Kaufmann, Doris, Hg., 2000.Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung. 2 Bde. Göttingen: Wallstein, brosch. 776 S., ISBN-13: 978-3892444237.

Heim, Susanne, Hg., 2002.Autarkie und Ostexpansion. Pflanzenzucht und Agrarforschung im Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein, brosch. 306 S., 20 €, ISBN-13: 978-3-89244-496-1.

Maier, Helmut, Hg., 2002.Rüstungsforschung im Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften. Göttingen: Wallstein, brosch. 396 S., 29 €, ISBN-13: 978-3-89244-497-8.

Schmuhl, Hans-Walter, Hg., 2003.Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933. Göttingen: Wallstein, brosch. 357 S., 27 €, ISBN-13: 978-3-89244-471-8.

Heim, Susanne, 2003.Kalorien, Kautschuk, Karrieren. Pflanzenzüchtung und landwirtschaftliche Forschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten 1933–1945. Göttingen: Wallstein, brosch. 280 S., 24 €, ISBN-13: 978-3-89244-696-5.

Sachse, Carola, Hg., 2003.Die Verbindung nach Auschwitz. Biowissenschaften und Menschenversuche an Kaiser-Wilhelm-Instituten. Dokumentation eines Symposiums im Juni 2001. Göttingen: Wallstein, brosch. 336 S., 26 €, ISBN-13: 978-3-89244-699-6.

Schieder, Wolfgang/Trunk, Achim, Hg., 2004.Adolf Butenandt und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Wissenschaft, Industrie und Politik im „Dritten Reich“. Göttingen: Wallstein Verlag, brosch. 430 S., 34 €, ISBN-13: 978-3-89244-752-8.

Kunze, Rolf-Ulrich, 2004.Ernst Rabel und das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht 1926–1945. Göttingen: Wallstein, brosch. 272 S., 24 €, ISBN-13: 978-3-89244-798-6.

Schmuhl, Hans-Walter, 2005.Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik 1927–1945. Göttingen: Wallstein, brosch. 397 S., 34 €, ISBN-13: 978-3-89244-799-3.

Schwerin, Alexander von, 2004.Experimentalisierung des Menschen. Der Genetiker Hans Nachtsheim und die vergleichende Erbpathologie 1920–1945. Göttingen: Wallstein, brosch. 421 S., 33 €, ISBN-13: 978-3-89244-773-3.

Schmaltz, Florian, 2005.Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie. Göttingen: Wallstein, brosch. 676 S., 39 €, ISBN-13: 978-3-89244-880-8.

Gausemeier, Bernd, 2005.Natürliche Ordnung und politische Allianzen. Biologische und biochemische Forschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten 1933–1945. Göttingen: Wallstein, brosch. 352 S., 27 €, ISBN-13: 978-3-89244-954-6.

Schüring, Michael, 2006.Minervas verstoßene Kinder. Vertriebene Wissenschaftler und die Vergangenheitspolitik der Max-Planck-Gesellschaft. Göttingen: Wallstein, brosch. 416 S., 34 €, ISBN-13: 978-3-89244-879-2.

Rürup, Reinhard (unter Mitwirkung von Michael Schüring), 2008.Schicksale und Karrieren. Gedenkbuch für die von den Nationalsozialisten aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vertriebenen Forscherinnen und Forscher. Mit einem Geleitwort des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft. Göttingen: Wallstein, brosch. 539 S., 34 €, ISBN-13: 978-3-89244-797-9.

Hachtmann, Rüdiger, 2007.Wissenschaftsmanagement im „Dritten Reich“. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. 2 Bde. Göttingen: Wallstein, brosch. 1397 S., 78 €, ISBN-13: 978-3-8353-0108-5.

Maier, Helmut, 2008.Forschung als Waffe. Rüstungsforschung in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung 1900–1945/48. 2 Bde. Göttingen: Wallstein, brosch. 1235 S., 75 €, ISBN-13: 978-3-8353-0109-2.

Maier, Helmut, Hg., 2008.Gemeinschaftsforschung, Bevollmächtigte und der Wissenstransfer. Die Rolle der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im System kriegsrelevanter Forschung des Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein, brosch. 613 S., 39 €, ISBN-13: 978-3-8353-0182-5.

Ende 2005 wurde die Arbeit der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) im Nationalsozialismus offiziell beendet. Dies war das erste von drei großen Projektunternehmen, die zusammen genommen die Literatur zur Wissenschaftsgeschichte in Deutschland vom Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik nicht nur beträchtlich vermehrt, sondern die Forschung auf diesem Gebiet in vielfacher Hinsicht thematisch neu ausgerichtet haben. Es folgten binnen weniger Jahre die vom Präsidium der DFG geförderte Projektgruppe zur Geschichte der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft/Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920–1970, die 2008 ihre Arbeit abschloss, und das DFG-Schwerpunktprogramm Wissenschaft, Politik, Gesellschaft. Wissenschaft in Deutschland im internationalen Zusammenhang im späten 19. und im 20. Jahrhundert. Personen, Institutionen, Diskurse, das noch bis 2010 laufen soll.

Als Ergebnis aller drei Projekte sind neben einer großen Anzahl von Einzelpublikationen auch jeweils eigene Monographienreihen vorgesehen. Inwiefern neue Anstöße im konzeptionellen Sinne aus diesem immensen Forschungskorpus hervorgegangen oder bereits programmatisch formulierte Ansätze eher angewendet und für die Einzelforschung fruchtbar gemacht worden sind, wird wohl erst nach Abschluss aller drei Unternehmen zu beurteilen sein. Gleichwohl darf mit Fug und Recht schon jetzt von einer unübersehbaren Verstärkung des seit den 1980er Jahren beginnenden und seit den 1990er Jahren weithin sichtbar gewordenen „Paradigmenwechsels“ (vgl. Band von Hachtmann 2007 in der zu besprechenden Reihe S. 63) im Verständnis der Wissenschaften im Nationalsozialismus sowie des Verhältnisses von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik in den ersten beiden Dritteln des 20. Jahrhunderts gesprochen werden.

Seit 2008 liegt die Monographienreihe der Präsidentenkommission der MPG geschlossen vor.Footnote 1 Im Folgenden kann schon aus Platzgründen keine eingehende Besprechung aller 17 Bände der Reihe im Einzelnen erfolgen, zumal viele von ihnen ohnehin an gut sichtbarer Stelle bereits besprochen worden sind. Vielmehr soll versucht werden, nach einigen Vorbemerkungen über die deklarierten Absichten und Ziele insgesamt sowie zum Forschungsstand zu Beginn des Vorhabens eine Art abschließende Bilanz zu ziehen. Dies soll in vier Schritten geschehen:

  1. 1.

    Besprochen werden zunächst Beiträge aus der Reihe zur allgemeinen Geschichte der KWG als Institution (2 Bände).

  2. 2.

    Es folgen die Beiträge zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI) für Biologie und Biochemie beziehungsweise zur Rolle des im Jahre 1935 ernannten Direktors des zweiten Instituts, Adolf Butenandt (2 Bände).

  3. 3.

    Danach werden sukzessive die Beiträge zu den drei ursprünglich im Programm vorgesehenen thematischen Schwerpunkten – „Rassenforschung“ (3 Bände), Ost- und Raumforschung im Zusammenhang mit der NS- Raum- und Besatzungspolitik (2 Bände) und Rüstungsforschung (3 Bände) – besprochen.

  4. 4.

    Zum Abschluss wird anhand zweier weiterer Beiträge der Reihe das Verhältnis der vergangenheitspolitischen Reflexion und der Wissenschaftsgeschichtsschreibung in diesem Zusammenhang exemplarisch diskutiert.

Vorbemerkung zum Forschungsstand der 1990er Jahre sowie zu den Absichten und Zielen des Forschungsprogramms

Bereits seit Anfang der 1990er Jahre gab es Ansätze zu einer Gesamtdarstellung der Geschichte der KWG und ihrer Institute (Vierhaus/vom Brocke 1990, vom Brocke/Laitko 1996). Trotz ihrer Verdienste hatten diese Arbeiten zweierlei deutlich werden lassen: Erstens war an eine flächendeckende historische Gesamtdarstellung aller Einzelinstitute der KWG mit ihren jeweiligen Nachfolgern in der MPG oder auch ohne sie in absehbarer Zeit allein aus praktischen Gründen nicht zu denken. Priorität sollte daher zweitens einer auf zentrale Themenbereiche fokussierten historischen Aufarbeitung der KWG im Nationalsozialismus zukommen. Letzteres erschien zum einen deshalb wichtig, weil die NS-Zeit in der bis dahin umfassendsten, von Rudolf Vierhaus und Bernhard vom Brocke herausgegebenen Gesamtdarstellung nur auf relativ knappem Raum behandelt wurde. Zum anderen hatte diese Darstellung der NS-Zeit – an deren Anfang die Vertreibung oder der Rücktritt mehrerer KWI-Direktoren und einer damals noch nicht genau bekannten Zahl ihrer Mitarbeiter aufgrund der rassistischen Politik der Nationalsozialisten und an deren Ende die unmenschlichen Menschenexperimente in Auschwitz standen – auch aus inhaltlichen Gründen Unzufriedenheit in der Öffentlichkeit wie auch unter Wissenschaftshistorikerinnen und -historikern hervorgerufen.

Die Kritik aus Fachkreisen hatte unter anderem auch mit einer eben als Paradigmenwechsel beschriebenen Umwälzung in der Betrachtung der Rolle der Wissenschaften beziehungsweise der akademischen Eliten überhaupt vor und während des Nationalsozialismus zu tun, die sich seit den späten 1970er Jahren abzuzeichnen begann und von Anfang an internationalen Charakter hatte.Footnote 2 Zentrale Elemente dieser Wende seien hier kurz in Erinnerung gerufen:

  • die Infragestellung einer Beschreibung der Wissenschaftsentwicklung nach 1933 ausschließlich unter dem Vorzeichen eines Niedergangs in die ideologieverseuchte Pseudowissenschaft;

  • ein interaktives Verständnis von Wissenschaft und Politik, einhergehend mit der Betonung der aktiven Initiative beziehungsweise einer von Herbert Mehrtens so genannten „Selbstmobilisierung“ (Mehrtens 1994, Ludwig 1979) von Wissenschaftlern nicht allein in ideologischer Hinsicht, sondern auch und vor allem im Hinblick auf ihre Zuarbeit im Rahmen zentraler politischer Projekte des NS-Regimes;

  • eine Infragestellung des einfachen Dualismus von Grundlagenforschung und angewandter Forschung, einhergehend mit dem Hinweis auf die Funktionalisierbarkeit von Grundlagenforschung für technokratische und militärische Zielsetzungen;

  • eine scharfe Kritik der Vergangenheitspolitik, das heißt der Selbstdarstellungen und Neupositionierungen von Wissenschaftlern und ihrer Forschungsprogramme nach 1945, die zum Teil auf eben dieser apologetisch orientierten Behauptung eines vermeintlichen Rückzugs in die Grundlagenforschung beruhte (Mehrtens 1990).

Der Bezug von alledem zur Geschichte der KWG wurde bereits 1993 durch das Buch von Kristie Macrakis mit dem provokanten, den Inhalt nicht ganz treffend wiedergebenden Titel Surviving the Swastika zumindest partiell hergestellt (Macrakis 1993). Wenngleich dieses Buch nicht in jeder Hinsicht zu der eben umrissenen konzeptionellen Wende beigetragen hatte, handelte es sich immerhin um den ersten Versuch einer umfassenden, auf Archivforschung basierten Betrachtung der KWG-Zentrale und mehrerer KWIs im Nationalsozialismus. In einer Besprechung dieses Buches für Isis habe ich bereits 1994 eine der Implikationen desselben gewissermaßen entgegen der im Titel formulierten Interpretation der Autorin sinngemäß so formuliert: Vielleicht habe „good science“ dem NS-Regime am besten gedient (Ash 1994).

Bei der Entscheidung für ein groß angelegtes Forschungsprojekt zur Rolle der KWG und ihrer Institute im Nationalsozialismus standen also fachliche Überlegungen und wohl auch eine vergangenheitspolitische Absicht von vornherein im Mittelpunkt. Formaler Anlass der Einsetzung der Präsidentenkommission im Jahre 1997 war der herannahende 50. Jahrestag der Gründung der MPG im Jahre 1948. Die offizielle Erklärung hierzu macht deutlich, dass sich die MPG, auch wenn sie in juristischer Hinsicht eine andere Gesellschaft gewesen war als die KWG, in deren Nachfolge sah und sieht. Die Geschichte der KWG stelle demnach „die Vergangenheit der MPG“ dar; folglich sollte im Rahmen der Arbeit der Präsidentenkommission „[d]as Verhältnis der KWG zum NS-System […] so vollständig wie möglich, rückhaltlos und ohne jede institutionelle Befangenheit erforscht und publiziert werden“Footnote 3.

