In Deutschland wurde der kommunale Raum mit dem Thema Gesundheit über längere Zeit hinweg wenig in Verbindung gebracht. Ausnahmen bildeten das Gesunde Städte-Netzwerk sowie Ansätze der Gemeindeorientierung und gesundheitsbezogenen Gemeinwesenarbeit. Tatsächlich haben Kommunen als Gestalter von Lebenswelten einen maßgeblichen und unmittelbaren Einfluss auf die Gesundheit von Bürgerinnen und Bürgern. Gesundheit entsteht lokal, dort wo Menschen leben, wohnen, arbeiten und ihre Freizeit verbringen. Auch für die Gesundheit von Kindern sind die kommunalen Rahmenbedingungen – in Wechselwirkung mit der familiären Situation – von entscheidender Bedeutung. Die erfolgreiche Förderung der Gesundheit von Kindern hängt maßgeblich davon ab, dass die Akteure in den Kommunen zusammenarbeiten und ein für die Zusammenarbeit hinreichend gemeinsames Verständnis von Problemen und Zielen haben. Dazu kann beispielsweise die kommunale Gesundheitsberichterstattung einen hilfreichen Beitrag leisten, indem sie anhand der Beschreibung der Gesundheit der Bevölkerung und der darauf Einfluss nehmenden Determinanten Handlungsbedarf und Kooperationsmöglichkeiten auf der lokalen Ebene identifiziert. Das 2015 in Kraft getretene Präventionsgesetz spricht in der Gesetzesbegründung zu Recht die Rolle der Gesundheitsberichterstattung bei der Umsetzung von Präventionskonzepten im Zuge der Landesrahmenvereinbarungen nach § 20f SGB V an.

Eine besondere Herausforderung ist die ungleiche Verteilung der Gesundheitschancen nach sozialem Status (Bildung, Beruf, Einkommen) und/oder ethnischen Merkmalen [1]. Bildungsgrad und Einkommen wirken auf Lebens- und Teilhabechancen und ziehen eine ungleiche Verteilung von Gesundheits‑, Wohn‑, Erholungs- und Mobilitätschancen nach sich [2, 3]. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen manifestiert sich zudem kleinräumig auf der Ebene von Quartieren [4] oder einzelnen Straßenzügen und geht mit einer sozialräumlichen Segregation einher. Ergebnisse einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) zur sozialen Architektur in deutschen Städten [5] zeigen, dass das Ausmaß der Konzentration von Familien mit besonderem Förderbedarf in einzelnen Quartieren besorgniserregend ist. Denn ähnlich wie in den USA ist auch in Deutschland die soziale Spaltung innerhalb der Städte bei Kindern bzw. Familien mit Kindern stärker ausgeprägt als in der Gesamtbevölkerung. Räumlich besonders ungleich verteilen sich Kinder in Haushalten mit SGB-II-Bezug. Hier gibt es in nahezu der Hälfte der in der Studie untersuchten 74 Städte Quartiere, in denen mehr als 50% aller Kinder von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II leben. Dieses Zusammenspiel sozialräumlicher Risikofaktoren unterstreicht die Bedeutung des kommunalen Settings für die Gesundheitsförderung bei Kindern.

Soziale Ungleichheit beeinträchtigt Teilhabechancen und prägt oft langfristig die Entwicklungsperspektiven der Kinder. Die soziale Herkunft bestimmt so die Lebenschancen der Kinder erheblich mit [6]. Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey KiGGS zeigt einen Statusgradienten der Gesundheitschancen: Je niedriger der soziale Status, desto geringer sind die Chancen für ein gesundes Aufwachsen [7]. Dies zeigt sich im allgemeinen Gesundheitszustand und u. a. auch in Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen, Übergewicht und Adipositas, körperlich-sportlicher Aktivität, Ernährungsverhalten sowie der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen. Dieses „wicked problem“ (WHO) zeigt auch nach den neuen KiGGS-Daten keine relevante Verbesserung [8]. Ein Grund dafür sind zersplitterte Präventionslandschaften mit einem Nebeneinander von Projekten und Maßnahmen, die zudem häufig nicht nachhaltig angelegt sind [9]. Immer mehr Kommunen begegnen daher den sozial- und gesundheitspolitischen Herausforderungen vor Ort, indem sie im Rahmen von präventiven Gesamtansätzen ihre sozialen, erzieherischen und gesundheitsbezogenen Unterstützungsmöglichkeiten gemeinsam gestalten.

