Durch Beatmung induzierte Lungenschädigungen („ventilator-induced lung injury“ [VILI]) sowie die Entwicklung von Strategien, um diesen vorzubeugen, standen in den letzten Jahrzehnten vielfach im Mittelpunkt der intensivmedizinischen Beatmungsmedizin und -forschung. Ursachen für diese Schädigung sind die Ruptur von Lungengewebe (Barotrauma), die Überdehnung von Lungengewebe (Volutrauma) oder das repetitive Öffnen und Kollabieren von Alveolen (Atelektrauma). Sie führen entweder direkt zur Parenchymschädigung oder indirekt zur Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren, welche die immunologischen und entzündlichen Prozesse weiter unterhalten (Biotrauma; [1]). Allen Komponenten liegt entweder global oder regional erhöhter Lungenstress zugrunde. Belegt sind diese Zusammenhänge unter kontrollierter Beatmung. Die frühe Spontanatmung hat zahlreiche positive Effekte wie ein dorsobasales Recruitment, verbesserten Gasaustausch, augmentierten venösen Rückstrom mit erhöhtem Herzzeitvolumen, das Vermeiden einer Inaktivitätsatrophie des Zwerchfells und einen geringeren Analgosedierungsbedarf [2, 3]. Dem gegenüber spielt es aber keine Rolle, ob schädlicher Lungenstress durch Beatmung oder durch die Atemanstrengung des Patienten selbst generiert wird. Diese selbst zugefügte Lungenschädigung wird unter dem Akronym P‑SILI („patient self-inflicted lung injury“) beschrieben. In den vergangenen Jahren ist das P‑SILI zunehmend zum Forschungsgegenstand geworden. Weiter in den Fokus rückte dieses Phänomen während der COVID-19-Pandemie. COVID-19-Patienten zeigen häufig einen beeindruckenden Atemantrieb, dem die ARDS-geschädigte Lunge oft nicht gewachsen ist. Ein substanzieller Beitrag von P‑SILI zur Progression des „COVID-19 acute respiratory distress syndrome“ (CARDS) erscheint möglich [4]. In den vergangenen Jahren wurden Strategien entwickelt, welche die Lungenprotektion auch unter unterstützter Spontanatmung gewährleisten sollen [5, 6]. Der vorliegende Beitrag behandelt lungenprotektive Beatmungsstrategien unter unterstützter Spontanatmung bei Patienten mit akuter Lungenschädigung. Hierbei werden die Pathophysiologie des P‑SILI, Monitoringmöglichkeiten von Atemantrieb, Atemanstrengung und Lungenstress dargestellt sowie diagnostische und therapeutische Herangehensweisen aufgezeigt.

Pathophysiologie des P-SILI

Starke Pleuradruckerniedrigungen, ausgelöst durch hohen Atemantrieb, führen zu erhöhtem Lungenstress, gesteigertem pulmonalem Blutfluss und Patient-Ventilator-Asynchronien (PVA). Diese drei Faktoren werden für die Entstehung des P‑SILI verantwortlich gemacht [7].

Atemantrieb

Die Intensität der Atemanstrengung ergibt sich aus dem Atemantrieb und der Kapazität aktiver Atemmuskulatur. Bei akuter Lungenschädigung unterliegt der Atemantrieb einigen pathologischen Einflüssen. Hyperkapnie steigert den Atemantrieb enorm. Weiter bewirken Azidose und Hypoxämie eine zusätzliche Steigerung des Atemantriebs. Intrapulmonale C‑Faser-Rezeptoren werden durch inflammatorische Mediatoren aktiviert und stimulieren ebenfalls das Atemzentrum. Die fehlende Rückkopplung von Dehnungsrezeptoren in atelektatischen Bereichen der geschädigten Lunge verhindert die physiologische Hemmung des Atemantriebs [8]. Durch die starke Reduktion pulmonaler und ggf. auch thorakaler Dehnbarkeit kann die durch das Atemzentrum ausgelöste Atemanstrengung nicht in entsprechende Tidalvolumina (VT) umgesetzt werden (neuromechanische Entkopplung). Dies wird zentral mit höherem Atemantrieb und Dyspnoe beantwortet [8]. Stress, Schmerzen und Angst führen ebenfalls zu einer Steigerung des Atemantriebs [8]. Die Steigerung des Atemantriebs bewirkt eine Zunahme der Kontraktionsstärke der Inspirationsmuskulatur und den Einsatz von Hilfsmuskulatur. Die Folge ist eine erhöhte Atemanstrengung mit Steigerung des Atemmuskeldrucks (Pmus) und konsekutiv gesteigerter Pleuradruckerniedrigung.

