Aktuelle Situation der Patientenbeteiligung in Deutschland

Der Bürger in Deutschland ist, wie in allen anderen Ländern der Welt, zugleich stets auch Konsument und Patient.Footnote 1 Um ihn dreht sich das Gesundheitssystem, ihm gilt die Weiterentwicklung der Gesetzlichen Krankenversicherung, er soll Nutznießer der Qualitätssicherungssysteme der Krankenversorgung sein.Footnote 2

Eine Form der Patientenbeteiligung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist über die Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und in der nationalen Präventionskonferenz seit Jahren etabliert. Mit den jüngeren Gesetzesreformen wurde die Beteiligung von Interessenvertretungen der Patienten nach § 140f des 5. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) auf Bedarfsplanung und Erweiterungen des Leistungskatalogs erweitert. Die Patientenvertretung beschreibt sich als „die Organisationen, die auf Bundesebene maßgeblich die Interessen von Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen in Deutschland vertreten, haben im G‑BA ein Mitberatungs- und Antragsrecht. Sie haben aber kein Stimmrecht. Darüber hinaus sind sie berechtigt, Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter zur Mitwirkung im G‑BA zu benennen“ [1].

Die nach dem SGB V „maßgeblichen“ Organisationen sind der Deutsche Behindertenrat (DBR), die BundesArbeitsGemeinschaft der PatientInnenstellen (BAGP), die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. (DAG SHG) und die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbz).Footnote 3 Sie entsenden ihre Vertreter einvernehmlich im Koordinierungsausschuss der Patientenvertretung.Footnote 4 Deren fehlende Legitimation führt verfassungsrechtlich konsequenterweise auch zu dem fehlenden Stimmrecht in den Beschluss- und Beratungsgremien der GKV. Entspricht das dem „Leitbild einer Patientenvertretung“ [2]? Im Jahr 2011 hat der Autor dieses Beitrags diese Frage verneint und aufgezeigt, wie eine demokratisch legitimierte Patientenbeteiligung ausgestaltet werden kann [3].

Wie ist der Befund nun 8 Jahre später? Auch wenn die Beratungsfunktion der Patienten in der GKV deutlich ausgebaut wurde, sind ihre Rollen immer noch nicht demokratisch legitimiert. Ihnen wird die Kompetenz zur Mitgestaltung und Mitentscheidung abgesprochen, sie haben nur beratenden Anteil an wesentlichen Entscheidungen und nur selten wird auf ihre Erfahrungen und Kenntnisse zurückgegriffen, wenn Weiterentwicklungen des Gesundheitswesens gestaltet werden.Footnote 5 Nach den Regelwerken zur Gestaltung klinischer Prüfungen für die Zulassung von Arzneimitteln und Zertifizierung von Medizinprodukten hat der Patient in den Verfahren kein Stimmrecht. Bei der Planung von Krankenhäusern, Arztsitzen oder anderen Einrichtungen der Leistungserbringung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind Patienten nur beratend beteiligt. Die Entscheidungen über die Aufnahme von Medizinprodukten in das Hilfsmittelverzeichnis (Liste der verordnungsfähigen Hilfsmittel) können zwar mit Patientenvertretern beraten werden (vgl. § 140f Abs. 4 SGB V), finden dann aber ebenso ohne Patienten statt wie die Nutzenbewertung über Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen.Footnote 6 Angesichts dieses Befundes kommen manche Autoren zu dem Schluss, die Patienten seien in diesem System „krass unterrepräsentiert“ [4].

Freilich fehlt es auch nicht an Argumenten, die eine Begrenzung des Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsrechts der Patienten begründen könnten. Hier ist in erster Linie an die fehlende Qualifikation der Patienten zu denken: Sie sind nicht per se in Medizin, Pharmazie oder anderen Gesundheitswissenschaften ausgebildet. Dies bedingt einen Nachteil, wenn es gilt, die eigenen Auffassungen und Bedürfnisse aus Betroffenensicht mit den anderen erfahreneren und spezifisch ausgebildeten Entscheidern des Gesundheitssystems zu verteidigen. Daneben mag die Vertreter schrecken, dass sie mit Entscheidungskompetenz auch Haftung übernehmen, ebenso wie das Gesundheitssystem gegenüber den Patienten haftet, wenn es die Entscheidungen in inkompetente Hände legt. Auch ist zu besorgen, dass es möglicherweise an ausreichend sachverständigen Vertretern fehlt, um in wirklich allen Bereichen auch Patientenvertretungen zu etablieren, während andererseits auch eine Konkurrenz divergierender Organisationen die Auswahl erschwert. Diesen Herausforderungen kann, wie nachfolgend zu zeigen ist, mit einem Bildungsangebot, fairen Anreizen und einer demokratischen Legitimation begegnet werden, um eine intensivere Einbindung zum Wohle der Patienten und zur Verbesserung des Systems zu erreichen.

