfohlenen Werte der WHO zu senken und einen angemessenen Schutz der Gesundheit der Menschen auch im urbanen Raum zu ermöglichen, bedarf es aus Sicht des Umweltbundesamtes weitreichender Maßnahmen, die durch politische Initiativen zu unterstützen und zu ermöglichen sind. Zu diesen Maßnahmen zählen beispielsweise die Einführung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Städten, das Ruhen des regulären nächtlichen Flugbetriebs an stadtnahen Flughäfen, eine Intensivierung der Bemühung hinsichtlich des baulichen Schallschutzes und der Erhalt ruhiger Gebiete zur lärmarmen Naherholung.