Globaler Lungenstress in der „baby lung“ und regionaler Lungenstress in der abhängigen Lunge

Während der Spontanatmung oder unter Beatmung wird das Lungengewebe inspiratorisch gedehnt. Das elastische Lungengewebe setzt dieser Dehnung eine mechanische Spannung entgegen, welche die passive Exspiration ermöglicht. Diese Spannung wird Lungenstress genannt. Klinisch kann Lungenstress mit der Differenz von Alveolardruck (Palv) und Pleuradruck (Ppl), also dem transpulmonalen Druck PL (PL = Palv − Ppl) gleichgesetzt und über die Messung des Ösophagusdrucks (Peso) bestimmt werden. Hierbei dient der Peso als Surrogatparameter des Ppl. Übersteigt der Lungenstress ein kritisches Maß, entsteht ein Volutrauma mit erhöhter alveolokapillärer Permeabilität und alveolärer Inflammation [6]. Volutraumagefahr besteht vorwiegend in den nichtabhängigen Lungenbezirken (= „baby lung“), da in diesen Bezirken der Ppl am geringsten und der PL am höchsten ist (Abb. 1 und 3). Gegenüber einer gesunden Lunge besteht beim „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) ein erhöhter Pleuradruckgradient von ventral nach dorsal bzw. von nichtabhängigen zu abhängigen Bereichen (Abb. 1). Dadurch ist in den abhängigen Bezirken der Ppl höher und der PL exspiratorisch negativ. Dies führt zu einem Kollaps der abhängigen Bereiche (Abb. 1). Werden diese kollaptischen Bereiche inspiratorisch wieder belüftet, führt dies zu repetitivem Öffnen und Kollabieren und ein Atelektrauma entsteht.

Abb. 1
figure 1

Druckverhältnisse endexspiratorisch bei einem PEEP von 5 cmH2O ohne Spontanatmung (Pmus = 0 cmH2O). Der Ppl ist um die „baby lung“ negativ (−3 cmH2O). Bei einem PEEP von 5 cmH2O ergibt sich ein PL von 8 cmH2O: 5 cmH2O − (−3 cmH2O). Analog ist der PL in den abhängigen Bereichen negativ. Der Betrag der ventrodorsalen Pleuradruckdifferenz (|∆Ppl| = −3 cmH2O – 7 cmH2O = 10 cmH2O) ist der Pleuradruckgradient

Im Gegensatz zu rein kontrollierter Beatmung wird unter Spontanatmung der Ppl reduziert (Abb. 2). In druckgesteuerten Beatmungsmodi wirken Beatmungsdruck und Atemmuskeldruck (Pmus) des Patienten synergistisch (Abb. 2). Durch die Druckkonstanz der Beatmung bei zeitgleicher Pleuradruckerniedrigung kann der PL stark ansteigen und die Gefahr von kritischem Lungenstress in der nichtabhängigen Lunge steigt (Abb. 2 und 3; [9]).

Abb. 2
figure 2

Paw, Peso und resultierender PL während druckgesteuerter Beatmung. Links kontrollierte Beatmung und rechts bei unterstützter Spontanatmung. Oben schematische Darstellung, unten reelle Beatmungskurven (TPP = PL). Der PL ist bei gleichem (oben) oder gar geringerem (unten) Druckniveau unter Spontanatmung höher als bei kontrollierter Beatmung (blau: Paw; braun: Peso; grau: PL)

Abb. 3
figure 3

Lungenstress – PL endinspiratorisch bei einem Inspirationsdruck (Pinsp) von 20 cmH2O. Endinspiratorisch wirken Pinsp und Pmus additiv auf den PL (Pinsp − Ppl ≙ 20 cmH2O − (−20 cmH2O) = 40 cmH2O). Ein PL (= Lungenstress) von 40 cmH2O liegt deutlich über den Grenzwerten von 20 bis 25 cmH2O und zeigt eine hochgradige Gefahr eines P‑SILI an (s. unten)

Bei akuter Lungenschädigung wird die Pleuradruckerniedrigung aufgrund des dorsalen Lungenkollapses nicht vollständig nach ventral übertragen. Daraus resultiert eine dorsal deutlich ausgeprägtere Ppl-Erniedrigung als ventral und konsekutiv eine dorsal stärkere Paw-Erniedrigung als ventral. Folge dieses intrapulmonalen Druckgradienten ist eine frühinspiratorische, ventrodorsale Atemgasumverteilung, die schon vor Beginn des Atemgasflusses durch den Respirator einsetzen kann. Dieses Phänomen wird Pendelluft genannt und führt zu repetitivem Öffnen und Kollabieren dorsaler Lungenabschnitte (Atelektrauma) sowie zu pathologisch hohem regionalem Lungenstress (Volutrauma) in den abhängigen Bereichen (Abb. 4; [10]). Es tritt sowohl unter druck- als auch unter volumengesteuerter Beatmung auf und verhält sich proportional zur Atemanstrengung [11, 12].