Dieser Aufsatz legt nach einer Beschreibung der Zielsetzung dar, dass für eine effektive Patientenbeteiligung ein erweitertes Bildungsangebot benötigt wird. Sodann wird zwischen Gestaltung durch Patienten und Partizipation differenziert. Nach einer kurzen Untersuchung über die Notwendigkeit der Vergütung von Patientenvertretung beleuchtet der Beitrag die in diesem Kontext zu erwartenden Auswirkungen einer Interoperabilität von Gesundheitsdaten in der Kontrolle der Patienten.

Zielsetzung – effektive Patientenbeteiligung in Deutschland

In der Rolle des Konsumenten/Bürgers/Patienten gibt es drei Bereiche, die Struktur und Aktivierung erfordern:

  1. 1.

    Das Gesundheitswesen bedarf der kontinuierlichen Weiterentwicklung, um den sich fortlaufend ändernden Vorgaben des medizinischen Fortschritts und den Herausforderungen der Demografie zu begegnen. Dieser kontinuierliche Prozess kann erheblich von Kenntnissen der Betroffenen profitieren. Eine Einbindung der Patientenkenntnisse und -erfahrungen bei der aktiven Gestaltung des Gesundheitswesens ist daher sinnvoll und geboten.

  2. 2.

    In jedem Gesundheitssystem müssen Entscheidungen zu Zulassung, Planungen, Allokationen getroffen werden. In Deutschland sind dies z. B. die Entscheidungen der Bundesoberbehörden Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Paul-Ehrlich-Institut (PEI), des Robert Koch-Instituts (RKI) und des G‑BA. Hier sind Patienten gegenwärtig nicht mitbestimmend beteiligt, auch wenn ihnen (z. B. im G‑BA s. oben)Footnote 7 Präsenz- und Diskussionsrechte zugebilligt werden.Footnote 8 Dies ist der ausbaufähige Bereich der Partizipation des Patienten an Entscheidungen.

  3. 3.

    Um die beiden vorstehend genannten Rollen auszufüllen, bedarf es eines Bildungsangebots bezüglich der Funktionsweise des Gesundheitswesens, der Entscheidungsprozesse für Planung und Kostenerstattung und der diesen Prozessen zugrunde liegenden Health-Technology-Assessment(HTA-)Bewertungen. Es sollte ein Curriculum sein, das einerseits eine nationale, präferenziell sogar EU-weite Akzeptanz findet, andererseits hinsichtlich der Kosten und Teilnahmedauer einen realistischen Rahmen für die potenziellen Teilnehmer bietet. Die Bürger/Patienten in einen informierten, partizipationsfähigen Stand zu versetzen, sollten wir Patientenbildung nennen. Sie ist eine notwendige Voraussetzung für die Erfüllung der beiden vorstehenden Rollen, Gestaltung und Partizipation, in der Gesellschaft.

In allen drei Bereichen bestehen in Deutschland für die Patientenbeteiligung Verbesserungsmöglichkeiten. Die zehn Bausteine der guten Praxis der Patienten- und Bürgerbeteiligung der PROGNOS-Studie aus dem Jahr 2011 sind in Deutschland jedenfalls noch nicht vollständig realisiert: So fehlt es u. a. an einer gesetzlichen Verpflichtung zur Einbindung der Patienten und Bürger in allen Bereichen des Gesundheitswesens, Rekrutierung über Ausschreibungen oder Register zur Erhöhung der Legitimation, Onlinepartizipationsverfahren und verbindlichem Feedback zur Qualitätssicherung [5]. Dies steht im Gegensatz zu dem Wunsch der Patienten, sich an der Entwicklung gesundheitspolitischer Entscheidungen und Produkte zu beteiligen.