Ganz offensichtlich ging es dem damaligen Präsidenten der MPG, Hubert Markl, darum, der öffentlichen Kritik an einer vermeintlich ungenügenden Auseinandersetzung der MPG mit ihrer Vergangenheit ernsthaft zu begegnen, ohne die Auschwitz-Experimente als Terminus ad quem der gesamten Geschichte der KWG hinzustellen. Dies traf sich mit den Absichten der beiden renommierten Historiker Reinhard Rürup und Wolfgang Schieder, die vom Präsidenten als Leiter der für das Vorhaben zuständigen Präsidentenkommission vorgeschlagen wurden, für die Auswahl der Projektdirektorinnen und -direktoren verantwortlich waren und als Herausgeber der vorliegenden Monographienreihe eine aktive Rolle spielten. Wohlweislich wurde das Projekt direkt beim Präsidenten der MPG und nicht beim MPI für Geschichte oder beim MPI für Wissenschaftsgeschichte (MPIWG) angesiedelt, die man für zuständig hätte halten können. Ebenso mit Bedacht geschah es, dass die beiden hauptverantwortlichen Historiker nicht Direktoren oder Mitglieder dieser Institute, nicht einmal Mitglieder der MPG waren. Überhaupt bemühten sich die Leitungen der beiden genannten wie auch die der übrigen MPIs aus naheliegenden Gründen peinlichst um formale, allerdings nicht um inhaltliche Distanz vom Projekt, auch wenn – oder gerade weil – die Arbeitsräume der Kommission sich jahrelang im damaligen Haus des MPIWG in Berlin befanden. Diese räumliche Nähe bei gleichzeitiger Zuständigkeit des Präsidiums mag aus institutionspolitischen und verwaltungstechnischen Gründen nicht immer angenehm gewesen sein, aus wissenschaftlichen Gründen erwies sie sich aber als produktiv, weil sie eine Zusammenarbeit mit interessierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des MPIWG erleichterte.

Die Wahl von Doris Kaufmann (April 1998 bis Januar 2000), Carola Sachse (April 2000 bis Januar 2004), Susanne Heim (Februar 2004 bis März 2005) und Rüdiger Hachtmann (März bis Dezember 2005) als Projektverantwortliche erwies sich sowohl in administrativer als auch in inhaltlicher Hinsicht als glücklich. Wohlgemerkt waren alle Genannten wie die Kommissionsvorsitzenden zur Zeit ihrer Ernennung als Historiker oder im Falle Heims als zeithistorisch profilierte Politologin und nicht in erster Linie als Wissenschaftshistoriker ausgewiesen; dass hier zunächst einmal dementsprechende Erkenntnisinteressen im Vordergrund standen, kann nicht verwundern. In der Folge ergab sich daraus aber kein grundsätzlicher Konflikt mit den anders gelagerten Fragestellungen, die im MPIWG oder in der universitär verankerten Wissenschaftsgeschichte bearbeitet wurden. Bereits in einem von Kaufmann verfassten Arbeitspapier zum Projekt wurde das Interesse bekundet, neben der Institutionen- und der politischen Geschichte auch die Geschichte der Wissenschaftspraxis mit einzubeziehen. Sehr bald wurden über Gastaufenthalte, interne Vorträge und Kolloquien Bemühungen erkennbar, aktuelle Fragestellungen der internationalen Forschung zum Thema Wissenschaft und Nationalsozialismus einzubeziehen. Mehrere der eingeladenen Gäste wie auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projektes selbst haben Ergebnisse in einer informellen Preprint-Reihe publiziert, die im Verlauf des Projekts erschien und deren Einzelhefte nach wie vor über die MPIWG bestellbar sind.

Die Monographienreihe beginnt mit einem umfangreichen Doppelband, der aus einer großen Tagung in Berlin hervorging, die im März 1999 abgehalten wurde und als eine Art Auftakt des Unternehmens gedacht war. Bereits zu jener Zeit standen die vorgesehenen Schwerpunkte – „Rassenforschung“, Raum- und Agrarforschung im Zusammenhang der NS-Expansions- und Besatzungspolitik sowie Rüstungsforschung – als Gliederungsmomente der Projektarbeit fest, doch war die Tagung viel breiter angelegt, weshalb der Tagungsband über den im Untertitel genannten Stand der Forschung zur Geschichte der KWG weit hinausging. Die Breite und Vielfalt der behandelten Themen und Fragestellungen sind an sich als Positiva zu betrachten, doch wird damit gleich zu Beginn des Projekts ein Spannungsverhältnis erkennbar zwischen einer engeren Fokussierung auf die KWG selbst als institutionellen Akteur im sozialen Teilsystem Wissenschaft sowie im NS-System insgesamt und der sichtbaren Bemühung der Projektleitung um eine breitere Kontextualisierung der Forschung wie auch der Institutionsgeschichte im Rahmen der Sozialgeschichte und der politischen Geschichte der Wissenschaften im 20. Jahrhundert. Dieses Spannungsverhältnis bleibt bis zum Ende des Unternehmens und auch in den publizierten Ergebnissen sichtbar, worauf gelegentlich zurückzukommen sein wird. In der Folge geriet schon der Doppelband, der aus der Tagung hervorging und am Anfang der Reihe stand, eher zu einer Bestandsaufnahme der Wissenschaftsgeschichte des Nationalsozialismus im deutschsprachigen Raum Mitte der 1990er Jahre als zu einer der Geschichtsforschung zur KWG in diesem Kontext. Gleichwohl sind einzelne Beiträge dieses ersten Doppelbandes in den folgenden Bänden der Reihe immer wieder als Bezugsgrößen herangezogen worden.

Geschichte der KWG als Institution

Interessanterweise erfolgte eine nähere Fokussierung auf die Geschichte der KWG als Institution im Nationalsozialismus erst in zwei der zuletzt erschienenen Bände der Reihe. Diese seien aus inhaltlichen Gründen zuerst besprochen, um einen Rahmen für die Behandlung anderer Themen zu schaffen.

Michael Schürings Buch Minervas verstoßene Kinder. Vertriebene Wissenschaftler und die Vergangenheitspolitik der Max-Planck-Gesellschaft beginnt mit einer detaillierten Untersuchung der Folgen der Vertreibungen von als Juden definierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus KWIs nach 1933 und der Reaktion der KWG-Zentrale. Daran schließt sich eine eingehende Untersuchung der Auseinandersetzung der Rest-KWG nach 1945 beziehungsweise der neu gegründeten MPG nach 1948 mit den Emigranten und den von ihnen erhobenen Ansprüchen auf Wiedergutmachung an. Im ersten Teil wird die Reaktion auf die Entlassungen seitens der KWG-Leitung als eine Mischung aus vorauseilendem Gehorsam und institutionellen Absicherungsmaßnahmen gegen denunzierende Unruhestifter oder vorpreschende Direktoren an den Instituten treffend charakterisiert. Der wertvollste Befund ist hier aber der Nachweis eines engen Zusammenhangs zwischen dieser Reaktion und den parallelen Bemühungen derselben KWG-Zentrale um Kooperation mit relevanten Akteuren des neuen Regimes, vor allem im Reichsinnenministerium, dem Preußischen Kultusministerium, dem daraus entstandenen Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) und dem Militär.

Schüring konstatiert für die Zeit nach 1945 eine durchaus vergleichbare Parallelität zur Situation nach 1933: Die Neuverhandlungen mit den Besatzungsbehörden und daran anschließend mit Bund und Ländern verliefen verzahnt mit dem zunächst eher improvisierten, aber zunehmend mit Bedacht organisierten vergangenheitspolitischen Diskurs der MPG-Leitung. Darin ging es vor allem um den Präsidenten Otto Hahn, den ihm trotz seiner früheren Verstrickungen mit der NSDAP offenbar unentbehrlichen Generaldirektor Ernst Telschow und viele Institutsdirektoren sowie ihren Umgang mit den Wiedergutmachungsansprüchen der Vertriebenen. Die Analyse bleibt dabei nicht bei einer Entlarvung damaliger Weißwäscherei stehen, auch wenn offensichtlich unwahre Aussagen der Beteiligten über ihre Involvierung vor 1945 als solche klar benannt werden. Vielmehr werden die Elemente des entstehenden vergangenheitspolitischen Diskurses – insbesondere Entpersonalisierung und Entkontextualisierung – genau herausgearbeitet. Dies gilt ebenfalls für die scheinbar nur gewitzten, zuweilen atemberaubend zynischen juristischen Taktiken, mittels derer die Zuständigkeit der MPG geleugnet oder selbst anerkanntermaßen fällige Wiedergutmachungszahlungen immer wieder hinausgezögert wurden. Dabei werden die Bemühungen einiger Mitarbeiter in der Generalverwaltung der MPG, sachlich richtige Entscheidungen zu treffen, gebührend gewürdigt. Dass Recht und Gerechtigkeit miteinander unvereinbar erschienen beziehungsweise die einen nur das eine und die anderen nur das andere suchten und die Gesprächspartner daher allzu oft aneinander vorbei redeten, wird empörend plastisch dargestellt. Die Sympathie des Autors mit den Emigranten wird dadurch evident, dass und wie er sie selbst ausführlich zu Wort kommen lässt.

Schüring wagt in dieser verdienstvollen Studie keine Aussage darüber, was Institutionsgeschichte ist oder sein kann. Dies tut aber sehr wohl Hachtmann in seinem nicht nur des Umfangs wegen beeindruckenden zweibändigen Werk Wissenschaftsmanagement im ‚Dritten Reich’. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Der Doppeltitel spricht buchstäblich Bände, denn es handelt sich in der Tat um zwei miteinander verschränkte Bücher, eines als Fazit des Forschungstands zur politischen und Sozialgeschichte der Wissenschaftsorganisation im „Dritten Reich“ – genauer: in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und ein anderes über die Generalverwaltung der KWG im engeren Sinne. Die Verschränkung rechtfertigt der Autor durch die in dieser Form maßlos überzogene Behauptung, die Geschichte der Generalverwaltung sei „bis zu einem gewissen Grade auch eine Geschichte der gesamten Wissenschaftsgesellschaft“ (Bd. 1: S. 21). „Geschichte der Wissenschaftsgesellschaft“ firmiert hier vor allem als eine Geschichte sich selbst organisierender Netzwerke gesellschaftlich affiner (Männer-)Gruppen; die KWIs und die Generalverwaltung der KWG werden dabei als Knoten beschrieben, Orte des Austauschs von Ressourcen und verschiedener, nicht nur symbolischer Kapitalsorten im Sinne Pierre Bourdieus. Im Einklang mit der neueren Forschung, namentlich zur Geschichte der Notgemeinschaft und der DFG, hebt Hachtmann die zentrale Bedeutung der 1917 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegswissenschaftliche Forschung hervor. Die Gruppe selbst bestand nach 1919 nicht mehr lange, doch die dort geknüpften Netzwerke wurden fortgesetzt, erweitert und vertieft, beispielsweise über gemeinsame Mitgliedschaften in vielsagend benannten Vereinen wie dem Herrenklub oder dem Nationalen Klub. Diese immerhin auf mehreren hundert Seiten geschilderten Zusammenhänge geben die Folie für die darauf folgende Analyse der NS-Zeit ab.