Abb. 4
figure 4

Pendelluftphänomen. Die durch den Pmus ausgelöste Pleuradrucknegativierung verteilt sich inhomogen über der Lungenoberfläche. Über den konsolidierten Anteilen konzentriert sich der Muskeldruck. Die Konsolidierungen verhindern die Übertragung auf die nichtabhängigen Bereiche, weshalb die Pleuradrucknegativierung dort geringer ausfällt. Dieser Druckgradient (ventral–dorsal ≙ −5 cmH2O − (−20 cmH2O) = 15 cmH2O) wird nach intrapulmonal übertragen, was das Pendelluftphänomen zur Folge hat

Gesteigerter pulmonaler Blutfluss

Durch starke Pleuradruckerniedrigung sinkt frühinspiratorisch der alveoläre Druck (Palv) und der venöse Rückstrom zum rechten Herzen wird augmentiert (vgl. Abb. 5). Da hierbei der Blutdruck in den perialveolären Kapillaren (Pcap) annähernd gleich bleibt, wird der Druckgradient (transvaskulärer Druck = Pcap − Palv) zwischen Gefäßen und Alveolen erhöht [13]. Dieser Gradient kann über Extravasation von Transsudat bis hin zum „stress failure“ pulmonaler Kapillaren mit Lungenödem und pulmonaler Hämorrhagie führen [14, 15].

Abb. 5
figure 5

Pulmonaler Blutfluss. Druckverhältnisse frühinspiratorisch bei einem PEEP von 5 cmH2O. Die durch den Muskeldruck ausgelöste Pleuradruckerniedrigung überträgt sich frühinspiratorisch, bevor ein Druckausgleich mit dem Respirator stattgefunden hat, stärker auf den alveolären Bereich (Palv = 5 cmH2O PEEP − 20 cmH2O Ppl = −15 cmH2O) als auf den kapillären. Dadurch entsteht ein Druckgradient von den Kapillaren in Richtung Alveolen (10 − (−15) = 25 cmH2O). Dieser transvaskuläre Druck bedingt die Entstehung eines Lungenödems mit konsekutiver Surfactant-Depletion und Atelektasen

P-SILI-Patient-Ventilator-Asynchronie (PVA)

Eine fehlende Übereinstimmung von Atemmuster des Patienten und Beatmungsmuster wird als PVA bezeichnet [16, 17]. PVA können ein P‑SILI begünstigen. Starke Inspirationen können zu Doppeltriggerungen führen, wenn die Einatemzeit des Patienten über die des Respirators hinausgeht und direkt postinspiratorisch ein weiterer Atemzug getriggert wird. Dabei addieren sich die Tidalvolumina von direkt aufeinander folgenden Atemhüben („breath stacking“; [18, 19]). Dies führt zu erhöhtem Lungenstress in den nichtabhängigen Bezirken. Über ein Drittel der Doppeltriggerungen während kontrollierter Beatmung sind auf sogenanntes „reverse triggering“ zurückzuführen [17]. Beim „reverse triggering“ löst ein kontrollierter Beatmungshub eine Zwerchfellkontraktion aus. Ist diese Kontraktion kräftig genug, führt dies zu „breath stacking“. Weiter kann das „reverse triggering“ das Pendelluftphänomen zur Folge haben und auch so die abhängigen Lungenbereiche schädigen [12, 20].

Parameter zur Diagnose und zum Monitoring des P-SILI

Um lungenprotektive unterstützte Spontanatmung zu ermöglichen, benötigt es durch Messmanöver ermittelte Monitoringparameter, welche die Beurteilung von Atemantrieb, Atemanstrengung und Lungenstress zulassen (Abb. 6 und 7). Da derzeit keine einheitliche Nomenklatur unter den inzwischen zahlreichen beschriebenen Parametern existiert, gibt die Tab. 1 einen Überblick über zugrunde liegende Definitionen. Es existieren Parameter, deren Bestimmung nur durch Ösophagusdruckmessung gelingt (∆PLi,stat, PLi,stat, ∆Peso, PLi,dyn, ∆PLi,dyn). In den vergangenen Jahren wurden aber auch Parameter validiert, deren Erhebung nicht die Ableitung des Ösophagusdrucks voraussetzt (∆Pstat, Pplat, Pmus pred, ∆PLi,dyn pred). Sie können verwendet werden, um Schädigungspotenzial mit hohem prädiktivem Wert auszuschließen, oder Anlass geben, die Ösophagusdruckmessung zur differenzierten Bestimmung der Atemmechanik einzusetzen (Abb. 6; [21, 22]).