Die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten darf sich daher nicht auf die Einwilligung in einen Heileingriff beschränken, sondern sollte sich auch in erweiterten Einwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in der Gesundheitsversorgung abbilden. Erst dadurch kann der Patient eine neue Rolle im System einnehmen, die zusätzlich noch der flankierenden Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedarf. Patienten können aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung und ihrer krankheitsspezifischen Erkenntnisse wesentlich dazu beitragen, dass die Ressourcen der Gesundheitsversorgung effizienter eingesetzt werden, eine höhere Akzeptanz finden und Gesundheitsziele unter Einbindung der Betroffenen gesetzt werden.Footnote 9 Damit wird einerseits die Akzeptanz in Betroffenenkreisen verstärkt, andererseits können wirtschaftlichere Entscheidungen getroffen werden [6]. Es besteht Konsens darüber, dass die Einbeziehung der Patienten und Bürger in HTA-Prozesse und gesundheitspolitische Entscheidungen wertvoll ist [7]. Es ist daher ein gemeinsames gesellschaftliches Ziel, Patientenbeteiligung in Deutschland zu reformieren und zu professionalisieren.

Bildungsangebot

Durch eine bessere Qualifikation lässt sich eine tiefgründigere Einbindung der Patienten in gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse ermöglichen. Patienten werden durch Schulung zu Patientenexperten. Die geschulten Patienten können, statt ein loser Teil des gesundheitspolitischen Diskurses zu sein, als Experten zu dessen Kern werden. Allerdings fühlen sich Patientenvertreter meist schlecht auf ihre Tätigkeit vorbereitet, halten eine gute Vorbereitung auf ihre Tätigkeit aber für sehr wichtig [8]. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz ist in § 140f Abs. 6 und 7 SGB V bereits eine Option zur Unterstützung der anerkannten Organisationen und sachkundigen Personen auch für Fortbildungen und Schulungen geschaffen worden. Hier bildet sich die gesellschaftliche Akzeptanz und Zahlungsbereitschaft für einen Bildungsauftrag ab.

Um den Bildungsauftrag sinnvoll ausfüllen zu können, bedarf es eines Bildungsangebotes, das die hierfür erforderlichen Kenntnisse vermittelt. In Abhängigkeit davon, in welcher Funktion und wie tiefgründig Patienten beteiligt werden sollen, benötigen sie unterschiedliche Fähigkeiten und Kompetenzen. Zugleich besteht ein zu berücksichtigendes Dilemma zwischen Austausch in der Selbsthilfe und Professionalisierung [9]. Neben fachlicher Expertise zu einem spezifischen Krankheitsbild sind auch allgemeine Fachkompetenzen und Methodenkompetenzen essenziell für eine gute Zusammenarbeit mit den anderen Beteiligten des Gesundheitswesens (Tab. 1; [10]).

Tab. 1 Kompetenzbereiche im Rahmen der Bildungsangebote für Patientenvertreter

Diese Kompetenzen sind erlernbar. Hierzu müssen standardisierbare und evaluierbare Lernmodule verfügbar sein. Zusätzlich sind Gremien für die Überprüfung der Qualifikation und Entsendung/Bestellung zu schaffen.

Folgende weitere Punkte sind zu adressieren:

  • Transparenz und Lauterkeit:

    • Transparenz = Offenlegung von Verbindungen.Footnote 10 Wirtschaftliche Interessen sprechen nicht per se gegen Beteiligung, müssen aber transparent gemacht werden

    • Lauterkeit = persönliche ethische Integrität zwischen Mittelzuwendung und Handlung

  • Faktische Möglichkeit der Aufgabenwahrnehmung:

    • Finanzielle Mittel oder Unterstützung, die angestrebte Rolle wahrzunehmen

    • Zeitliche Freiräume zur Aufgabenwahrnehmung

    • Hinreichende Gesundheit

Die für eine Funktion erforderliche BetroffenenkompetenzFootnote 11 muss nicht eine persönliche sein:

  • Integration in Betroffenenkreise

    • Integration in Kreise von Betroffenen mit spezifischem Fokus auf das Erkrankungsbild