Hachtmanns Schilderung des Übergangs 1933 als Neugestaltung sozialer Netzwerke – mit dem wendigen, überall präsenten Ernst Telschow als neuem Knotenpunkt schon vor seiner Amtsübernahme als Generalsekretär der KWG 1937 – ist sehr detailreich und plausibel. Demnach ist Friedrich Glum als Generalsekretär der KWG nach 1933 nicht allein, aber doch in erster Linie deshalb gescheitert, weil er weiterhin auf seine vertrauten Verbindungen im konservativ-deutschnationalen Bürgertum setzte. Somit kann Hachtmann die Installierung einer neuen Satzung der KWG im Jahre 1937 weniger als einen Wendepunkt, wie von der bisherigen Forschung geschehen, denn als den Vollzug bereits entwickelter Machtverhältnisse beschreiben. Neu und interessant ist der Nachweis, dass die Wiederbelebung der Beziehungen zum Militär neben den von Anbeginn bestehenden Verbindungen zur Wirtschaft zwar von Präsident und Generalverwaltung befürwortet, aber im Hintergrund durch Albert Vögler vorangetrieben wurde. Dem Zögling von Hugo Stinnes, Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Stahlwerke und wirtschafts- wie wissenschaftspolitischer Multifunktionär vor und nach 1933, wird hier eine zentrale Rolle zugewiesen. Hachtmann stellt Vögler als graue Eminenz der KWG seit Anfang der 1930er Jahre dar, dessen Rolle im Verlauf der NS-Zeit immer prominenter wurde. So sind nach dieser Darstellung die Grundlinien des späteren Reichsforschungsrates (RFR) in einer Denkschrift Vöglers schon 1933 vorformuliert, sie wurden dann vom KWG-Präsidenten Max Planck 1934 und von Teilen der neuen Wissenschaftsverwaltung ab 1935 und 1936 weiterentwickelt. Die zentrale Bedeutung Vöglers für die Lenkung der KWG erschließt sich somit nicht erst mit seiner Präsidentschaft im Krieg, sondern bereits viel früher. Die Ironie, dass Vögler das Schicksal eines zentralen Akteurs der Wissenschaftspolitik sozusagen nebenher gelenkt hat, manchmal ohne überhaupt in Berlin anwesend zu sein – was möglicherweise auf eine doch eher untergeordnete Bedeutung der Wissenschaft im NS-System schließen ließe –, wird hier bestenfalls sehr implizit registriert.

Im Mittelpunkt des Buches steht aber keine allein funktionalistische Deutung des Geschehens. Dass in diesem Kontext Wissenschaft und Politik wie auch Wissenschaft und Wirtschaft sowie Wissenschaft und Militär Ressourcen füreinander gewesen sind, stellt Hachtmann nicht in Abrede – im Gegenteil, diese Sicht hat er so weit verinnerlicht, dass er die Formulierung selbst oder Teile von ihr mehrfach ohne Quellenangabe benutzt. Er betont aber auch, dass eine forcierte Zusammenarbeit mit der Politik und dem Militär der kaisertreuen Überzeugung der Leitung der KWG und vieler Institutsdirektoren in den ersten Jahren des NS-Regimes ohnehin entsprach, weshalb sie begeistert mitmachten. Natürlich ist das richtig, doch an sich ist es unnötig, so zu tun, als würden sich der inzwischen weithin bekannte Ressourcenansatz und eine traditionell auf ideologisch motiviertes Handeln setzende Deutung widersprechen. Gemeinsame Überzeugungen und Zweckbündnisse gehen im politischen wie im wirtschaftlichen Geschehen häufig genug miteinander einher. Dafür, dass dies auch im wissenschaftspolitischen Bereich der Fall war, bringt Hachtmann zahlreiche Belege. Dass Zweckbündnisse ohne gemeinsame Überzeugung durchaus möglich waren, belegt das zeitweilige Zusammengehen Plancks und Johannes Starcks, also der an sich verfeindeten Vertreter der modernen und der „Deutschen Physik“, als Alliierte gegen Pläne im REM zur Schaffung einer zentralistisch organisierten Reichsakademie der Forschung im Oktober 1934.

Auch mit der von Hermann Göring geleiteten Vierjahresplanbehörde ging die KWG ein Bündnis ein, in das einstige Konkurrenten wie Rudolf Menzel als Leiter des Amtes Wissenschaft im REM und nunmehriger Präsident der DFG sowie die anderen Mitglieder der sogenannten Göttinger Clique um Minister Bernhard Rust, etwa Peter Adolf Thiessen oder der Leiter des Heereswaffenamtes Erich Schumann, geschickt eingebunden wurden. Wichtig für Hachtmanns Analyse der Allianz wie für die der Politik der KWG im Krieg ist die Betonung der von Vögler reklamierten und sogar von Göring anscheinend akzeptierten „Freiheit der Forschung“. Gemeint ist jedoch nichts weiter als die Einsicht, dass nur die Freisetzung der Ressource Forschung zu deren erhöhter Produktivität für das Militär führen kann. Dies war nach Hachtmann auch die intellektuelle Grundlage der Verbindung der KWG-Leitung zum Rüstungsminister Fritz Todt und vor allem zu seinem Nachfolger Albert Speer sowie für das rasante Wachstum der Etats der natur- und technikwissenschaftlich orientierten KWIs im Krieg. Somit gelingt Hachtmann der Nachweis einer zentralen, wenn auch keinesfalls allein dominanten forschungspolitischen Rolle der KWG unter der Präsidentschaft Vöglers.

Sehr spekulativ geraten ist hingegen der Abschnitt zur Atomforschung. Immerhin kann Hachtmann Indizien dafür aufbringen, dass auch Vögler die Hoffnung auf eine Wende des Kriegsgeschehens durch eine atomare Wunderwaffe hegte. So verblendet konnten selbst hartgesottene Wirtschaftslenker also sein. Was die Kernfrage betrifft, inwiefern es wirklich zum Bau einer deutschen Atombombe vor 1945 gekommen ist, trägt dieser Abschnitt jedoch wenig zum Forschungsstand bei.Footnote 4

In den letzten Kapiteln zur Neuformierung der KWG beziehungsweise zur Gründung der MPG in der Nachkriegszeit sowie zum vergangenheitspolitischen Diskurs gelingt Hachtmann eine gründliche Aufarbeitung der Strukturgeschichte und Geschehensabläufe, die sich mit der Arbeit Schürings vortrefflich ergänzt. Die emsige netzwerkbildende Tätigkeit Telschows zur Rettung der KWG und damit auch der eigenen Haut schloss sogar die Aktivierung familiärer Beziehungen zu seinem Schwager Kurt Zierold – zu jener Zeit als Ministerialbeamter in Hannover mitverantwortlich für die Bereitstellung finanzieller Mittel für die Göttinger Zentrale – mit ein. Zur Netzwerkarbeit gehörte ebenso der enge Kontakt zum zuständigen britischen Besatzungsoffizier Bertie Blount, einem in Deutschland ausgebildeten Chemiker, der sogar auf demselben Gelände der Aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen wohnte und arbeitete, wo die KWG/MPG-Zentrale untergebracht war. Wegen des Versuchs einer von Robert Havemann geleiteten und vom Berliner Magistrat wie von der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Zone unterstützten Alternativverwaltung und unterschiedlich motivierten Widerständen der amerikanischen und französischen Besatzungsbehörden blieb diese Arbeit zunächst nur in der britischen Besatzungszone erfolgreich. Auch dort musste der Verzicht auf den Namen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und damit die Entwertung eines großen Stücks symbolischen Kapitals von Hahn, Planck und mehreren Direktoren aus alter Verbundenheit sehr widerwillig, von Telschow eher pragmatisch hingenommen werden. Doch der angeblich vom Präsidenten der Londoner Royal Society vorgeschlagene Namenswechsel zu Max-Planck-Gesellschaft brachte keinen Nettoverlust mit sich. Erst die neue politische Großwetterlage, das heißt der Beginn des Kalten Krieges, führte nach Hachtmann zum endgültigen Zusammenrücken der KWIs im westlichen Deutschland einschließlich des Einlenkens der Franzosen und besiegelte das Scheitern Havemanns.

Auf der Ebene der Vergangenheitspolitik fasst Hachtmann die rhetorischen Strategien der Entlastung und der „Persilscheinfabrikation“‚ unter Einbeziehung der Arbeiten von Richard Beyler, Carola Sachse und Michael Schüring differenziert zusammen. Die Grundmuster der Legendenbildung auf individueller Ebene – vor allem eine künstliche Trennung von Wissenschaft und Politik bei gleichzeitiger Verengung beider Begriffe, so dass Mitarbeit in technokratischen Herrschaftsprojekten als apolitisch dargestellt werden konnte –, sind allerdings lange bekannt. Hinzu kam erst im Laufe der Zeit zunehmend die bereits 1945 formulierte Legende einer strikten Trennung von reiner Grundlagenforschung und angewandter Forschung zum Tragen. Brillant gelingt es Hachtmann, das Ineinandergreifen der individuellen und institutionellen Ebenen des Entlastungsdiskurses herauszuarbeiten und aufzuzeigen, wie Rhetoriken, die für die Entnazifizierung Einzelner funktionierten, sich für die Neupositionierung der Institution mit geringfügigen Akzentverschiebungen umfunktionalisieren ließen. Das ging auch in die Gegenrichtung; somit konnten Telschow und Hahn entlastende Zeugnisse sogar für Hauptakteure des früheren Forschungsestablishments wie Heinrich Hörlein und Konrad Meyer oder Heinrich Hörlein von der IG Farben erbringen. In Zweifelsfällen wie dem des „alten Kämpfers“ Werner Hoppenstedt, zuletzt Leiter eines KWI für Kulturwissenschaften in Rom, gingen sogar glatte Unwahrheiten durch. Telschow entwarf die Persilscheine selbst, die Hahn und Planck für ihn einreichten, und er brachte es so weit, sich auch sonst als rechte Hand des neuen Präsidenten Hahn derart unentbehrlich zu machen, dass er trotz endlich aufkeimender Vorwürfe wegen seiner früheren aktiven Parteimitgliedschaft im Rahmen einer Länderministerkonferenz 1948 im Amt blieb. Es war der Sozialdemokrat Adolf Grimme, der ihn mit dem Hinweis rettete, dass es ein „Problem Hahn“ gäbe, wenn Telschow ginge. Die Länderminister zogen sich mit der gewundenen Formulierung aus der Affäre, Telschow sei „unerwünscht, aber nicht untragbar“ (Bd. 2: S. 1133).

Hachtmann gibt sich sichtlich große Mühe, die beiden oben genannten Darstellungs- und Analyseebenen – Geschichte der Wissenschaftsorganisation in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einerseits und die der Generalverwaltung im engeren Sinne andererseits – miteinander zu verzahnen. Doch bleibt ein seltsamer Eindruck der Gespreiztheit zurück, denn über längere Strecken der Kontexterarbeitung gerät die Generalverwaltung der KWG aus dem Blick. Durch seinen sehr weiten Horizont wird das Buch aber auch für Studien anderer Themengebiete nützlich sein. Hachtmanns sozialgeschichtliche Analyse der Vernetzung wissenschaftlicher und politischer Akteure sowie viele seiner einzelnen Thesen sind grundsätzlich richtig und verfolgenswert. Ob alles das in dieser Ausführlichkeit für eine Geschichte der Generalverwaltung der KWG, die immerhin nie mehr als drei oder vier Dutzend Angestellte gehabt hat, wirklich nötig gewesen wäre, darf jedoch bezweifelt werden.

Biologische und biochemische Forschung – und der Fall Adolf Butenandt

Bevor es um die Bände der Reihe geht, die sich den oben genannten, ursprünglich gesetzten thematischen Schwerpunkten der Präsidentenkommission zuordnen lassen, seien zunächst zwei Bände herausgegriffen, die in verschiedener Hinsicht für sich stehen. Thematisches Bindeglied der beiden ist das Thema Spitzenforschung im Nationalsozialismus mit oder ohne offenkundigem Bezug zu den politischen Kernprojekten des Regimes.

Bernd Gausemeiers Studie Natürliche Ordnung und Politische Allianzen der Arbeit im KWI für Biologie und im KWI für Biochemie vor und nach 1933 ist ein sehr interessanter Versuch, die klassische Institutions- mit der neuesten praxeologischen Wissenschaftsgeschichte zu verbinden. In seiner Einleitung zeichnet er die Forschungsentwicklungen bis 2003 zum Thema Wissenschaft im Nationalsozialismus klar nachFootnote 5 und argumentiert durchaus zu Recht, dass es nicht mehr ausreichen kann, allein danach zu fragen, ob Wissenschaftler mit dem Regime ideologisch konform gingen oder nicht beziehungsweise ob sich Affinitäten zwischen bestimmten Forschungsansätzen und NS-Ideologemen nachweisen lassen. Weitaus wichtiger als öffentliche Gesinnungsbekundungen sind nach Gausemeier, der hier der Tendenz der Forschung der letzten Jahre durchaus folgt, politisch indizierte Wandlungen und Neuzuordnungen oder Neufunktionalisierungen bereits eingeschlagener Forschungsstrategien und Prioritäten. Die Verwendung des Terminus Allianzen für die hierfür notwendigen Verbindungen mit staatlichen und anderen Förderungsinstanzen verweist auf das (leider noch immer nicht ins Deutsche übersetzte) Werk Bruno Latours Science in Action von 1987. Dessen Akteur-Netzwerk-Ansatz hat für manches andere im Buch auch Pate gestanden, ohne dass Gausemeier auf die Aktanten-Ontologie Latours (die im genannten Buch ohnehin keine Rolle spielt) eingehen muss. Der klassischen Institutionsgeschichte ist die Analyse der Wende um 1933 im KWI für Biologie sowie die Entlassung des Institutsdirektors Carl Neuburg und die Ernennung Adolf Butenandts als Nachfolger gleichwohl zuzuordnen.