Abb. 6
figure 6

Übersicht P‑SILI-Monitoringparameter

Abb. 7
figure 7

Manöver zur Ermittlung von P‑SILI-Monitoringparametern (blau: Paw; braun: Peso; grau: PL)

Tab. 1 Definitionen

Messmanöver

Für die Ermittlung der dargestellten Parameter wird der Atemzug unter dynamischen Bedingungen (während ungehinderter Atmung in Anwesenheit von Atemgasfluss) und unter statischen Bedingungen (während Okklusionsmanövern in Abwesenheit von Atemgasfluss) bewertet (vgl. Abb. 7). Die Monitoringparameter für Lungenstress und Atemanstrengung lassen sich mit den folgenden drei Manövern ermitteln.

  1. 1.

    Unter dynamischen Bedingungen wird während ungehinderter unterstützter Spontanatmung mit Peso-Messung der Beatmungskurvenbildschirm eingefroren. Mit dem Cursor werden der Peso,i,max und der Peso,ee abgelesen.

  2. 2.

    Durch einen Exspirationshalt, während der Patient einatmet (endexspiratorische Okklusion), erhält man eine Darstellung der Peso-Erniedrigung in der Atemwegsdruckkurve. Von Interesse ist die maximale inspiratorische Erniedrigung der Paw-Kurve (Paw,i,max). Dieses Manöver wird benötigt, wenn kein Peso-Katheter einliegt. Bei einliegendem Peso-Katheter ist dies nicht vonnöten und dient in Abb. 7 lediglich der Veranschaulichung der kongruenten Auslenkung von Peso und Paw.

  3. 3.

    Durch einen während der Inspiration ausgelösten Inspirationshalt addieren sich postinspiratorisch der Pmus des Patienten und der Pinsp zum Plateaudruck (Pplat). Dieser Druck entspricht dem tatsächlichen endinspiratorischen Palv. Voraussetzung für die Validität dieses Manövers ist die Ausbildung eines stabilen Plateaus [23]. Steigt der Druck kontinuierlich an oder fällt er kontinuierlich ab, ist dies ein Hinweis auf exspiratorisches Pressen oder Leckagen und die Messung ist nicht verwertbar.

Monitoringparameter

Die abzuleitenden Parameter lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen (Abb. 6):

  1. 1.

    Parameter, welche den globalen Lungenstress in der „baby lung“ quantifizieren

    1. a.

      Tidaler und endinspiratorischer Lungenstress (∆PLi,stat, PLi,stat)

    2. b.

      Statischer „driving pressure“ und Plateaudruck (∆Pstat, Pplat)

  2. 2.

    Parameter, welche den Atemantrieb und die Atemanstrengung widerspiegeln

    1. a.

      Okklusionsdruck (P0,1)

    2. b.

      Atemmuskeldruck (Pmus)

    3. c.

      Inspiratorische ösophageale Auslenkung (∆Peso)

    4. d.

      Atemwegsdruckerniedrigung während endexspiratorischer Okklusion (∆Poccl)

    5. e.

      Prognostizierter Atemmuskeldruck (Pmus pred)

  3. 3.

    Parameter, welche auf regional erhöhten Lungenstress und repetitives Öffnen und Kollabieren in den abhängigen Bereichen schließen lassen

    1. a.

      Dynamischer inspiratorischer Lungenstress (PLi,dyn)

    2. b.

      Dynamischer tidaler Lungenstress (∆PLi,dyn)

    3. c.

      Prognostizierter dynamischer tidaler Lungenstress (∆PLi,dyn pred)

Parameter, welche den globalen Lungenstress in der „baby lung“ quantifizieren (Elastance-basierte Methode)

Der globale endinspiratorische (PLi,stat) und tidale (∆PLi,stat) Lungenstress in der „baby lung“ werden mithilfe der Elastance-basierten Methode der Ösophagusdruckinterpretation ermittelt [16, 24]. Dieser Methode liegt die Prämisse zugrunde, dass der Ppl bei einem Paw von 0 cmH2O ebenfalls 0 cmH2O beträgt. Sie spiegelt damit die Verhältnisse in den nichtabhängigen Bereichen wider [25]. Daher ist diese Methode geeignet, den globalen Lungenstress in der „baby lung“ abzuschätzen (Abb. 8). Bei dieser Methode dienen tidale Ösophagusdruck- und Atemwegsdruckdifferenzen als Interpretationsgrundlage. Zunächst wird das Verhältnis von Steifigkeit der Lunge („elastance of the lung“ [EL]) und Steifigkeit des respiratorischen Systems („elastance of the respiratory system“ [ERS]) ermittelt.