    • Abstraktionsvermögen von der eigenen Betroffenheit

  • Betroffenenkompetenz

    • Erfahrungen mit dem Krankheitsbild aus persönlichem Bezug zur Erkrankung

Die oben angesprochenen Kompetenzen sollten als Lerninhalte in entsprechenden Curricula angeboten werden. Nach der gemeinsamen Stellungnahme von DBR/BAGP/DAG SHG/vzbz bedarf es „gesetzlicher Maßnahmen“, damit die „Patientenorganisationen künftig noch wirkungsvoller ihre Rolle bei der patientenorientierten Weiterentwicklung des Gesundheitswesens spielen können“, anderenfalls „verkümmert sie zur Beteiligung auf dem Papier und verliert ihre systemgestalterische Kraft“ [11]. Eine hierzu bundesweit einheitliche Qualifikation ließe sich durch eine Initiative des Bundes und der Länder realisieren. Es kann dahingestellt bleiben, ob hierfür die Gesetzgebungskompetenz beim Bund oder den Ländern liegt.Footnote 12 Es können die Erfahrungen der gegenwärtig bereits bestehenden PatientenakademienFootnote 13 und weitere Erkenntnisse berücksichtigt werden, wonach z. B. ein Großteil der Patientenvertreter eine Schulung gegenüber Informationsmaterial vorziehen. Als geeignete Schulungsanbieter werden auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -Initiativen, Kassenärztliche Vereinigungen, Ärztekammern, Koordinationsstellen der Patientenvertreter, Krankenkassen, Verbraucherzentralen, Universitäten und Krankenhäuser genannt [8]. Erstrebenswert ist in diesem Kontext auch eine Verankerung im europäischen Recht, ähnlich der Richtlinie 2013/55/EU über die Anerkennung von Berufsqualifikationen.

Schließlich sollte es Patientenvertretern auch ermöglicht werden, an Fachkongressen, -konferenzen und -messen teilzunehmen. Dies begegnet gegenwärtig der Schwierigkeit, dass auf Veranstaltungen dieser Art oft über verschreibungspflichtige Arzneimittel informiert wird, was nur gegenüber den im Heilmittelwerbegesetz definierten Fachkreisen zulässig ist. In vielen anderen Ländern, wie z. B. den USA, ist die Teilnahme von Patienten an Fachkongressen nicht nur zulässig, sondern kann auch so ausgestaltet sein, dass am Ende jedes Konferenztages eine patientenbezogene Zusammenfassung der Konferenzergebnisse angeboten wird.

Gestaltung

Bereits jetzt lassen sich die Erfahrungen und Präferenzen der Patienten sowohl allgemein wie auch indikationsspezifisch für Planungen und Entscheidungen im Gesundheitswesen einbeziehen [12]. Auf den ersten Blick bietet sich dies bei den Schnittstellen zwischen einer Gesundheitseinrichtung, einem Produkt oder einer Gesundheitsdienstleistung und den Patienten an. Als Beispiele sind zu nennen: Inhalt und Gestaltung von Packungsbeilagen für Arzneimittel, Inhalt und Design von Arzneimittelverpackungen und der Anleitungsmanuale von Medizinprodukten, Aufklärungsbögen vor ärztlicher Behandlung, aber auch die Gestaltung und Struktur von Abläufen in der ambulanten und stationären Versorgung (Patient Journey). Ein Gleiches gilt für die Ausgestaltung von Prävention und Rehabilitation sowie Pflegeeinrichtungen.

Die Integration der Patientenkompetenz kann aber auch schon früher bei der Produktentwicklung beginnen, hier ist etwa zu denken an die Integration bei der Planung klinischer Prüfungen. Das Studiendesign, die Gestaltung der Kommunikation zum Anwerben der Probanden oder Patienten, aber auch Abläufe und Kommunikation der klinischen Prüfung können dadurch patientengerechter ausgestaltet und bezüglich der Adhärenz gestärkt werden. Viele Forschungsausschreibungen auf EU- und nationaler Ebene verlangen deshalb bereits eine Patientenbeteiligung. Ein Programm zum Umgang mit fehlender Therapietreue ist nicht nur für klinische Prüfungen sinnvoll und sollte stets mit Einbezug von Patientenexpertise erfolgen. Die Beteiligung in Beiräten von Biobanken, Ethikkomitees der Krankenhäuser und Ethikkommissionen ist schon in vielen Bundesländern realisiert. In Nordrhein-Westfalen ist die Beteiligung eines Patientenvertreters in der Ethikkommission der Ärztekammer auch gesetzlich verankert.Footnote 14 Eine Patientenbeteiligung ist für die Ausgestaltung von Patientenregistern und anderen Studien nach erfolgter Zulassung sinnvoll. Angesichts der steigenden Zahl verkürzter Zulassungsverfahren, etwa bei Arzneimitteln für seltene Erkrankungen, denen sich Phasen einer kontinuierlichen Beobachtung der Therapie im realen Versorgungskontext (Real World Evidence) anschließen, kommt diesem Verfahren auch eine größere Bedeutung zu. Dies gilt auch für Medizinprodukte, umso mehr als mit der Medizinprodukteverordnung der EU auch für Medizinprodukte eine fortlaufende Beobachtung nach der Zertifizierung erforderlich wird. Der hierfür erforderliche Einschluss der Kommunikation mit den Anwendern ist ebenfalls einer patientenfreundlicheren Gestaltung zugänglich.