Neu ist die Verbindung solcher institutioneller Analysen mit einer Mikrogeschichte der Forschungspraktiken im Sinne des von Hans-Jörg Rheinberger formulierten Begriffs der Experimentalsysteme. Gausemeier zeichnet mehrere solcher Mikrogeschichten detailliert nach, beispielsweise die von Alfred Kühn geleitete Arbeit an der Mehlmotte Ephestia kühniella als Modellorganismus. Er beschreibt sie als Teil eines breit angelegten Forschungsprogramms zur Erschließung der Rolle hormonaler Wirkstoffe in der genetisch gesteuerten Entwicklung von Organismen, das den konzeptionellen Rahmen der Arbeit am KWI für Biologie in den späten 1930er Jahren abgab. Da dieses Themenfeld für die Rockefeller-Stiftung von großem Interesse war, wurde Ephestia „zu einem eminent politischen Tier“ (S. 101), gerade weil die Arbeit an ihr den Amerikanern politisch unverdächtig zu sein schien. Direktere Verbindungen solcher Forschungsgeschichten mit der politischen Geschichte kann Gausemeier plastisch nachvollziehen anhand der strahlungsgenetischen Arbeiten Nikolai Timoféeff-Ressovskys am KWI für Hirnforschung, wegen ihrer vom Forscher selbst behaupteten Relevanz für die „Rassenhygiene“ und vor allem im Kontext der vielfachen politischen Neupositionierungen der Forschungsprojekte Butenandts im Krieg. Nicht ganz klar ist die Antwort Gausemeiers auf die Frage, wie genau die beiden Geschichten der Experimentalsysteme und der politischen Positionierung allgemein zusammenzudenken sein sollen. Einmal ist von einer Mobilisierung potenzieller (oder behaupteter) Kriegswichtigkeit als Ressource der reinen Wissenschaft die Rede, ebenso wird umgekehrt von der reinen Wissenschaft als Ressource für den Krieg gesprochen. Ist sogar beides geschehen oder etwas grundsätzlich Neues, Unerwartetes entstanden? Anscheinend sind alle drei dieser Möglichkeiten denkbar, und Beispiele dafür hat es tatsächlich gegeben.

Kurz nach dem Band von Gausemeier erschien der Sammelband Adolf Butenandt und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Die Entscheidung, diesmal entgegen der ursprünglichen Ausrichtung des Projekts biographisch vorzugehen und auch ein einzelnes Institut in den Blick zu nehmen, war richtig, und zwar nicht allein wegen der späteren Rolle Butenandts als langjährigem Präsidenten der MPG, die hier kaum zur Sprache kommt. Vielmehr stellt der Fall Butenandt ein Musterbeispiel des Agierens von Spitzenforschern der jüngeren Generation im Nationalsozialismus dar. Die Alternative „Überzeugungstäter oder Opportunist“ erweist sich hier in der Tat als unzureichend, denn Butenandt wird, grob vereinfacht formuliert, als beides in einem (und mehr noch) dargestellt. Die politischen Wege des Forschers in den 1920er Jahren und danach werden ausgewogen, aber letztendlich konventionell im Kapitel Theodor Schieders dargestellt, die Beziehungen Butenandts zu Wissenschaftlerinnen im von Wut getragenen Kapitel Helga Satzingers plastisch geschildert. Zum Forschungsgeschehen und dessen Verbindungen zu Politik und Industrie äußern sich einleuchtend und solide Gausemeier (zum KWI für Biochemie im Krieg), Rheinberger (zur Zusammenarbeit Butenandts mit Kühn) und Jean-Paul Gaudillère (zum „Arbeitskreis Butenandt-Schering“). Mitherausgeber Achim Trunk trägt sorgfältig interpretierte Befunde zur Rolle Butenandts und seines Mitarbeiters Günther Hillmann bei den Versuchen Josef Mengeles in Auschwitz zusammen. Gerade wegen des kühlen, abwägenden Tons ist dies ein wertvoller Beitrag zu einer ansonsten von Moralisierungen dominierten Diskussion. Dass die von Hillmann analysierten Blutproben als Grundlage einer von Mengele wie vom damaligen Direktor des KWI für Anthropologie, Otmar von Verschuer, erhofften Rassendiagnose dienen sollten, dürfte inzwischen als belegt gelten. Im Abschnitt zur Nachkriegszeit steuern Sachse und Schüring Ergänzungen zu weitgehend anderweitig publizierten Befunden bei. Neu hingegen sind die von Paul Weindling vorgenommene Nachzeichnung der wechselnden Sicht der Alliierten auf die Rolle Butenandts, das Kapitel von Heiko Stoff über die Reinigungs- und Assoziierungsstrategien Butenandts zwischen 1945 und 1955 und der Beitrag von Jeffrey Lewis über die KWIs in der französischen Besatzungszone und die Auseinandersetzung der Tübinger Institute mit der Göttinger Zentrale. Mit alledem ist im Band ein umfassender Überblick mit durchweg ausgewogenen Urteilen gelungen. Da vieles auf dem privilegierten Zugang der Kommissionsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter zum Butenandt-Nachlass im Archiv der MPG beruht, wird es allerdings schwer möglich sein, in den nächsten Jahren hier weiterzukommen.

„Rassenforschung“

Nun endlich komme ich zu den drei ursprünglich gesetzten thematischen Schwerpunkten des Projekts. In allen drei Fällen war die Publikationsstrategie gleich: Zuerst wurde ein Workshop zum Forschungsstand im breitesten Sinne abgehalten und die Ergebnisse wurden in je einem Sammelband der Reihe publiziert, darauf folgte eine eingehende Monographie zum Themengebiet. Gelegentlich kamen andere Einzelstudien hinzu.

Eine schlüssige Interpretation der Geschichte der sogenannten „Rassenforschung“ vor und nach 1933 wird durch die extreme Schwierigkeit, den Terminus selbst zu definieren, nicht erleichtert. In seiner klar geschriebenen Einleitung zum Sammelband Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933 formuliert Hans-Walter Schmuhl dieses Problem in aller Deutlichkeit. Dabei unterscheidet er nichtdarwinistische oder gar antidarwinistische Zugänge, die vor allem in der Tradition des Rassentheoretikers Gobineau stehen, auf typologischen Differenzkonstrukten beruhen und auf die Erlangung oder Erhaltung der Reinheit einer vermeintlich überlegenen Rasse („Systemrasse“) zielen, von entwicklungsbiologischen, meist darwinistischen Zugängen, deren Vertreter von Populationen ausgehen und der angeblichen Gefahr einer durch Zivilisierung verursachten Degeneration eines Volkes beziehungsweise einer „Rasse“ mit eugenischen oder „rassenhygienischen“ Mitteln entgegentreten wollen. Wichtig ist es, diese beiden Denkstile und Traditionen analytisch getrennt zu halten, damit deutlicher wird, dass ihre Vermischung das eigentliche Spezifikum der nationalsozialistischen Rassenhygiene ausmacht. Die relevanten Beiträge zum Band zeigen, dass Forschung auf diesem Themenfeld an KWIs hauptsächlich der zweiten, also der darwinistischen Tradition zuzuordnen ist.

Die beiden Kapitel des Bandes, in denen die Arbeit der von Ernst Rüdin geleiteten „Genealogischen Abteilung“ des KWI für Psychiatrie diskutiert wird, belegen, dass rassistische Forschung in solchen Kontexten möglich war, ohne dass das Wort „Rasse“ eine prominente Rolle spielen musste. Die beiden darauf folgenden Kapitel von Michael Hagner und Helga Satzinger zur Arbeit von Oskar und Cecilie Vogt am KWI für Hirnforschung stimmen nicht immer miteinander überein, doch beide weisen auf einen Rückgang der Forschungsarbeiten ab den 1920er Jahren zugunsten eher populärer Publikationen hin sowie darauf, dass das Vokabular der populären Publikationen Oskar Vogts sich von dem der Forschungsarbeiten unterscheidet. Zwei weitere Kapitel befassen sich mit dem KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWIA) als Zentrum der „Rassenforschung“ im Rahmen der KWG. Der Beitrag Benoit Massins zur Geschichte des Instituts ist inzwischen durch die Monographie von Schmuhl (s. unten) ersetzt worden. Weindling versucht in seinem Beitrag Hans Nachtsheim, der in den letzten Jahren des KWIA als Abteilungsleiter gearbeitet hatte, wegen seiner Forschung über genetische Krankheiten an Modelltieren anzugreifen. In der Tat war Nachtsheim in ein Forschungsnetzwerk involviert gewesen, in dem einige Mitglieder an eugenischen Mordaktionen beteiligt waren und über das er bekanntlich Hirnpräparate von epileptischen Kindern, die im Rahmen der sogenannten Euthanasie in Brandenburg-Görden ermordet worden waren, für seine Studie über epileptische Anfälle bei Kaninchen zur Bearbeitung erhalten hatte. Allerdings ist der Nachweis bislang ausgeblieben, dass die Kinder deswegen ermordet wurden. Von „Schuld“ in diesem Fall zu schreiben, wie Weindling es tut, suggeriert, dass er für eine Art nachträgliche Rechtsprechung sorgen oder als rückwärtsgewandte moralische Instanz agieren möchte, da weder Nachtsheim noch von Verschuer im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt worden sind. Kein anderer Autor im Band geht so weit, und es ist mir nicht einsichtig geworden, dass oder warum hier eine solche anklagende Haltung einer klaren Aufzeigung und Analyse der historischen Tatbestände vorzuziehen ist. Zwei weitere Kapitel von Thomas Potthast über die Kategorie „Rasse“ in der botanischen und zoologischen Forschung sowie von Kaufmann über den Kampf gegen diese Kategorie in der Anthropologie durch Franz Boas sind interessant zu lesen, ohne dass ihre direkte Relevanz zum Thema erkennbar wird.

Schmuhls Monographie Grenzüberschreitungen über das KWIA – eine längst überfällige, im Wortsinne erschöpfende Aufarbeitung – stellt eine im Wesentlichen gelungene, wenn auch streckenweise bemüht wirkende Synthese extensiver Aktenforschung mit Befunden der umfangreichen Sekundärliteratur dar. Neu ist die von Schmuhl vertretene These einer scharfen Wende zur „Phänogenetik“ im Forschungsprogramm des Instituts – das heißt zur Frage der Bestimmung der relativen Bedeutung sowie der möglichen Wechselwirkung erblicher und umweltbedingter Faktoren auf dem Weg vom Genotyp zum Phänotyp –, die er auf die späten 1930er Jahre datiert. Sie stellt für ihn, gemeinsam mit der „Entgrenzung“ der Kriegsjahre, den Hintergrund zur Verbindung nach Auschwitz dar. Fragwürdig bleibt, ob die Arbeiten Mengeles wirklich in diesem Zusammenhang standen. Ein weiteres Problem mit dieser an sich plausiblen These ist, dass Eugen Fischer das Thema „Phänogenetik“ in der eben formulierten Bedeutung bereits Anfang der 1930er Jahre ausführlich erörtert hat.Footnote 6 Der Hinweis Fischers auf die Bedeutung psychologischer Forschung in diesem Kontext stellt auch die konzeptionelle Grundlage der Einrichtung einer „Erbpsychologischen Abteilung“ des KWIA nach der Berufung von Verschuers nach Frankfurt bereits 1935 dar, also Jahre vor der von Schmuhl behaupteten Hinwendung zur „Phänogenetik“. So gesehen wäre die Gründung der Erbpsychologischen Abteilung als Ressourcenmobilisierung zur Realisierung eines bereits bestehenden Forschungsprogramms darzustellen. Und somit wäre keine scharfe Wende, sondern vielmehr eine inhaltliche Kontinuität des Fischer’schen Forschungsprogramms von der späten Weimarer zur NS-Zeit zu konstatieren.