$$\mathrm{E_L}/\mathrm{E_{RS}}=\Updelta \mathrm{P}_{\text{stat}}\,-(\text{P}_{\text{eso}},\mathrm{ei}-\text{P}_{\text{eso},\mathrm{ee}})/\Updelta \mathrm{P}_{\text{stat}}$$
Abb. 8
figure 8

Globaler Lungenstress in der „baby lung“ (blau: Paw)

Der Quotient EL/ERS entspricht der Fraktion des Beatmungsdrucks, welcher auf das Lungenparenchym wirkt. Der globale endinspiratorische Lungenstress wird durch Multiplikation des in Manöver 3 ermittelten Pplat mit dem EL/ERS berechnet:

$$\mathrm{P_{Li,stat}}=\mathrm{P_{plat}} \times \text{E}_{\text{L}}/\mathrm{E_{RS}}(\text{Zielbereich}\colon < 20{-}25\,\mathrm{cm}H_{2}\mathrm{O})$$

Um den globalen tidalen Lungenstress zu berechnen, subtrahiert man vom PPlat den PEEP und erhält den „driving pressure“ (∆Pstat). Eine Multiplikation des ∆Pstat mit dem EL/ERS ergibt den globalen tidalen Lungenstress (Abb. 8).

$$\Updelta \mathrm{P_{Li, stat}} = \Updelta \mathrm{P_{stat}} \times \mathrm{E_{L}}/ \mathrm{E_{RS}}(\text{Zielbereich}\colon < 10{-}12\,\mathrm{cm}\,\text{H}_{2}\mathrm{O})$$

Ohne Ösophagusdruckmessung bedient man sich der unter kontrollierter Beatmung etablierten Grenzwerte für den Pplat und den ∆Pstat. Der unter Spontanatmung gemessene Pplat sollte auf 30 cmH2O limitiert werden [23]. Der ∆Pstat sollte auf 15 cmH2O begrenzt werden [26]. Der ∆Pstat korreliert gut mit dem Lungenstress [27] und auch bei unterstützter Spontanatmung mit der Mortalität von ARDS-Patienten [28].

Parameter, welcher den Atemantrieb widerspiegelt

Okklusionsdruck – P0,1

Zur Atemantriebsbestimmung kann der P0,1 herangezogen werden. Entsprechende Atemwegsverschlussmanöver sind in den meisten Intensivrespiratoren implementiert. Der P0,1 ist unbeeinflusst von atemmechanischen Indizes wie Compliance und Resistance. Ebenso gilt der Wert auch bei Atemmuskelschwäche als zuverlässig [29, 30]. Für reliable Werte sollten stets Messreihen mit 3–4 randomisierten Messungen durchgeführt und der Mittelwert bestimmt werden [31]. Werte über 3,5–5 cmH2O deuten auf einen gesteigerten Atemantrieb mit konsekutiv erhöhter Atemanstrengung hin [6, 32].

$$\text{Zielwerte}\ \mathrm{P_{0,1}}\colon > 1,5\leq 3,5{-}5\,\mathrm{cm}\,\text{H}_{2}\mathrm{O}$$

Parameter, welche die Atemanstrengung widerspiegeln

Atemmuskeldruck (Pmus)

Der Atemmuskeldruck (Pmus) ist der Druck, der inspiratorisch durch die Atemmuskulatur erzeugt und in Pleuradruckerniedrigung übersetzt wird [16]. Der Pmus wird aus der inspiratorischen ösophagealen Auslenkung (∆Peso) und dem zusätzlichen Muskeldruck berechnet, der nötig ist, um die Steifigkeit der Thoraxwand („elastance of the chestwall“ [Ecw]) zu überwinden (∆Pcw; Abb. 9; [33]). Die Ecw kann abgeschätzt oder mittels Ösophagusdruckmessung berechnet werden [34]. Alternativ wird der Peso,i,max vom Peso,ei subtrahiert (Abb. 9; [35]).

$$\mathrm{E_{cw}}=(\mathrm{P_{eso, ei}}-\mathrm{P_{eso, ee}})/\mathrm{VT}\ (\text{in Litern})$$
$$\Updelta \mathrm{P_{cw}}=\mathrm{E_{cw}} \times \text{TV }\ (\text{in Litern})$$
$$\mathrm{P_{mus}} = \Updelta \mathrm{P_{eso}} + \Updelta \mathrm{P_{cw}}\ (\text{Zielwert}\colon 5{-}10\,\mathrm{cm \,H}_2\mathrm{O})$$
$$\mathrm{P_{mus}} = \mathrm{P_{eso, ei}} - \mathrm{P_{eso, i, \max}} \ (\text{Zielwert}\colon 5{-}10\,\mathrm{cmH}_2\mathrm{O})$$
Abb. 9
figure 9

Pmus-Berechnung bei errechneter oder geschätzter ECW und mit inspiratorischem Okklusionsmanöver (blau: Paw; braun: Peso; grün: Pcw)

Inspiratorische ösophageale Auslenkung (∆Peso)

Da die Ermittlung der Ecw in der Praxis aufwendig ist, kann alternativ die ∆Peso allein zur Beurteilung der Atemanstrengung herangezogen werden. Unter der Annahme, dass die Ecw normal ist, betragen die Zielwerte 3–8 cmH2O (Abb. 10; [33]).