Eine derart angelegte, auf Vernetzung ausgerichtete kommunale Gesundheitsförderung gilt als erfolgversprechender Ansatz, um insbesondere sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Auf dem Fundament der Frühen Hilfen soll von der Geburt bis zum Berufseinstieg eine lebenslauforientierte Vernetzung kommunaler Prävention und Gesundheitsförderung etabliert werden. Im dritten Memorandum des Meta-Projekts „Kooperation für nachhaltige Präventionsforschung“ (KNP), welches eine Synthese und Verdichtung der Erkenntnisse des BMBF-Förderschwerpunktes Präventionsforschung (2004–2013) zum Ziel hatte, wird der Ansatz vorsichtig optimistisch aufgenommen:

„Erste Erfahrungen mit kommunalen Präventionsketten zeigen […], dass durch eine derartige Neustrukturierung von Hilfesystemen auch benachteiligten sozialen Gruppen gesundheitsförderliche Lebens- und Teilhabebedingungen eröffnet […] werden. Leitgedanke ist hier, getrennt erbrachte Leistungen und Angebote im Hilfesystem so aufeinander abzustimmen und zu koordinieren, dass eine durchgängige und lückenlose Förderung und Unterstützung erreicht wird“ [9, S. 386].

Präventionsketten finden sich mittlerweile im gesamten Bundesgebiet. Sie werden im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) systematisch gefördert [10]. Dort sind die Hauptakteure das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW (MFKJKS NRW)Footnote 1 mit dem 2012 gestarteten Modellvorhaben Kommunale Präventionsketten (ehemals „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“ – KeKiz) sowie die Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL) mit dem 2009 aufgelegten Förderprogramm „Teilhabe ermöglichen – Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut“. Im Rahmen von KeKiz wurden in einer Modellphase (2012–2016) 18 Kommunen finanziell und beratend dabei unterstützt, präventive Gesamtansätze aufzubauen. Unter Federführung der Bertelsmann Stiftung wurde die Modellphase wissenschaftlich begleitet [11, 12]. Anfang 2017 haben sich 22 weitere Kommunen dem Fördernetzwerk angeschlossen. Der LVR unterstützt aktuell 35 Kommunen und 4 Kreise bei der Entwicklung und Implementierung von Präventionsketten.

Im internationalen Vergleich gibt es u. a. Übereinstimmungen mit Ansätzen der „Comprehensive Community-based Health Promotion“ [13] oder der Initiative „Health Promoting Communities: Being Active Eating Well“ in Australien [14]. In einem „scoping review“ kommen Pons-Vigués et al. zu dem Ergebnis, dass es insgesamt an wissenschaftlichen Publikationen zu kommunalen Strategien zur Bewältigung gesundheitlicher Ungleichheit in Europa mangelt, die Mehrzahl der Interventionen das Gesundheitsverhalten fokussiert und kommunale Lebensverhältnisse vernachlässigt [15]. Dies steht auch im Zusammenhang mit der bisher nur sporadisch wahrgenommenen koordinierenden und vernetzenden Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in der kommunalen Gesundheitsförderung [16]. Hier sind durch das Präventionsgesetz und die darin angelegte Stärkung kommunaler Settings neue Impulse zu erwarten.

Das vorliegende Heft stellt den Themenkomplex vernetzter kommunaler Gesundheitsförderung in seinen vielfältigen Zugängen vor. Theoretische Prämissen, Forschungserkenntnisse und Gelingensfaktoren zu vernetzter kommunaler Gesundheitsförderung wurden bislang nur partiell und wenig systematisch dargestellt. Im Sinne eines „Lessons learned“ und „Lessons still to be learned“ sollen damit interdisziplinäre Zugänge und Perspektiven auf vernetzte kommunale Gesundheitsförderung aufgezeigt und forschungsmethodisch reflektiert werden.

Der Logik des Public-Health-Action-Cycles folgend wird zunächst eine Bestandsaufnahme relevanter Datengrundlagen für die Kindergesundheit auf kommunaler Ebene unternommen, die für Planungs- bzw. Vernetzungsvorhaben (zur Bewertung von Maßnahmen) in den Blick zu nehmen sind. Anschließend werden Ergebnisse aus einem laufenden Forschungsverbund in der Förderlinie des BMBF zur Präventionsforschung vorgestellt, die sich mit der Untersuchung vernetzter kommunaler Gesundheitsförderung befassen. Den Abschluss bilden Konzepte und Befunde zur Evaluation komplexer gemeindeorientierter Gesundheitsförderung. Damit will das Heft einen Beitrag zur Weiterentwicklung der theoretischen und methodischen Fundierung kommunaler Gesundheitsförderung leisten.

Mit freundlichen Grüßen

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Dr. Guido Nöcker

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Dr. Joseph Kuhn