Auch in der digitalen Gesundheitswirtschaft ist die Integration von Patientenpräferenzen und Erfahrungen sinnvoll. Aufgrund der direkten Rückkopplungsmöglichkeiten des Nutzers einer digitalen Gesundheitsanwendung wird in weiten Teilen des digitalen Gesundheitsmarktes mit der Integration der Patienten gearbeitet. Als ein Beispiel sei hier genannt, dass Präventionsleistungen des SGB V nach den Vorgaben der zentralen Prüfstelle für Prävention (ZPP) auch durch die Versicherten zu evaluieren sind. Die gegenwärtig hierfür verwendeten Fragebögen sollten in Zukunft durch Onlinebefragungen ergänzt werden. Dies ist eine Schnittstelle zwischen Patienten und Leistung, die in ihrer Gestaltung von Patientenpräferenzen profitieren kann. Diese Ansätze sollten ausgebaut werden.

Partizipation

Schließlich ist die Integration der Patienten auch in den Entscheidungsprozessen des Gesundheitswesens anzustreben. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass diese in Deutschland in erster Linie solche der GKV sind. Nach dem kooperativen Konzept der GKV stellt der Gesetzgeber die rechtlichen Rahmenbedingungen auf: Pflicht zur Mitgliedschaft, Beitragszahlung, Ansprüche des Versicherten und die Aufgabe der Krankenkassen, mit den Leistungserbringern Verträge zur Erfüllung der Ansprüche zu schließen, bilden die Grundpfeiler der Versorgung in der GKV. Das bis vor einigen Jahrzehnten bestehende Primat der Ausgestaltung durch Verträge auf Bundesebene wird seit dem Jahr 2000 zunehmend durch die untergesetzliche Gestaltung des Gemeinsamen Bundesausschusses ersetzt. Inhalte und Struktur der ambulanten Leistungen, Bedarfsplanung der niedergelassenen Ärzte, Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Methodenbewertungen ärztlicher Leistungen – die Liste der von diesem Gremium zu treffenden Entscheidungen ist lang. Die Partizipation der Patienten ergibt sich aus der Patientenbeteiligungsverordnung. Sie ist bislang ohne Stimmrecht ausgestaltet, obwohl die Patienten am stärksten von der Richtliniensetzung des G‑BA betroffen sind, da es in diesen Richtlinien meist um Fragen des Leistungsrechts oder um Rahmenbedingungen bei der Versorgung geht [13]. Das Stimmrecht zu erreichen, ist eine besonders anspruchsvolle Aufgabe, da hierzu eine demokratische Legitimation geschaffen werden muss [10, 13], denn bei den Entscheidungsfindungen wird über die Verwendung von Beiträgen des sozialen Sicherungssystems entschieden, in denen zudem auch Steuerzuschüsse enthalten sind.

Aber auch außerhalb der GKV werden Entscheidungen im Gesundheitswesen getroffen: Die Bundesoberbehörden, etwa das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das Paul-Ehrlich-Institut, das Robert Koch-Institut und die Landesbehörden treffen regelmäßig Entscheidungen, die gestaltend auf das Gesundheitswesen einwirken, etwa die Zulassung von Arzneimitteln und die Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln und Medizinprodukten, die Empfehlungen im Impfwesen und die Erstellung von Maßnahmenplänen zur Seuchenbekämpfung oder zum betrieblichen Gesundheitsschutz. Auch in diesen Systemen können die Entscheidungen durch eine Partizipation qualifizierter Patienten verbessert werden [14].