Abb. 10
figure 10

Inspiratorische ösophageale Auslenkung (blau: Paw; braun: Peso)

Atemwegsdruckerniedrigung während endexspiratorischer Okklusion (∆Poccl)

Ein kurzes unangekündigtes endexspiratorisches Okklusionsmanöver kann unter Spontanatmung dazu verwendet werden, die Atemanstrengung auch ohne Ösophagusdruckmessung abzuschätzen. Atmet der Patient während des Okklusionsmanövers gegen die geschlossenen Ventile ein, wird seine Pleuradruckerniedrigung exakt in der Atemwegsdruckkurve dargestellt. Mit dem Cursor wird die niedrigste Atemwegsdruckerniedrigung (Paw,i,max) ermittelt. Die ∆Poccl errechnet sich aus dem PEEP − Paw,i,max (Abb. 11).

$$\Updelta \mathrm{P_{occl}} = \mathrm{P_{EEP}} - \mathrm{P_{aw, i, \max}}$$
Abb. 11
figure 11

Atemwegsdruckerniedrigung während endexspiratorischer Okklusion (blau: Paw)

Prognostizierter Atemmuskeldruck (Pmus pred)

Die ∆Poccl überschätzt die ∆Peso unter dynamischen Bedingungen, sodass Korrekturfaktoren nötig sind, um mit ∆Poccl den Pmus abzuschätzen. Durch Multiplikation von ∆Poccl mit 0,75 erhält man den prognostizierten Pmus (Pmus pred). Der Pmus pred korreliert allerdings nur mäßig mit dem Pmus. Werte über 13–15 cmH2O diagnostizieren jedoch zuverlässig hohe Atemanstrengung [22, 36].

$$\mathrm{P_{mus\ pred}} = \Updelta \mathrm{P_{occl}} \times 0,75\ (\text{Zielwerte}\colon < 13{-}15\,\mathrm{cmH}_2\mathrm{O})$$

Parameter welche auf erhöhten regionalen Lungenstress und repetitives Öffnen und Kollabieren in den atelektatischen Bereichen schließen lassen

Mit Parametern, die unter unterstützter Spontanatmung mit der Absolutwertmethode der Ösophagusdruckinterpretation erhoben werden, kann die P‑SILI-Gefahr in den abhängigen Bereichen abgeschätzt werden [37]. Bei der Absolutwertmethode wird der direkt gemessene Ösophagusdruck dem Pleuradruck gleichgesetzt [38]. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass der Ösophagusdruck exakt dem Pleuradruck entspricht. Aufgrund des Pleuradruckgradienten ist dies nur in den abhängigen Bereichen der Fall, sodass der Absolutwert des Ösophagusdrucks etwa dem Pleuradruck in den abhängigen Lungenbezirken entspricht [25]. Somit spiegelt die Berechnung des transpulmonalen Drucks mit der Absolutwertmethode (vgl. Tab. 1) die regionalen transpulmonalen Drücke in den abhängigen Bereichen wider. Der transpulmonale Druck errechnet sich mit der Absolutwertmethode aus der Differenz von Atemwegsdruck und Ösophagusdruck (PL = Paw − Peso).

Abgeleitete Parameter sind der regionale inspiratorische Lungenstress (PLi,dyn) und der regionale tidale Lungenstress (∆PLi,dyn) (Abb. 12). Beide korrelieren mit dem Auftreten von Pendelluft und dem assoziierten Atelek- und Volutrauma [37, 39, 40]. Der PLi,dyn errechnet sich aus dem Inspirationsdruck minus Peso,i,max (Abb. 12). Der ∆PLi,dyn aus dem PLi,dyn minus PLe, stat oder alternativ aus ∆Pdyn plus ∆Peso (Abb. 12). In der Literatur wird vorgeschlagen, den PLi,dyn auf maximal 20 cmH2O zu limitieren [33]. Für den ∆PL,dyn wird eine Limitierung auf <15–20 cmH2O angegeben, um Schädigungen zu vermeiden [5, 33, 41].

