Mancher von Ihnen wird sich bei der Lektüre der aktuellen Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) für das Jahr 2017/2018 [1] gefragt haben, wieso der Zoster-Impfstoff von der STIKO derzeit nicht als Standardimpfung empfohlen wird, obwohl er in Deutschland zugelassen ist und zuvor seine Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Rahmen kontrollierter klinischer Studien unter Beweis gestellt hat. Die Anforderungen für eine generelle Impfempfehlung durch die STIKO gehen jedoch über die Zulassungsvoraussetzungen von Impfstoffen hinaus. Für eine allgemeine Impfempfehlung bewertet die STIKO – neben dem Nutzen und Risiko für den Einzelnen – auch die erwartete Akzeptanz und die Effekte eines Impfprogramms auf der Populationsebene. Darüber hinaus fließen Ergebnisse von Kosten-Effektivität-Analysen ein. Wie in der wissenschaftlichen Begründung der STIKO in dieser Ausgabe des Bundesgesundheitsblatts ausführlich dargestellt, lässt die Wirksamkeit des Zoster-Lebendimpfstoffes (Zostavax®) im Alter nach, ist gerade bei Personen, die wegen Immunsuppression ein deutlich erhöhtes Risiko für den Herpes Zoster haben und den Schutz dringend benötigen, kontraindiziert und lässt keinen Mehrwert im Sinn einer verbesserten Herdenimmunität erwarten. Die Schutzdauer der Impfung ist auf wenige Jahre begrenzt und bisher ist der Zoster-Lebendimpfstoff nur für eine einmalige Gabe zugelassen. Nach Studiendaten führte eine erneute Zosterimpfung bei über 70-Jährigen, die 10 oder mehr Jahre zuvor bereits eine Zoster-Lebendimpfung erhalten hatten, zu einer vergleichbaren Erhöhung der Varizella-Zoster-Virus(VZV)-spezifischen Antikörperspiegel und T‑Zellantworten wie eine erstmalige Impfung [2]. Da jedoch Daten zur klinischen Wirksamkeit einer zweiten Impfung mit dem Zoster-Lebendimpfstoff nicht vorliegen, bleibt offen, ob durch Auffrischimpfungen mit diesem Impfstoff die Wirksamkeit bei über 70-Jährigen verbessert und die Schutzdauer verlängert werden kann. Es ist gegenwärtig davon auszugehen, dass der Zoster-Lebendimpfstoff das Auftreten des Zosters nur bei einem Teil der Geimpften verhindern kann bzw. das Auftreten des Zosters zwar hinausschiebt, aber bei vielen Impflingen die Erkrankung mit einer Verzögerung von einigen Jahren trotzdem noch auftritt. Das könnte sich in der Folge negativ auf die Akzeptanz einer allgemeinen Impfempfehlung gegen Zoster wie auch auf weitere Impfempfehlungen der STIKO auswirken.

Bei der Erarbeitung von Impfempfehlungen wendet die STIKO die Methodik systematischer Übersichtsarbeiten im Sinn der evidenzbasierten Medizin an. Dies impliziert, dass bei fehlender Evidenz für eine ausreichende Wirksamkeit von einer generellen Impfempfehlung Abstand genommen wird. Damit muss die Nichtempfehlung der generellen Zoster-Lebendimpfung durch die STIKO auch als konsequente Umsetzung ihrer Standardvorgehensweise gesehen werden. Aus diesem Grund stellt die STIKO auch die Daten und Überlegungen ausführlich dar, die zu dieser Entscheidung geführt haben, und veröffentlicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Begründung einer Nichtempfehlung.

Wenngleich die STIKO diese Impfung derzeit nicht als Standardimpfung empfiehlt, sollten nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung die Chancen genutzt werden, die der Zoster-Lebendimpfstoff bietet, insbesondere bei Patienten mit erhöhtem Risiko (beispielsweise vor einer geplanten immunsupprimierenden Therapie), da die Zulassungsstudien für den Zoster-Lebendimpfstoff den individuellen Nutzen zumindest in bestimmten Altersbereichen über einen begrenzten Zeitraum belegen.

Die evidenzbasierten Empfehlungen der STIKO beziehen sich ausschließlich auf zugelassene Impfstoffe. Bei der systematischen Aufarbeitung der Evidenz wurden auch erste Studienergebnisse zu einem neuen Impfstoff eingeschlossen, der gegenwärtig noch das Zulassungsverfahren durchläuft. Nach Zulassung dieses Impfstoffs wird das Thema Zosterimpfung erneut auf der Tagesordnung der STIKO stehen, da es gilt, alle Möglichkeiten eines risiko- und altersadaptierten Einsatzes der Zosterimpfung systematisch zu bewerten.

Theoretische Erwägungen, die nicht Gegenstand der Bewertung der Zosterimpfung durch die STIKO waren, lassen auch daran zweifeln, ob lebend-attenuierte Impfstoffe für wiederholte Auffrischimpfungen die am besten geeigneten Impfstoffe sind. Die Wirksamkeit lebend-attenuierter Impfstoffe hängt ganz wesentlich vom Ausmaß der Vermehrung des Impfvirus im Impfling ab. Eine vor der Impfung bereits vorhandene Immunität gegen den Lebend-Impfstoff kann die Vermehrung des Impfvirus stark einschränken und somit zu einer ungenügenden Auffrischung der Immunantwort führen. Dies könnte erklären, weshalb lebend-attenuierte Influenzaimpfstoffe bei Kindern eine höhere Wirksamkeit aufwiesen als bei Erwachsenen [3]. Aufgrund bereits durchgemachter natürlicher Influenzavirusinfektionen dürften Erwachsene einen partiellen Schutz aufweisen, der die Vermehrung der lebend-attenuierten Impfviren einschränkt. Konkret hat die Abnahme der Effektivität des lebend-attenuierten Influenzaimpfstoffs die STIKO veranlasst, ihre Empfehlung der bevorzugten Verwendung lebend-attenuierter Influenzaimpfstoffe bei Kindern im Alter von 2 bis 6 Jahren zurückzunehmen [1]. Dieses Beispiel zeigt, dass auch die regelmäßige Überprüfung bereits ausgesprochener Impfempfehlungen auf der Basis aktueller Studien zur Effektivität zugelassener Impfstoffe Voraussetzung für die Aufrechterhaltung evidenzbasierter Impfempfehlungen der STIKO ist.

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Klaus Überla