In gewisser Hinsicht kann auch Alexander von Schwerins Arbeit Experimentalisierung des Menschen hier eingereiht werden, auch wenn die in diesem Band ausführlich besprochenen Arbeiten Nachtsheims nicht als „Rassenforschung“ im engeren Sinne zu beschreiben sind. Von Schwerin gelingt in diesem Band auf vorzügliche Weise die Verbindung der Geschichte eines „Experimentalsystems“ mit derjenigen der Eugenik. Wie er nachweisen kann, war der eugenische Diskurs in den 1920er Jahren auch in der Tiergenetik allgegenwärtig. Nachtsheim gewann mit Mühe Autorität unter Kaninchenzüchtern und verwendete diese als Ressource zur Etablierung eines groß angelegten Forschungsprogramms der Säugetiergenetik. Dies verzahnte sich gut mit der groß angelegten Tierzucht, die von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft in den 1920er Jahren als Grundlage eines Forschungsprogramms in Genetik und Physiologie finanziert wurde. Von der industriellen Produktion von Forschungstieren war es kein großer Sprung zur Idee des Modellorganismus für die Humangenetik. Nach einem Karriereknick infolge des Todes von Erwin Baur orientierte sich Nachtsheim ab 1934 in Richtung vergleichender Erbpathologie und somit von der Säugetier- zur Humangenetik um. Epilepsie war ein geschickt gewähltes Thema hierfür, denn diese Diagnose stand auf der Liste der Gründe für Zwangssterilisierung. Von hier führte der Weg zum Abteilungsleiter am KWIA 1941.

Dabei war die eben beschriebene Wende zur Phänogenetik ebenfalls von Bedeutung. Um eine Medikalisierung der Genetik ging es nicht allein, gleichwohl stimmt die These von Schwerins, dass der Weg von hier in den Abgrund des Menschenexperiments führte, und zwar zu den anderweitig bereits vielfach beschriebenen Studien Nachtsheims mit Gerhard Ruhenstroth-Bauer über induzierte epileptische Anfälle bei Kaninchen und auch Kindern, von denen einige später Opfer der sogenannten Euthanasie wurden. In dieser Version ist dies jedoch nicht (oder nicht nur) eine Kriminalgeschichte, denn die Ermordung war nicht Bestandteil des Forschungsdesigns, sondern nach der Analyse von Schwerins Folge der grundsätzlich offenen Entwicklung eines Experimentalsystems, der wegen der für diese Jahre charakteristischen Entgrenzung ohnehin keine Schranken gesetzt waren. Inwiefern dieses Forschungsprogramm tatsächlich als Experimentalsystem im Sinne Rheinbergers beschreibbar ist, muss hier offen bleiben. Wie von Schwerin zu Recht betont, handelte es sich dabei jedenfalls nicht um ideologisch getriebene Pseudowissenschaft, sondern um technokratisch orientierte Grundlagenforschung. Gerade deshalb war es Nachtsheim auch möglich, nach 1945 praktisch bruchlos weiterzumachen. Und gerade deshalb – weil dieser Verlauf derart „normal“ gewesen ist – müsste das Ergebnis der Studie heute nicht verharmlosend, sondern erschütternd wirken.

Raum- und Agrarforschung im Zusammenhang mit der NS-Expansions- und Besatzungspolitik

Ursprünglich hieß dieser Schwerpunkt „Ost- und Raumforschung“, doch scheint die oben stehende Bezeichnung angesichts der vorliegenden Ergebnisse gegenstandsadäquater zu sein. Auch in den Bänden zu diesem Schwerpunkt ist, wie im Falle der eugenisch ausgerichteten „Rassenforschung“, von einem Zusammenhang mit technokratischen Projekten die Rede, die bereits vor 1933 in nuce angelegt waren. Im von Heim herausgegebenen Sammelband Autarkie und Ostexpansion wird wieder ein großer Bogen gezogen, von den Beiträgen Jonathan Harwoods zur politischen Ökonomie der Pflanzenforschung 1870–1933 und Michael Flitners über agrarpolitische „Modernisierung“ und Genetik im internationalen Vergleich zu den auf die NS-Zeit fokussierten Kapiteln Thomas Wielands über selbst zugeschriebene „politische Aufgaben“ der Pflanzenzüchtung und von Irene Stoehr über den Generationswechsel zu Konrad Meyer in der Agrar- und Siedlungspolitik.Footnote 7 Zwei Grundlinien stellen sich heraus:

  1. 1.

    Pflanzen beziehungsweise Saatgut als Ressource im internationalen Konkurrenzkampf der frühen Pflanzengenetik;

  2. 2.

    die Rolle einer agrarpolitischen Machbarkeitsideologie als Kontext der NS-Großraumpolitik.

Neu ist die Arbeit von Uwe Hossfeld und Carl-Gustaf Thernström über ein von Heinz Brücher geleitetes SS-Sammelkommando in Russland und den Versuch des SS-„Ahnenerbes“, auf der Grundlage des Erbeuteten ein eigenes Institut auf diesem Gebiet aufzuziehen. Dieser Hinweis ist wichtig als Beleg dafür, dass die Reichweite des „Ahnenerbes“ nicht auf (skurrile) geisteswissenschaftliche Projekte beschränkt blieb. In weiteren Beiträgen werden Einzelergebnisse anderer Projekte dargestellt, beispielsweise über agrarwissenschaftliche Forschung an griechischen und polnischen Instituten während der Besatzung oder von Elvira Scheich über Elisabeth Schiemann. Die Beiträge von Hachtmann über die Kategorien der Expansionspolitik der KWG im 2. Weltkrieg und von Schüring über den Fehlschlag der Wiederkehr Max Ufers ans MPI für Züchtungsforschung in Voldshagen sind in ihre oben besprochenen Monographien aufgenommen worden. In ihrem eigenen Beitrag, der den Übertitel „Forschung für die Autarkie“ mit dem des Bandes teilt, stellt Heim erste Ergebnisse ihrer Arbeit über agrarwissenschaftliche Forschung an KWIs vor.

Auf diesem Beitrag aufbauend breitet Heim in einem knapp und klar geschriebenen Band eine breite Palette von Verbindungen zwischen Forschungen an KWIs und politischen Kernprojekten des NS-Regimes aus. Im ersten Teil geht es um die Zusammenhänge des von Herbert Backe entwickelten Paradigmas Raum und Raumplanung mit dem massiven Ressourcenraub der pflanzengenetischen Institute im besetzten Osteuropa, vor allem nach dem Überfall auf die Sowjetunion. Der Krieg erwies sich hier tatsächlich als Chance für Politik und Wissenschaft gleichermaßen. Wie Heim zeigen kann, steht eine vergleichbare Machbarkeitsideologie hinter der Investition in Forschung zur Kautschuksynthese, die im zweiten Teil des Bandes analysiert wird. Wie im ersten Teil bildet die Autarkiepolitik im Nationalsozialismus den Rahmen. Zunächst ging es um eine Reduzierung des Imports von natürlichem Kautschuk. Zur Lösung des Problems mit biochemischen Mitteln entstand das von Heim so genannte Kok-Saghys-Netzwerk, an dem mehrere KWIs mit der IG-Farben beteiligt waren. Im Krieg kam es aber dann zu einer extensiven Politik. Hitler selbst soll das Ziel, 400.000 Hektar Gummipflanzen anzubauen, vorgegeben haben. So kam es zu mehreren, miteinander konkurrierenden Initiativen, darunter die experimentellen Versuche am KWI für Züchtungsforschung. In diesem Kontext behandelt Heim erstmals ausführlich die Arbeit des von Joachim Cesar geleiteten Pflanzenlabors in Rajsko, auf dem Gelände des Auschwitz-Birkenau-Komplexes, in die Häftlinge zwangsweise einbezogen wurden. Nach der Auffassung Heims scheiterte diese Verbindung von NS-Großraumpolitik und Technowissenschaft nur deshalb, weil derartige Forschungsprogramme in den Zeittakt einer „Erzeugungsschlacht“ nicht hineinzupressen waren (S. 197).

Im letzten Teil des Bandes behandelt Heim die kontrastierenden Karrieren von zwei Züchtungsforschern, Hans Stubbe und Klaus von Rosenstiel, ehemals Kollegen am KWI für Züchtungsforschung. Den gemeinsamen Kontext bildet die Arbeit beider Forscher am Modellorganismus Antirhinum in Verbindung mit der von Nikolai Vavilov entwickelten Theorie der Genzentren. Bereits im Nationalsozialismus gingen sie jedoch verschiedene Wege. Nach einer Denunzierung wegen seiner angeblichen früheren Verbindung zur Sozialdemokratie wechselte Stubbe, wie in der Literatur bereits mehrfach geschildert, ins KWI für Biologie. Fortan betonte er die eugenischen Implikationen seiner Arbeit und seine politische Zuverlässigkeit, ohne der NSDAP beizutreten. Nach einem scharfen Konkurrenzkampf mit seinem ehemaligen Chef Wilhelm Rudorf gelang es ihm, mittels Verweis auf die oben genannten raum- und autarkiepolitischen Zusammenhänge noch im Krieg zum Direktor eines neuen KWI für Kulturpflanzenforschung in Tuttenhof bei Wien aufzusteigen. Dort wurde nach Heim auch an Biowaffenaufträgen des Oberkommandos der Wehrmacht gearbeitet.

Rosenstiel dagegen trat der NSDAP und der SS bei und wurde im Krieg Leiter des Referats Forschung im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete. Dort organisierte er den Abtransport von Forschungsmaterialien und Forschern aus der Sowjetunion. Später übernahm er Leitungsaufgaben an SS-Forschungsinstituten im besetzten Russland. Ebenso unterschiedlich verliefen die Nachkriegskarrieren der beiden Pflanzenforscher in den beiden deutschen Staaten: Im Westen wurde Rosenstiel zunächst als schwarzes Schaf ausgesondert, während Stubbe in der Sowjetzone und der DDR eine hervorragende Karriere machen konnte. Somit ergibt sich im Ergebnis dieses Bandes vielleicht überraschenderweise weniger ein Telos zur Vernichtung hin denn ein Nebeneinander von „Vordenkern der Vernichtung“ wie Backe und Meyer einerseits und Profiteuren der NS-Besatzungspolitik wie Stubbe andererseits, der sich weitgehend aus der Vernichtungsmaschinerie herausgehalten zu haben scheint.

Rüstungsforschung

Auch im von Helmut Maier herausgegebenen Sammelband Rüstungsforschung im Nationalsozialismus wird der Fokus – in diesem Fall unausweichlich – auf technologisch ausgerichtete Wissenschaft gelegt. In seiner Einleitung übt Maier stringente Kritik unter anderem an älteren Vorstellungen eines „Niedergangs“ der Rüstungsforschung im Nationalsozialismus infolge einer fehlenden zentralen Steuerung und fordert – im vollen Einklang mit der eingangs beschriebenen Wende der neueren Forschung – die Verabschiedung derartiger Top-down-Modelle zugunsten der „Tauschverhältnisse“ und der seit der Weimarer Zeit „längst eingeübten Kooperationsformen zwischen Militär, Staat, Industrie und Institutionen der Rüstungsforschung, in denen Grundlagen- und Zweckforschung gleichzeitig stattfanden und in Wechselwirkung zu einander standen“ (S. 13). Die Beiträge des Bandes spannen wiederum einen breiten Bogen von den allgemeinen Betrachtungen Rolf-Dieter Müllers zur Rolle des Militärs in der Steuerung der Kriegstechnik und Ulrich Marschs zur Rolle der Syntheseindustrie in der Kriegswirtschaft, zu Fallstudien der Rüstungsforschung in verschiedenen Industriebranchen bis hin zu Studien Dieter Hoffmanns und Moritz Epples zu den Einzeldisziplinen Physik und Aerodynamik und von Maier selbst zur von ihm so genannten „Werkstoffideologie“ am KWI für Metallforschung. Grundlegend für die Weiterarbeit im Schwerpunkt ist der Nachweis Epples, dass gerade die Grundlagenforschung am KWI für Strömungsforschung kriegsrelevant, weil für die Entwicklung neuer Waffensysteme notwendig war. In ihrem Kapitel analysiert Ruth Federspiel die sogenannte „Aktion Osenberg“ – ein in der Literatur bereits oft besprochener Versuch des damaligen Leiters des Planungsamtes des RFR im Jahre 1944, Wissenschaftler von der Front zur Arbeit für die Rüstungsforschung zurückzuholen. Nach Maier widersprechen die Erfolge dieser Aktion der These, dass eine Abschottung der Rüstungsforschung der Wehrmacht eine Bündelung des Forschungspotenzials verhindert habe. Er meint jedoch auch, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass die von Werner Osenberg geplante „Wehrforschungsgemeinschaft“ zu diesem späten Zeitpunkt eine signifikante Dynamisierung ermöglicht hätte. Überhaupt konstatiert Maier als Fazit des Bandes, dass der starke Widerspruch zwischen zweifellos vorhandenen rüstungstechnologischen Innovationen einerseits und „der offenkundigen Schwäche der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik und Forschungsplanung“ andererseits nach wie vor besteht (S. 28).