$$\mathrm{P_{Li,\ dyn}} = \mathrm{P_{insp}} - \mathrm{P_{eso, i, \max}} \ (\text{Zielwerte}\colon \leq 20\,\mathrm{cmH}_2\mathrm{O})$$
$$\Updelta \mathrm{P_{Li,\ dyn}} = \mathrm{P_{Li, dyn}} - \mathrm{P_{Le, stat}};\ \text{alternativ}\colon \Updelta \mathrm{P_{dyn}} + \Updelta \mathrm{P_{eso}}\ (\text{Zielwerte}\colon \leq 15{-}20\,\mathrm{cmH}_2\mathrm{O})$$
Abb. 12
figure 12

Regionaler Lungenstress in der abhängigen Lunge (blau: Paw; braun: Peso; grau: PL)

Ohne Ösophagusdruckmessung kann mit dem ∆Poccl ein prognostizierter ∆PLi,dyn (∆PLi,dyn pred) errechnet werden. Der ∆PLi,dyn pred errechnet sich aus der Addition von ∆Pdyn und ∆Poccl * 0,66. Aus physiologischen Erwägungen heraus wurde eine Limitation des ∆PL,dyn pred auf Werte <16–17 cmH2O vorgeschlagen, um lungenprotektive unterstützte Spontanatmung zu gewährleisten [22].

$$\Updelta \mathrm{P_{Li, dyn\ pred}} = \Updelta \mathrm{P_{dyn}} + \Updelta \mathrm{P_{occl}} \times 0,66\ (\text{Zielwerte}\colon < 16{-}17\,\mathrm{cm\,H}_2\mathrm{O})$$

Diagnose von drohendem und manifestem P-SILI

Die Diagnose eines P‑SILI zu stellen, ist schwierig. Klare diagnostische Kriterien gibt es bisher nicht. Dementsprechend sind die oben vorgestellten Parameter nur Puzzleteile eines Gesamtbilds, das im klinischen Kontext betrachtet werden muss. Grundsätzlich scheint mit steigendem Schweregrad der Lungenschädigung die Prädisposition für eine zusätzliche Lungenschädigung zu steigen. Dieser Circulus vitiosus aus hohem Lungenstress, progredienter Schädigung der Lunge und daraus gesteigerter Atemanstrengung mit konsekutiv noch höherem Lungenstress führt zu immer ausgeprägterem P‑SILI und geringerem Baby-lung-Volumen [42]. Daher sollte bei allen unterstützt beatmeten Patienten mit akuter Lungenschädigung täglich eine Quantifizierung von Atemantrieb, Atemanstrengung und Lungenstress über P0,1, ∆P, Pplat, Pmus pred und ∆PLi,dyn pred erfolgen. Ein Überschreiten der Grenzwerte sollte als potenziell schädliches Atemmuster interpretiert und ggf. über Ösophagusdruckmessung verifiziert werden. Das Baby-lung-Volumen korreliert mit der Compliance des respiratorischen Systems (CRS). Eine progrediente Lungenschädigung geht mit einer Verminderung derselben einher. Die tägliche Messung der CRS erlaubt dadurch im Verlauf eine Aussage über die Progression der Lungenschädigung. Da die CRS unter unterstützter Spontanatmung bei hoher Atemanstrengung von Beatmungsgeräten falsch hoch gemessen wird [43], sollte sie über folgende Formel errechnet werden:

$$\mathbf{C_{RS}}\,\mathbf{=}\textbf{ Tidalvolumen }\mathbf{(}\textbf{in ml}\mathbf{)}\mathbf{/}\mathbf{\Updelta }\mathbf{P_{stat}}$$

Weitere Hinweise auf eine progrediente Lungenschädigung ergeben sich auch aus neuen konsolidierten bzw. verdichteten Lungenarealen in der Bildgebung (Röntgen, Computertomographie oder Lungenultraschall [44]) und einer zunehmenden Gasaustauschstörung (Horovitz-Index). Mit der Kombination aus potenziell schädlichem Atemmuster und progredienter Lungenschädigung sollte eine so hohe Wahrscheinlichkeit für ein P‑SILI abzuleiten sein, dass eine therapeutische Intervention indiziert ist. Prospektive Daten hierzu existieren bisher aber nicht. Auch können laborchemische und mikrobiologische Befunde bei der differenzialdiagnostischen Abgrenzung zum Progress der Grunderkrankung oder einer neuen nosokomialen Pneumonie hilfreich sein.