Die Partizipation bedarf einer demokratischen Legitimation. Regulatorisch knüpft diese Integration an die Etablierung eines entsprechenden Bildungsangebotes und den Nachweis eines qualifizierenden Abschlusses an. Diese Qualifikation ist Voraussetzung für die Verankerung in partizipativen Entscheidungen, jedoch allein dafür nicht ausreichend. Es bedarf zusätzlich einer zumindest mittelbaren Artikulation des Wählerwillens. Die Patientenbeteiligungsverordnung kann eine Integration in Entscheidungen auch für die Zulassungs- und Planungsbehörden ermöglichen. Für die jeweiligen Positionen können Kompetenzprofile beschlossen werden, auf die sich jeder Bürger bewerben kann. Die Kompetenzprofile dürfen anfangs nicht zu kleinteilig auf spezifische Erkrankungen ausgerichtet sein, um eine ausreichende Anzahl von interessierten Bewerbern sicherzustellen. Eine höhere Fachspezifität als bei den ärztlichen Vertretern scheint jedenfalls nicht geboten. Die Exekutive (zum Beispiel das Bundesministerium für Gesundheit oder die Landesaufsichtsbehörden) kann sodann das Vorliegen der entsprechenden Qualifikationen prüfen und eine Wahlliste erstellen, aus der der Bundestag oder der Gesundheitsausschuss des Bundestages die zu Beteiligenden wählt. Die auf diesem Wege vermittelte demokratische Legitimation würde sich folgerichtig auch für die Patientenvertretung in der GKV anbieten [10].

Vergütung

Die Beteiligung der Patienten an der Gestaltung des Gesundheitswesens und die Partizipation in den Entscheidungsgremien sind wichtige gesellschaftliche Aufgaben. Sie erfordern Einsatz, Zeitaufwand, naturgemäß auch Übernachtungs- und Reisekosten. Zur Erlangung der Qualifikation sind ebenfalls Investitionen und Zeitaufwand erforderlich. Es ist daher zwingend geboten, diese Tätigkeit auch zu vergüten. Die Regelungen zur Patientenbeteiligung in der GKV enthalten in § 140f SGB V bereits Reisekostenerstattungen, Ersatz des Verdienstausfalls und Pauschbeträge für den Zeitaufwand. Vergütungen in diesem Umfeld sind stets eine Gratwanderung: Einerseits soll eine solche Vergütung keinen übertriebenen Anreiz setzen, um eine finanzielle Motivation der Beteiligung zu vermeiden. Eine fehlende oder zu geringe Vergütung andererseits würde sich prohibitiv auswirken. In anderen Bereichen des Gesundheitswesens könnte Bezug auf die Regelungen im SGB V genommen oder ein anderes System der Vergütung etabliert werden. Hier ist die Parallele zu den ehrenamtlichen Richtern naheliegend: Privatpersonen nehmen eine gesellschaftliche Aufgabe wahr und erhalten dafür eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG). Der Kreis der Anspruchsberechtigten dieses Systems könnte auf die Patientenbeteiligung außerhalb der GKV erweitert werden. Dessen ungeachtet verbleibt die Möglichkeit, Angestellte zu beteiligender oder beteiligter Organisationen unter Beibehaltung ihrer Bezüge für den Zeitraum ihrer Tätigkeit freizustellen.

Der Hebel der Gesundheitsdaten

In die Diskussion um die Patientenbeteiligung und deren Weiterentwicklung tritt nun ein weiterer Umstand, der sowohl die Rolle des Patienten betont als auch zugleich eine neue Rolle der Patientenbeteiligung mit sich bringt: die Interoperabilität der Gesundheitsdatenverarbeitung. Es ist viel davon zu lesen, dass Daten „der wichtigste Rohstoff“ in der modernen Medizin sind. Auch wenn dieser Vergleich hinkt (weil sich Daten anders als Rohstoffe nicht verbrauchen), beschreibt er doch die enorme Bedeutung der Daten für die Qualität der medizinischen Versorgung. Anfang der Neunzigerjahre wurde geplant, eine elektronische Gesundheitsplattform zu errichten, in der alle für den Patienten wichtigen Daten im Moment der Entscheidung über Diagnose oder Therapie zur Verfügung stehen. Die aus dieser Diskussion geborene Idee eines elektronischen Rezepts konnte bislang nicht realisiert werden. Nun allerdings sind Anbieter auf dem Markt, die elektronische Patientenakten anbieten. Ihr zentrales Motiv ist, dass der Patient die bislang im Gesundheitswesen verteilten Informationen über sich und seinen persönlichen Gesundheitszustand zentral verwaltet und entscheidet, wer in welchem Umfang Zugang zu diesen Daten bekommt.