Mit der Arbeit von Maier, Forschung als Waffe: Rüstungsforschung in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung 1900–1945/48, liegt neben der von Hachtmann eine zweite im Wortsinne gewichtige Monographie der Reihe vor. Auch diese Arbeit trägt einen Doppeltitel, und auch hier ist ein Doppelbuch entstanden. Dies ist eine Folge erstens der sehr weiten Auslegung des Begriffs „Rüstungsforschung“, der unter anderem auch allgemeine Metall- und Legierungsforschung einschließt, weil diese die Effizienz auch von Kriegsgerät verbessern kann, und zweitens des sehr breiten Netzwerkes, innerhalb dessen sich alles abgespielt hat. Der erste wichtige Befund ist schnell genannt: Statt wie im eben besprochenen Sammelband von Technikwissenschaften ist hier richtiger von Technowissenschaft die Rede. Gemeint ist nicht nur ein eigener Wissenschaftstyp, sondern auch die dazugehörigen hybriden Institutionen und Organisationsformen, die durch das Aufeinander-Zugehen von Wissenschaft und Militär bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu entstehen begannen. Hier wie im Band von Hachtmann wird die Bedeutung der Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegswissenschaftliche Forschung und die der dort geschaffenen Netzwerkverbindungen für den weiteren Verlauf in den 1920er Jahren betont. Für den Nationalsozialismus selbst belegt auch Maier, dass und wie die Weichenstellung in Richtung Rüstungsforschung nicht erst mit der Verkündung des Vierjahresplans, sondern bereits 1934/1935 geschehen war. In dieser wie anderer Hinsicht folgt er dem Weg weiter, der von Helmuth Trischler am Beispiel der Luftfahrtforschung und deren früher Verbindung zum Reichsluftfahrtministerium Hermann Görings bereits in den 1990er Jahren exemplarisch abgesteckt wurde (Trischler 2000).

Auf alledem aufbauend steht der zweite, innovative Befund Maiers: sein Hinweis auf die zentrale Rolle extensiver Kooperationsnetzwerke der „mittleren“ Ebene, der vielen Querverbindungen über die Instanzen und der multiplen Mitgliedschaften, mittels derer die Entscheidungsträger im Bilde blieben und das Ganze am Laufen gehalten wurde. Nach Maier waren vor allem die Multifunktionäre der oberen Mittelinstanz für eine Organisationsform verantwortlich, die Dynamisierung durch Eigenverantwortung, Dauerabsprache, flexible Umorientierung und Problemlösungsstrategien förderte. Maier gelingt es, sowohl die vielen Wenden der Forschungs- und Rüstungspolitik im Gesamtverlauf des „Dritten Reiches“ detailliert nachzuzeichnen als auch diese institutionellen Netzwerkverbindungen buchstäblich erschöpfend darzustellen und in Tabellenform zu veranschaulichen. Vieles davon befindet sich folgerichtig auch im bereits besprochenen Band von Hachtmann, der aus der Arbeit Maiers, die ihm im Manuskript vor der Veröffentlichung vorlag, mehrfach zitiert.

Die Kernfrage, inwiefern diese vielen ineinander verzahnten Gremien und deren Sitzungen tatsächlich zur Produktivität der Rüstungsforschung im „Dritten Reich“ beitrugen, verliert Maier nicht aus dem Auge, auch wenn ein Übergewicht der institutionellen Seite aufgrund der herangezogenen Quellengattungen wohl unvermeidlich ist. Am Wichtigsten aber ist der Nachweis der Produktivität, mithin des zweifelhaften „Erfolgs“ dieses Ungetüms im Teilsystem Wissenschaft. Als Beispiel der Auswirkung dieser Organisationsform auf die Praxis nennt Maier die vom Direktor des KWI für Metallforschung Werner Köster geleitete „Erfahrungsgemeinschaft Zinkzünder“. Die Ergebnisse dieser und anderer Arbeiten macht Maier sogar für die Hinauszögerung des militärischen Niedergangs des „Dritten Reichs“ mit verantwortlich, und sie waren immerhin für die Alliierten nach 1945 von Interesse. Das Thema Peenemünde streift Maier nur am Rande, aber das Raketenprojekt erscheint hier als große Ausnahme, weil dort alles in einem Haus und nicht mittels aufwendig organisierter Gemeinschaftsforschung geschah. Immerhin merkt Maier an, wenngleich nur im Vorwort und gleichsam im Vorbeigehen, dass das Raketenprodukt auf Peenemünde das eigentliche Großwaffenprojekt des „Dritten Reiches“ und damit das funktionale Äquivalent zum amerikanischen Manhattanprojekt gewesen ist.

Von grundlegender Bedeutung ist die Hinterfragung der vermeintlichen Trennung von Grundlagenforschung und zweckorientierter Forschung, die in den Legendenbildungen und Entlastungskonstrukten der Akteure in der Nachkriegszeit eine wichtige Rolle spielen sollte. Es ist zwar nicht ganz präzise, diese Konstruktionen als „Verantwortungsdiskurs“ zu titulieren, wie Maier es tut – ging es doch vielmehr um ein Hinausstehlen aus der Verantwortung, also um einen Entlastungsdiskurs. Doch zeigt Maier hier in aller Deutlichkeit auf, wie irreführend diese dualistische Entlastungskonstruktion ist, denn es war möglich und auch nötig, Grundfragen der Metallkunde im Kontext der Rüstungsforschung zu bearbeiten, weil die Lösung grundlegender Probleme für die Realisierung der jeweiligen technischen Zielsetzung Voraussetzung war. Dabei bleibt die Darstellung keineswegs auf Institutionsgeschichte beschränkt; die Versuche einer Ideologisierung auch dieser Wissenschaft mithilfe von Formulierungen wie „Deutsche Metallforschung“ und die damit einhergehende Behauptung eines typisch deutschen Forschungs- und Entwicklungsstils wird von Maier gebührend betont.

Die Dissertation von Florian Schmaltz Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus an KWIs bildet in systematischer Hinsicht eine Untergröße der Untersuchung Maiers, auch wenn sie vor dieser erschien und sicherlich nicht so intendiert war. Denn auch Schmaltz übernimmt die von der Berliner Gruppe geprägte, sehr weite Definition des Begriffes „Rüstungsforschung“. Er nimmt jedoch ein anderes Feld und mehrere andere KWIs ins Visier. Wie er zeigt, arbeiteten insgesamt sechs KWIs auf diesem Gebiet, zwei mit eigenen Schwerpunkten und vier mit gelegentlicher Auftragsforschung. Schmaltz hat Neues in allen Fällen zutage gefördert, vor allem jedoch in Bezug auf die Geschichte des KWI für physikalische Chemie und des KWI für medizinische Forschung, beispielsweise über die Entwicklung der Nervengase Tarbun, Sarin und Soman. Dabei holt auch er zuweilen sehr weit aus. Die Vorgeschichte aller Fälle wird in voller Länge einbezogen, die Arbeiten in der IG Farben nehmen 80 Seiten, die Menschenexperimente in KZs weitere 40 Seiten in Anspruch, ohne dass ein enger Zusammenhang zur Arbeit an den genannten KWIs in jedem Fall bestanden hätte. Folglich gerät das Buch eher zu einer Geschichte der Kampfstoffforschung im Nationalsozialismus anhand der KWIs als zu einer Geschichte derselben an ihnen.

Im Ergebnis ergibt sich bei Schmaltz der dem Tenor aller Beiträge der Berliner Gruppe entsprechende Befund, dass auch für dieses Gebiet Kooperationsverhältnisse – verzwickte Interaktionen der KWG beziehungsweise einzelner KWIs mit Industrie und Militär – von entscheidender Bedeutung waren. Dabei wurde auch hier sowohl auf höchster und mittlerer Ebene auf bereits vor 1933 bestehende Netzwerke zurückgegriffen, weshalb die bereits vorhandene dezentrale Organisationsform trotz Ansätzen zur Zentralisierung solcher Forschungen im Heereswaffenamt tendenziell beibehalten werden konnte. Zwei Momente der Diskontinuität arbeitet Schmaltz aber klar heraus. Erstens deutet er die oben bereits erwähnte Vertreibung einer hohen Zahl von als „Juden“ definierten Wissenschaftlern aus den beiden genannten KWIs als strukturelle Voraussetzung für die Einrichtung und Intensivierung der Kampfstoffforschung dort. Zweitens stehen laut Schmaltz alle nachweisbaren Involvierungen in kriminelle Menschenversuche in Verbindung mit Versuchen des SS-„Ahnenerbes“ oder anderen SS-Instanzen, ab Anfang der 1940er Jahre die Kontrolle zu übernehmen. Dabei weist er eine Verbindung mit Menschenexperimenten im Fall Richard Kuhns erstmals nach. Die in Kuhns Institut (mit-)entwickelten Nervengase sind zwar im Krieg nicht eingesetzt, aber großtechnisch produziert worden. Somit stellen Nervengase neben der Peenemünde-Rakete eine weitere, zweifelhafte „Erfolgsgeschichte“ der Kriegsforschung im „Dritten Reich“ dar – eine Erblast, die man auf den Homepages der Nachfolgeinstitute der KWG, jedenfalls zum Zeitpunkt des Erscheinens der Arbeit von Schmaltz, offenbar entweder unterschlagen hat oder dezent zu umschreiben versuchte.

Im letzten Band der Reihe Gemeinschaftsforschung, Bevollmächtigte und der Wissenstransfer (der allerdings aus einem schon 2003 abgehaltenen Workshop hervorging) greifen Maier und andere Autoren den in der großen Monographie Maiers auch erwähnten, bereits vor der NS-Zeit verwendeten Begriff der „Gemeinschaftsforschung“ auf. Die These, dass diese Arbeitsform eine Kontinuität vor und nach 1933 aufweist, wird hier nochmals reichlich belegt. Insgesamt stellt der Band eine wertvolle Ergänzung der Monographie Maiers dar, schließlich werden hier Fallbeispiele aus den KWIs für Eisenforschung, atmosphärische Forschung, Chemie, Physik, Biophysik und Silikatforschung herangezogen. Zusammen genommen mit weiteren hier zitierten Einzelstudien werden somit insgesamt 14 der 18 KWIs in den Bänden der Reihe besprochen. Hervorgehoben seien die Beiträge von Ruth Sime über die Arbeiten Otto Hahns am KWI für Chemie, von Mark Walker zum KWI für Physik und von Rainer Karlsch über das KWI Biophysik. Sie basieren zum Teil auf neuem Material aus dem sogenannten Spezialarchiv – einem Teil des Präsidialarchivs der Russischen Föderation in Moskau, der unter vielem anderen auch Akten aus dem nationalsozialistischen Deutschland enthält. Die Beiträge über einzelne Institute werden umrahmt von zwei Kapiteln von Hachtmann, eines über die Rolle der Generalverwaltung und eine tabellenreiche Studie zur Budgetentwicklung der KWG und ihrer Institute von 1911 bis 1945. Letztere belegt die rasante Expansion der finanziellen Ressourcen der KWG im Krieg.

Zum Verhältnis vergangenheitspolitischer und wissenschaftshistorischer Reflexion

Vor allem zwei Bände der Reihe sind unter dieser Rubrik zu nennen: der als Gedenkbuch bezeichnete, von Rürup unter Mitarbeit von Schüring verfasste Band über die Schicksale und Karrieren der vertriebenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an KWIs, der als einer der letzten Titel der Reihe erschienen ist, und der von Sachse herausgegebene Tagungsband über die Verbindung nach Auschwitz.