Therapeutische Interventionen bei drohendem oder manifestem P-SILI

Die zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten umfassen nebenwirkungsarme Maßnahmen wie die aktive Atemgasklimatisierung, die Modifikation des Unterstützungsdrucks oder die Synchronisation mit dem Respirator, welche schon bei potenziell schädlichem Atemmuster zur Anwendung kommen sollten. Nebenwirkungsbehaftete Maßnahmen wie bspw. die neuromuskuläre Blockade oder tiefe Analgosedierung sollten nur angewendet werden, wenn ein P‑SILI sehr wahrscheinlich ist. Die Beatmung mit aktiver Atemgasbefeuchtung gewährleistet durch Totraumreduktion eine effizientere Decarboxylierung, als es mit herkömmlichen Heat-and-moisture-exchanger(HME)-Filtern zu erreichen ist. Dies mildert einen wichtigen zentralen Stimulus für hohen Atemantrieb ab. Durch den geringeren Atemwegswiderstand reduziert sich zusätzlich die Atemanstrengung [45]. Entscheidend für die Regulation des Atemantriebs unter assistierter und unterstützter Beatmung ist die Wahl eines individuell angepassten Unterstützungsdrucks (Pinsp − PEEP). Dieser gewährleistet, dass sowohl eine Überlastung als auch eine Überassistenz der Atemmuskulatur vermieden wird. Erhöht man den Unterstützungsdruck, sinkt konsekutiv die zu erbringende Atemanstrengung des Patienten. Die korrekt justierte Unterstützung kann den Atemantrieb und die Atemarbeit auf ein normales Maß reduzieren [46, 47]. Nach erfolgreicher Anpassung sollten die Atemanstrengung normalisiert und der Lungenstress reduziert sein. Ein hoher PEEP hat das Potenzial, Pendelluft zu reduzieren. Ein dorsales Recruitment mit konsekutiver Homogenisierung des Pleuradruckgradienten und ein durch ein höheres endexspiratorisches Lungenvolumen reduziertes diaphragmales Kraft-Längen-Verhältnis werden hierfür als ursächlich betrachtet [40]. Allerdings ist der Erfolg dieser Maßnahme an ein vorhandenes Recruitmentpotenzial des Patienten gekoppelt, welches nicht bei jedem Patienten gegeben ist [23]. PVA können visuell anhand von Druck- und Flusskurven identifiziert [18] und Doppeltriggerungen durch Verlängerung der Inspirationszeit verhindert werden [17, 19]. Die Erhöhung der Druckanstiegsgeschwindigkeit kann den Lufthunger reduzieren und die Atemmuskulatur entlasten und somit zur Reduktion des Atemantriebs beitragen [48]. Medikamentös kann die Atemanstrengung durch Gabe atemantriebssenkender Medikamente reduziert werden. Hierfür sind Opiate und Propofol die Mittel der Wahl [5]. Die neuropsychiatrische Komponente des Atemantriebs (Delir, Angst) sollte durch entsprechende etablierte medikamentöse oder nichtmedikamentöse Konzepte adressiert werden. In einer Proof-of-concept-Studie zeigten Doorduin et al., dass eine partielle neuromuskuläre Blockade effektiv den Lungenstress senken kann [49]. Es existiert jedoch bisher nur ein Fallbericht, in welchem dieses Konzept erfolgreich angewendet wurde [50]. Unter extrakorporaler Membranoxygenierung kann der Atemantrieb durch Erhöhung des Sweep-Gasflusses reduziert werden [51]. Da im schweren ARDS der Atemantrieb durch verschiedene pathologische Reflexe moduliert wird, gelingt dies allerdings nicht immer [52]. Zeigt sich trotz Ausschöpfung genannter Maßnahmen ein drohendes oder manifestes P‑SILI, so sollte durch starke Vertiefung der Analgosedierung und ggf. vollständige neuromuskuläre Blockade die Spontanatmung ausgesetzt werden. Diese Maßnahme muss täglich neu evaluiert werden, um den frühestmöglichen Zeitpunkt für die Wiederaufnahme der Spontanatmung zu erkennen.

Fazit für die Praxis

  • Eine exzessive Atemanstrengung des Patienten mit akuter Lungenschädigung kann dieselben pathologischen Mechanismen auslösen, die unter kontrollierter Beatmung zum VILI führen. Die daraus resultierende Lungenschädigung wird P‑SILI genannt.

  • Zur Diagnose bzw. zur Vermeidung des P‑SILI unter unterstützter Spontanatmung eignen sich Parameter für Lungenstress, Atemantrieb und Atemanstrengung.

  • Die Diagnose des P‑SILI ist aufgrund bisher fehlender Diagnosekriterien und Überlappung zum fortschreitenden ARDS oder zu pulmonalen Infektionen schwierig und immer in den klinischen Kontext zu stellen.

  • Als therapeutische Möglichkeiten stehen mehrere Interventionen zur Verfügung, welche aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils in hierarchischer Reihenfolge zur Anwendung kommen sollten.

  • Lediglich nach Ausschöpfen beschriebener Maßnahmen sollten bei einem schädlichen Atemmuster die tiefe Analgosedierung und ggf. neuromuskuläre Blockade eingeleitet werden.