Den Patienten kommt bei der Verwaltung personenbezogener Gesundheitsdaten die Schlüsselrolle zu: Im Laufe des Lebens eines Menschen wechseln Krankenversicherungen (Leistungsträger), Ärzte, Betreuer und Pfleger (Leistungserbringer) fortlaufend. Das einzige Kontinuum in Bezug auf die Entstehung des persönlichen Datenpools ist der Patient selbst. Die ihm vom Gesetzgeber zugedachten Herausgabe- und Informationsrechte und die in der GKV entwickelte Möglichkeit einer elektronischen Patientenakte ermöglichen ihm, die Kontrolle über seine Daten in die Hand zu nehmen [12]. Diese Position wird durch das neue Recht auf Herausgabe der Daten in einem maschinenlesbaren Format nach der Datenschutz-Grundverordnung noch verstärkt. Der Herausgabeanspruch wird die Portabilität und damit die Interoperabilität der Daten nach sich ziehen. Hat der Bürger gegenüber dem Anbieter einer elektronischen Patientenakte den Anspruch, die Daten in einem maschinenlesbaren Format zu erhalten, werden die kompetitiv aufgestellten Anbieter auch die Übernahme der Datensätze in entsprechenden Formaten ermöglichen.

Aus der Portabilität ergibt sich die Notwendigkeit, die medizinischen Daten zu strukturieren. Während sich die Gestaltung von elektronischen Patientenakten bislang in dem Anlegen von Ordnern für portable Dokumentformate erschöpfte, werden zukünftig strukturierte Formate eine systematische Ordnung in den personenbezogenen Gesundheitsdaten bewirken und so im Behandlungsgeschehen auch einen intelligenten Zugriff auf die vorhandenen Informationen ermöglichen (z. B. Integrating the Healthcare Enterprise IHE, Systematische Nomenklatur der Medizin SNOMED). Dies ist eine Rolle, die die Bürger/Patienten in Zukunft wahrnehmen müssen, sodass auch hierfür Bildungsangebote bereitgestellt werden müssen. Freilich ist es nicht jedem zuzumuten, sich dieser Aufgabe allein zu stellen. Es ist daher wahrscheinlich, dass auch Serviceanbieter auf diesem Markt entstehen werden, etwa medizinisch qualifizierte Dienstleister ein „persönliches Gesundheitsdatenmanagement“ anbieten. Dessen ungeachtet bleibt die Verantwortung für die Bündelung und Gestaltung der personenbezogenen Gesundheitsdaten beim Patienten selbst.

Der Patient wird damit zu der steuernden Gestalt für die Zugriffe der Leistungserbringer auf seine Gesundheitsdaten zu der jeweils erforderlichen Zeit und in dem jeweils erforderlichen Umfang.

Fazit

Der Weg zu einer ernsthaften und effektiven Patientenbeteiligung im deutschen Gesundheitswesen ist lang. Er setzt zunächst die Etablierung eines Bildungsangebotes und die Qualifikation einer ausreichend großen Anzahl von Patientenvertretern voraus. Parallel dazu können Patientenvertreter bereits jetzt in die Gestaltung des Gesundheitswesens eingebunden werden. Eine Partizipation in Entscheidungsprozessen bedarf jedoch einer demokratischen Legitimation, die an die vorgeschriebene Qualifikation anknüpft. Insgesamt handelt es sich dabei um eine große regulatorische Herausforderung, die nur durch gemeinsames Agieren aller Beteiligten im Gesundheitswesen gemeistert werden kann. Die Zeit für die Umsetzung ist gekommen. Machen wir das nächste Jahrzehnt zu einem Jahrzehnt des Patienten und stellen ihn wirklich in den Mittelpunkt!