Wie Schüring in seiner oben besprochenen Monographie Minervas verstoßene Kinder aufgrund extensiver Recherchen gezeigt hat – und wie frühere Arbeiten von Macrakis und Ute Deichmann im Ansatz bereits angedeutet hatten –, waren die Institute der KWG von der Vertreibung nach 1933 in sehr unterschiedlichem Ausmaß betroffen (Macrakis 1993: 207f., Deichmann 1992: Kap. 1, 2001: Kap. 3). Im Kontext des Projekts zur Geschichte der KWG wird dieser Befund von Schüring, Hachtmann und anderen durchaus zu Recht als Indiz der Offenheit einzelner Disziplinen, Institute oder Institutsdirektoren für ein meritokratisches Rekrutierungsprinzip vor 1933 betrachtet. Für die Betroffenen selbst hingegen ist der Verlust in vielerlei Hinsicht unbestreitbar – eben nicht nur als Verlust eines Arbeitsplatzes und damit eines wissenschaftlichen Arbeitszusammenhangs, an dem die Betroffenen auch emotional hingen, sondern auch als für sie kaum verständliche Absprechung der Zugehörigkeit zur deutschen Kultur wie als persönlicher Verlust im engsten Sinne. Deshalb ist das Gedenken an begangenes Unrecht unbedingt notwendig. Rürup, als Historiker der Juden in Deutschland seit Jahrzehnten bekannt, ist wie kaum ein anderer prädestiniert, die Arbeit dieser Kompilation auf sich zu nehmen. Hier werden biographische Details aus vielen disparaten Quellen zusammengetragen, ohne Anspruch darauf, eine weitergehende These zu ihrer Bedeutung im Gesamtzusammenhang vertreten zu wollen. Das Buch wird nicht umsonst als Gedenkbuch tituliert, wird aber sicherlich als wertvolles Nachschlagewerk zur Verwendung kommen.

Der von Sachse betreute Sammelband ist ein Zwitter, wie die Tagung selbst, aus der er hervorgegangen ist. Er verbindet Beiträge von Gerhard Baader und Rolf Winau zur Geschichte der Menschenexperimente im Allgemeinen, von Gausemeier und Massin zu Verbindungen mehrerer KWIs nach Auschwitz und der Gedankenwelt dahinter mit Statements der – inzwischen gut organisierten – Opfer als Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie des damaligen Präsidenten der MPG, Hubert Markl. Eine Auswahl der im Kontext der Tagung publizierten Presseberichte rundet das Ganze ab. Die Tagung – genauer: die Frage, ob der Präsident eine formale Entschuldigung für die furchtbaren Taten von Wissenschaftlern an KWIs beziehungsweise in Verbindungen mit diesen abgeben würde – hatte erheblichen medialen Wirbel aufgeworfen. Markls Antwort stand bereits im Titel seines Beitrags: Da den jetzigen Akteuren keine persönliche Schuld zukomme und eine Institution als Rechtsperson sich eigentlich nicht entschuldigen könne, sei „die beste Entschuldigung eine Offenlegung der Schuld“. Sein kurz danach vorgetragenes Plädoyer für eine teilweise Lockerung der Begrenzungen humangenetischer Forschung in Deutschland hatte zeitweise den Verdacht entstehen lassen, die Tagung sei als eine Alibiveranstaltung und als Begleitmusik für diese Stellungnahme intendiert gewesen. Nachdem einige Jahre verflossen sind, steht die damalige Erregung vielleicht weniger im Vordergrund, weshalb nach dem Verhältnis der verschiedenen Beiträge im Band zueinander näher gefragt werden kann. Das Ergebnis ist ein Nebeneinander. Es gibt kein Indiz dafür, dass die Betroffenen trotz ihres bekundeten Respekts für die Mühe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler irgendein Interesse für die Ergebnisse der historischen Forschung hätten, und es bleibt unklar, wie die Erinnerungen der Betroffenen ihrerseits – im Gegensatz zu den von Weindling mustergültig aufgearbeiteten Aussagen der Verfolgten nach 1945 – Eingang in die Historie finden können. Anscheinend handelt es sich um zwei Denkstile, die von zwei grundlegend verschiedenen Interessen getragen sind, deren Vermischung zur Klarheit in der Sache wenig beiträgt. Möglicherweise ist dieses Resultat als Indiz für die Schwierigkeit dieser Problematik überhaupt zu deuten.

Schlussfolgerungen

Aus diesen Tausenden gedruckten Seiten so etwas wie ein einheitliches Ergebnis ableiten zu wollen, muss vermessen erscheinen. Gleichwohl möchte ich wesentliche Befunde in acht Punkten formulieren, auf deren Basis es möglich sein könnte, eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach dem Verhältnis von grundlegend neuen Ergebnissen zu Erkenntnissen, die bereits bestehende Ansätze unterstützen, zu formulieren.

Erstens wird, wie bereits erwähnt, die Tatsache, dass die Institute der KWG von der Vertreibung der als Juden definierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach 1933 in sehr unterschiedlichem Ausmaß betroffen waren, im Kontext des Projekts zu Recht als Indiz der Offenheit einzelner Disziplinen, Institute oder Institutsdirektoren für ein meritokratisches Rekrutierungsprinzip vor 1933 betrachtet. Dieser differenzierte Befund ist prinzipiell vergleichbar mit den Ergebnissen, die für die Universitäten und für verschiedene Disziplinen vorgelegt worden sind.Footnote 8 Er relativiert pauschale Behauptungen über einen „Verlust“ für die „deutsche Wissenschaft“ insgesamt in Verbindung mit der Vertreibung der als Juden definierten Wissenschaftler, die zum Teil noch immer im Umlauf sind. Diese ältere Sicht mag für Zwecke der politischen Bildung heute weiterhin nützlich erscheinen, aber sie hatte und hat eine weitere, eher zweifelhafte vergangenheitspolitische Funktion, die langsam selbst eine eigene Historisierung verdient. Denn die Vertreibung wird im öffentlichen Diskurs noch immer als wesentlicher Grund für den relativen Bedeutungsverlust der Wissenschaften in Deutschland im 20. Jahrhundert genannt. Wegen des betonten Verweises darauf konnte lange Zeit aus dem Blickfeld geraten, welche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verblieben und welche Wissenschaft auf welche Weise im Nationalsozialismus nutzbar gemacht werden konnte. Die fortgesetzte Wirkung dieser Redeweise lenkt aber auch davon ab, wie Entscheidungen der deutschen Wissenschaft und Wissenschaftspolitik nach 1945 zugunsten der Entlastung und Neuintegration hunderter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und der darauf folgenden Rekonstruierung und Fortsetzung zum Teil sehr alter Forschungsprogramme zu einer Selbstprovinzialisierung der Forschung beitrugen.

Zweitens wird hier die Vertreibung von als Juden oder als „politisch Unzuverlässige“ definierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nach 1933, dem neueren Forschungsstand ebenfalls entsprechend, nicht allein als Bruch am Anfang des Regimes verdeutlicht – was sie zweifellos auch war –, sondern auch im Hinblick auf ihre strukturelle Bedeutung für die Umgestaltung der Beziehungen von Wissenschaft und Politik im Nationalsozialismus. Schüring und Hachtmann zeigen, dass und wie die Vertreibungen, die lavierenden Anpassungsleistungen 1933 und die Neueinordnung der KWG ins Regime zusammenhingen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis von Schmaltz auf den strukturellen Zusammenhang der Vertreibung mit der Kampfstoffforschung. Demgegenüber stehen zahlreiche Belege einer weitgehenden Kontinuität nicht nur von institutionellen Strukturen, sondern auch von Forschungsprogrammen. Somit steht die bereits in den 1990er Jahren gestellte Frage danach, ob ein Verlust von Wissenschaftlern automatisch und immer zu einem Wissenschaftsverlust führe, weiterhin im Raum.

Drittens sind im Hinblick auf die Bedeutung der Struktur des Regimes insgesamt für die Wissenschaftsorganisation zwei Ebenen zu unterscheiden. Zum Thema Wissenschaftsorganisation heißt Polykratie bei Hachtmann jetzt „charismatisch aufgeladene Polykratie“, und statt Ämterchaos ist nun bei Maier von einer Dynamik durch Konkurrenz die Rede. In gewisser Hinsicht ist dies keine neue Position, sondern eher eine dezidierte Parteinahme für die seit Jahrzehnten vertretenen Auffassungen Karl-Heinz Ludwigs und Trischlers, auch wenn Maier mit mehreren einzelnen Darstellungen Ludwigs kritisch umgeht. Doch vor allem die Arbeiten von Hachtmann und Maier wie auch die Beiträge von Schmuhl und Schmaltz zeigen in überwältigendem Detail genau, wie polykratische Herrschaft im wissenschaftspolitischen Bereich funktionieren konnte, und das ist sicher in diesem Umfang neu. Wichtig ist auch die Relativierung der früher akzeptierten These einer Wende von der versuchten Ideologisierung mehrerer Wissenschaften hin zur Kriegsforschung beziehungsweise „kriegswichtigen“ Forschung in direkter Verbindung mit dem Vierjahresplan. Vielmehr, wie in einigen Bänden der Reihe gezeigt wird, begann diese Umstellung auf der Ebene der Zentrale der KWG sowie in mehreren, wenngleich noch nicht allen Instituten bereits 1933/1934, und die Mobilisierung von Forschungsressourcen und Wissenschaftlern erreichte eine neue Intensität nach der Wende im Kriegsgeschehen um 1943.

Bei alledem hat viertens die Rolle des REM und des Reichforschungsrates (RFR) eine erhebliche Aufwertung erfahren. Die neueren Befunde zur Geschichte der KWG – wie auch die korrespondierenden Ergebnisse aus dem Programm zur Geschichte der DFG – stehen im krassen Gegensatz zur Schilderung Notker HammersteinsFootnote 9, der ganz im Sinne des älteren apologetischen Diskurses die Schwäche des Ministers Rust überbewertet, die polykratische Vielfalt der Förderungs- und Kontrollinstanzen als Zeichen der Ineffizienz auslegt und Nischen einer grundsätzlich harmlosen Grundlagenforschung ausmachen will. Genauer geht es hierbei um die oben bereits erwähnte „Göttinger Clique“ – die Gruppe um Rust, darunter Menzel, Schumann und Thiessen. Ihre Rolle als Intrigant und Fädenzieher ist zwar auch in der früheren Literatur niemals aus dem Blick geraten; ihre zentrale Bedeutung für die Umstellung der Forschungspolitik auf Kriegsvorbereitung wird in mehreren Bänden dieser Reihe deutlich herausgearbeitet, zugleich aber durch den Hinweis auf die ebenfalls entscheidenden Rollen anderer Akteure wie Vögler relativiert.

Fünftens wird in diesen Bänden die Bedeutung des Terminus „Politisierung“ erheblich erweitert. War mit ihr früher im Wesentlichsten eine Ideologisierung wissenschaftlicher Ansätze gemeint, heißt Politisierung hier, ebenfalls der Tendenz der neueren Forschung entsprechend, die verstärkte Vernetzung verschiedener Interessengruppierungen mit dem Staat – genauer: mit technokratisch orientierten Kräften der NSDAP im Staate – im Sinn einer Mitarbeit an politisch zentralen Projekten des Regimes. Wie bereits seit längerem anhand mehrerer Einzelbeispiele aus anderen Zusammenhängen bekannt ist, war eine explizite Ideologisierung der eigenen Wissenschaft oder der Eintritt in die Partei hierfür auch im Fall der KWG nicht erforderlich – im Gegenteil, gerade die „Ideologisierer“ wie Johannes Starck standen in der Wahrnehmung der am Ende entscheidenden Akteure eher im Weg. Dass es sich bei diesen Allianzen um Geschäfte auf Gegenseitigkeit gehandelt hat, ist nun überdeutlich geworden. Somit kommt aber eine zweite Bedeutungserweiterung des Terminus „Politisierung“ zum Vorschein, nämlich auf die innerwissenschaftlichen Machtverhältnisse. Hier sind nach Lektüre der Bände dieser Reihe drei Ebenen zu unterscheiden:

  1. 1.

    die verschiedenen obersten Gremien um die Generalverwaltung der KWG, insbesondere der Senat und der Verwaltungsrat, deren Besetzung vor und nach 1933 so organisiert war, dass die KWG, wie Hachtmann es schön formuliert, „mit sich selbst“ verhandelt;

  2. 2.

    das Verhältnis der Zentrale mit den Institutsleitungen, das von einem ständigen Wechselspiel der Zieh- und Fliehkräfte charakterisiert war;

  3. 3.

    die schon seit Beginn der KWG gesicherte Übermacht der Institutsdirektoren im jeweils eigenen Hause.

So gesehen gewinnt sechstens die Rede einer „Autonomie“ der Wissenschaft in der Diktatur ebenfalls eine veränderte Bedeutung. Wie bereits betont wurde, ist die Frage, ob sogenannte Freiräume für Wissenschaftler bestanden, weniger wichtig geworden als die Frage danach, wie und wofür solche Handlungsspielräume erlangt oder zugestanden wurden. Die Bände der Reihe erbringen zahlreiche Belege der Einbindung von KWIs und ihrer Forschungsprogramme in zentrale politische Projekte des NS-Regimes. Erst in diesem Zusammenhang stellt sich die eigentliche Bedeutung der vielfach auch im NS abgegebenen Bekenntnisse zur Freiheit der Forschung. Nach den unterschiedenen Ebenen durchdekliniert, bedeutete diese vor allem die „Freiheit“ der KWG-Zentrale und auch der Institutsdirektoren, das jeweils eigene Haus so zu bestellen, dass potenziell Nützliches für das Regime entsteht.

Siebtens sind zur Rolle der Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus aufgrund dieser Bände nur sehr bedingt Aussagen möglich. Nur ein Band der Reihe, das hier aus Platzgründen nicht weiter besprochene Buch von Rolf-Ulrich Kunze über Ernst Rabel und das KWI für öffentliches Recht und Privatrecht, behandelt eine Nicht-Naturwissenschaft. Entgegen einer allein gesinnungsbetonten Auffassung der Rolle dieser Disziplinen belegen Kunze wie auch Hachtmann in Teilen ihrer Arbeit, dass solche Disziplinen sehr wohl auch für praktische politische Arbeit vor und nach 1933 funktionalisiert werden konnten. So zeigt Hachtmann zum Beispiel, dass das eben genannte KWI sich der Mitarbeit im Kampf gegen den Versailler Vertrag als Aufgabe schon Anfang der 1920er Jahre verschrieb. Als „einzige Parteibuchkarriere“ im Kontext der KWG im Nationalsozialismus schildert Hachtmann die Ernennung des „alten Kämpfers“ und begeisterten Mussolini-Anhängers Hoppenstedt zum stellvertretenden Direktor der Bibliotheca Hertziana in Rom. Dort betrieb er mit Erfolg die Begründung eines eigenen KWIs für Kulturwissenschaften, dessen Zweck die Verstärkung der kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Diktaturen war. Parallelen zwischen der „Gemeinschaftsforschung“ im Bereich der Rüstungstechnik und Gemeinschaftsprojekten im geisteswissenschaftlichen Bereich, wie sie von Frank-Rutger Hausmann (2007 [1999]) beschrieben worden sind, sind hier leider kaum thematisiert. Sie wären eine nähere Analyse durchaus wert. Allerdings widersprechen die Ergebnisse dieser Literatur wie auch anderer Arbeiten über die Funktionalisierung von Expertenwissen aus den Sozialwissenschaften im Nationalsozialismus der Auffassung Hachtmanns, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften im Regime vernachlässigt worden seien. Die von ihm selbst erstellte, oben erwähnten Tabelle der Budgetausgaben der KWIs belegt für die wenigen geisteswissenschaftlichen KWG-Einrichtungen eine Nettoexpansion ihrer finanziellen Ressourcen im Krieg (bis 1944). Der explosive Mittelzuwachs der natur- und technikwissenschaftlichen Institute zu jener Zeit berechtigt also nicht zum Umkehrschluss einer „Stagnation“ der Geisteswissenschaften.

Achtens wird zur Vergangenheitspolitik der MPG nach 1945 im Allgemeinen ein zu erwartendes Bild nachgezeichnet. Weniger „Verdrängung“ im psychoanalytischen Sinn ist hier festzustellen, sondern eher die bewusste Unterlassung einer reflektierten Betrachtung der Kollaborationsverhältnisse, zunächst unter dem Druck alliierter Verhöre. Selbst ein Nobelpreisträger und Nichtparteimitglied wie Kuhn benimmt sich hier nach Schmaltz wie jeder Angeklagte, der nur so viel preisgibt, was ihm nachgewiesen werden kann. Danach, aber nicht allein deswegen, begann eine zunehmend gezielte diskursive wie institutionelle Neuzuordnung im Kontext der entstehenden Bundesrepublik und deren anders gelagerten Interessen, die sich allerdings mit den seit langem bestehenden strukturellen Machtinteressen und der konservativen Gesinnung der Institutsdirektoren sehr gut verzahnten. Allerdings lassen die hier veröffentlichten eingehenden Aktenforschungen bislang nicht so deutlich gesehene Komplizierungen und Ambivalenzen zutage treten. So wird jetzt beispielsweise sichtbar, dass und wie erst im Verlauf der zehn Jahre nach 1945 der apologetische vergangenheitspolitische Diskurs in Bezug auf die Rolle insbesondere der Naturwissenschaften im Nationalsozialismus Konturen angenommen und sich verhärtet hat, der sich dann bis in die 1980er oder gar in die 1990er Jahre halten konnte und gegen den die jüngeren Forscher dieses Projekts noch immer zu polemisieren für nötig halten. Vielleicht wird diese vergangenheitspolitisch orientierte Haltung begreifbarer – wenn keinesfalls verzeihlicher! –, wenn man nicht nur den mittlerweile erreichten Stand der Forschung bedenkt, sondern sich auch vor Augen führt, wie wenig davon in den Kreisen der heute arbeitenden Vertreterinnen und Vertreter der Natur-, Technik- und Medizinwissenschaft bekannt ist. Immerhin stellen insbesondere die Bände Schürings, Hachtmanns und Maiers in dieser Reihe wichtige Beiträge zu einer Entstehungsgeschichte dieses lange dominanten vergangenheitspolitischen Diskurses dar, die noch zu schreiben ist.

Somit ist als Fazit festzuhalten: Die eingangs kurz beschriebene Umwälzung grundlegender Kategorien, die sich als Konsens der Wissenschaftsgeschichte zum Nationalsozialismus seit den 1980er Jahren herauszubilden und seit den 1990er Jahren zu verfestigen begonnen hat – etwa das interaktive Verständnis von Wissenschaft und Politik als beiderseitige Ressourcenmobilisierung beziehungsweise als Geschäft zum gegenseitigen Nutzen, die aktive Selbstmobilisierung der Wissenschaftler und ihr Zugehen auf Instanzen des Nationalsozialismus bis hin zur Formulierung politischer Ziele durch Wissenschaftler oder Wissenschaftsmanager wie Meyer, die Infragestellung des vermeintlichen Dualismus zwischen angeblich reiner Grundlagen- und angewandter Forschung im Krieg –, hat in diesen Studien eine eindrucksvolle Bestätigung und Vertiefung, aber auch neue Akzentuierungen erfahren.

Wissenschaftsgeschichte und Vergangenheitspolitik

Im ersten Abschnitt dieser Bemerkungen wurde die vergangenheitspolitische Intention der Arbeit der Präsidentenkommission im Sinne einer Neupositionierung der MPG selbst gegenüber der eigenen Vergangenheit kurz besprochen. Angesichts der völlig anders gearteten Wissensbedürfnisse der Medien und des von ihnen bedienten oder gegängelten Publikums bleibt unklar, inwiefern derart detaillierte Studien wie die hier besprochenen zur vergangenheitspolitischen Reflexion wirklich dienlich sein können. Ein großer Teil der Bände dieser Reihe sind ohnehin akademische Qualifizierungsarbeiten, die für ein breites Publikum nicht gedacht sind oder sein können. Ihre oben bereits mehrfach beklagte Überlänge ist nicht der Projektleitung oder den Reihenherausgebern persönlich anzulasten, sondern eher als Symptom einer maßlosen, fast ans Pathologische grenzenden Erweiterung der Ansprüche an solche Arbeiten (und der Autoren an sich selbst) anzusehen, die seit mehreren Jahren vor allem in den Geisteswissenschaften zu beobachten ist. Es ist kaum zu erwarten, dass Nichtwissenschaftler oder gar Nichthistoriker, geschweige denn die naturwissenschaftlich arbeitenden Mitglieder der relevanten MPIs oder gar die Angestellten des Präsidiums der MPG, die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig sind, diese Bände jemals in die Hand nehmen werden. Somit scheint eher die bloße Existenz der Reihe als die darin zur Darstellung gelangten Inhalte als vergangenheitspolitisches Faktum relevant und wichtig. Inwieweit es gelingen kann, wenigstens einige bedeutsame Inhalte dieser verdienstvollen Monographienreihe in verbreitungsfähigere Medien zu übersetzen – oder gar auf der Homepage der betreffenden MPIs anzubringen –, bleibt noch abzuwarten. Bis dies geschehen ist, wird hier wie in so vielen anderen Fällen weniger ein Dialog als ein Nebeneinander von geschichtswissenschaftlichen und vergangenheitskulturellen Diskursen zu konstatieren sein. Für diejenigen, die seit Jahrzehnten in diesem Themenfeld mitwirken, mag dieser Befund zwar traurig, aber kaum überraschend sein.

Angesichts der von vornherein begrenzten zeitlichen Dauer des Unternehmens ist eine ernorme Forschungsleistung zustande gekommen, doch konnte eine Gesamtdarstellung der Geschichte der KWG im Nationalsozialismus nicht zu erwarten sein. Die bereits oben erwähnte Tatsache, dass zugunsten eines thematischen Zugriffs von einer monographischen Behandlung einzelner KWIs mit einigen Ausnahmen abgesehen wurde, lässt die Frage offen, inwieweit diese Befunde für andere Institute stimmen. Somit bleibt also mehr als genug Weiterarbeit auf diesem Themenfeld. Wie oben in Bezug auf den Fall Butenandt bereits angemerkt wurde, wird es allerdings in einer Hinsicht schwer möglich sein, in den nächsten Jahren weiterzukommen, denn viele Ergebnisse der Kommissionsarbeit beruhen auf einem Zugang zu sonst gesperrten Akten im Archiv der MPG. Gleichwohl kann und soll eine überaus positive Bilanz festgehalten werden. Vor allem durch die Bände der Reihe zur allgemeinen Geschichte der KWG ist die Rolle eines der Hauptakteure der deutschen Wissenschaft im Dritten Reich wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überhaupt nun weitaus besser bekannt als je zuvor. Auch einige der weiteren Bände dieser Reihe haben bereits über die engere Betrachtung der Geschichte der KWG hinaus Bedeutung erlangt.

Bezieht man die vorliegenden Ergebnisse der Veröffentlichungsreihe zur Geschichte der DFG mit ein, insbesondere die 2008 erschienene, in einigen der vorliegenden Bände im Vorfeld bereits zitierte Arbeit von Sören Flachowsky zur Geschichte der Notgemeinschaft und des RFR (Flachowsky 2008), so steht nun auch ein zweiter institutioneller Akteur als weitgehend, wenngleich keinesfalls vollständig bearbeitet da. Über einige weitere prominente außeruniversitäre Forschungsinstitutionen wie das „SS-Ahnenerbe“ oder das „Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands“ liegen zum Teil seit langem fundierte Arbeiten vor. Neuerdings sind Studien zur damals so genannten „Gegnerforschung“ – wissenschaftliche Forschung in politischer Absicht über Gruppen, die im Nationalsozialismus als Feinde auserkoren wurden, insbesondere, aber nicht nur die Juden – hinzugekommen (Rupnow 2006). Im Vergleich hierzu hat die universitäre Seite der NS-Wissenschaftsgeschichte trotz einer Reihe beachtlicher Leistungen in Einzelfällen jetzt Beträchtliches nachzuvollziehen und zu berücksichtigen. So fragt sich beispielsweise, inwiefern sich eine traditionelle Fachgeschichtsschreibung angesichts der nun nachgewiesenen Bedeutung der „Gemeinschaftsforschung“ sowohl in den Natur- und Technik- wie auch in den Geisteswissenschaften überhaupt noch halten lässt.

Mitteilung der Redaktion

Dieser Beitrag überschreitet deutlich die übliche Länge einer Sammelrezension. Die Redaktion hat sich entschieden, ihn dennoch ungekürzt zu veröffentlichen, da wir der Meinung sind, dass die Beiträge des Forschungsprogramms, über das hier berichtet wird, nicht nur den Wissensstand zum Thema entscheidend bereichert haben, sondern auch Maßstäbe für künftige Forschungen zur Wissenschaftsgeschichte des Nationalsozialismus setzen.