Zusammenfassung
Wenn man als Zweck der Ehe nicht in erster Linie die Förderung staatlicher Interessen, sondern der geistigen und leiblichen Wohlfahrt der Gatten betrachtet, kann man nicht in Abrede stellen, daß diese Institution in ihrer bisherigen Gestaltung ihren Zweck in sehr mangelhafter Weise — manche mögen behaupten, überhaupt nicht — erfüllt hat. Dieser Sachverhalt hat in den letzten Dezennien zur Veröffentlichung einer Flut von Schriften geführt, die sich mit der Reform der Ehe oder der sexuellen Verbindungen überhaupt (Sexualreform) beschäftigten. Je nachdem man die vorhandenen Mißstände auf die Eheinstitution in ihrer gegenwärtigen Form oder einzelne besondere, mit ihr verknüpfte Rechtsverhältnisse oder die zur Zeit bestehende wirtschaftliche Lage der Massen (unser wirtschaftliches System) oder seelische Eigenschaften der Menschen zurückführen zu können glaubte, wechselten die Reformideen.
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Literatur
Die Vertreter der freien Ehe übersehen gewöhnlich, daß, wenn sie auch auf jede Intervention staatlicher Organe bei der Schließung der Ehe an sich verzichten wollen, sie dennoch behufs Beurkundung derselben der Inanspruchnahme öffentlicher Organe nicht entraten können. Ohne solche würde sich beim Ableben eines Teiles ein Erbrecht des überlebenden Partners und der Kinder schwer feststellen lassen. Mit der Beurkundung der freien Ehe fällt aber der wesentliche Unterschied derselben von der jetzigen bürgerlichen Ehe, wenn bei dieser die freie Scheidung zugelassen wird, hinweg.
Daß die bisherige staatliche Fürsorge in dieser Richtung, die sich im wesentlichen auf den Zwang zur Anteilnahme an dem konfessionellen Religionsunterrichte beschränkte, völlig ungenügend war, lehren die Erfahrungen der jüngsten Zeit in nur zu deutlicher Weise. Es sei hier daran erinnert, daß schon Fichte in seinen „Reden an die deutsche Nation 1907/08“ mit seinem Vorschlage einer deutschnationalen Erziehung des ganzen Volkes sich zunächst an die gebildeten Kreise wandte, von denen er erwartete, daß sie das von ihm ausgedachte Erziehungssystem bei den Massen zur Anwendung bringen würden.
Die Auffassungen über die natürliche moralische Veranlagung des Kulturmenschen gehen bekanntlich erheblich auseinander; Optimismus wie Pessimismus haben ihre Vertreter. So bemerkt Herbert Spencer in seiner Schrift über die Erziehung (deutsche Ausgabe S. 96): „Wir gehören nicht zu denen, die an Lord Palmerstone’s Dogma glauben, daß „alle Kinder von Haus aus gut sind“. Im ganzen genommen scheint uns das Gegenteil, so unhaltbar es ist, weniger weit von der Wahrheit entfernt zu sein.“
Thal: Das Christentum und die moderne Frauenbewegung. Il. Christliche Ehe und Ehe der Zukunft. Breslau 1904.
Die Erhaltung und Mehrung der deutschen Volkskraft. Vorträge und Aussprachen, gehalten bei der Tagung in München am 27. und 28 Mai 1918, S. 95.
Es ist wahrscheinlich, daß in den letzten Jahren weitere Staaten der nordamerikanischen Union in der gleichen Weise vorgegangen sind, doch ist mir hierüber nichts Bestimmtes bekannt geworden.
Das System völliger Gütertrennung bestand vor Einsführung des BGB. ebenfalls schon in einzelnen Gebieten de deutschen Reiches und außerhalb Deutschland in Österreich, Italien seit 1883, Rufeland, Griechenland etc.
Hierfür sei nur ein Beispiel angeführt, dessen Kenntnis wir einem befreundeten Rechtsanwalte verdanken. Die Gattin eines Herrn X. hatte in Erfahrung gebracht, daß der größere Teil ihres bedeutenden in die Ehe eingebrachten Vermögens durch die Mißwirtschaft ihres Mannes verloren gegangen war. Diese Sachlage veranlaßte sie, mit einem Anwalte in Verbindung zu treten, um über die zur Sicherung des noch vorhandenen Vermögensrestes einzuleitenden Schritte sich zu beraten. Der Anwalt empfahl der Dame, zunächst ihm ihren Gatten behufs Rücksprache mit demselben zu senden. Der Gatte erschien auch bei dem Anwalte und erklärte, nachdem er die Darlegung desselben vernommen hatte, daß er zunächst noch mit seiner Frau Rücksprache nehmen wolle, womit der Anwalt einverstanden war. Allein „weder Roß, noch Reiter sah man jemals wieder“. Die Frau hatte sich offenbar von ihrem Gatten bereden lassen, die beabsichtigten, zur Sicherung des noch vorhandenen Vermögensrestes erforderlichen Schritte zu unterlassen. Gegen die Folgen derartigen Unverstandes kann keine Gesetzgebung eine Frau schützen.
Die vermögensrechtlichen Bestimmungen galten für die Fälle gerichtlicher Scheidung aus Verschulden eines Ehegatten nach sogen. gemeinem Rechte und vielen Partikularrechten bis 1900.
Ein Beispiel mag das oben Angeführte illustrieren. Die junge, sehr temperamentvolle Gattin eines Großindustriellen, die in meiner Behandlung stand, teilte mir mit, daß ihr der sexuelle Verkehr mit ihrem Gatten, an dessen Zuneigung nicht zu zweifeln war, keinerlei Befriedigung verschaffe. Dieser Umstand war mir auffällig, da die Antezedentien der Dame und ihr Temperament dafür sprachen, daß es sich bei ihr nicht um eine durch Veranlagung bedingte sexuelle Anästhesie handle. Die weiteren Mitteilungen der Dame erklärten den Sachverhalt zur Genüge. Sie berichtete, daß ihr Gatte seine Zärtlichkeiten auf den Geschlechtsakt beschränke, was sie in ihrem Innern tief verletzte und bei ihr eine Mißstimmung gegen den Gatten erzeugte, die sich zweifellos auch beim ehelichen Verkehr geltend machte und den Eintritt der Befriedigung verhinderte. Die Frau war zu stolz, ihrem Gatten von dem, was sie entbehrte, Kenntnis zu geben, und dieser hatte keine Ahnung von den Folgen seines Benehmens. Er bedauerte es lebhaft, nachdem er die nötigen Aufklärungen durch mich erhalten hatte.
Balzac, dessen Werk „Physiologie der Ehe“, trotz seines scherzhaften Charakters manchen recht beachtenswerten Gedanken enthält, bemerkt darin u. a., daß ein Mann sich nie einen Genuß bei seinem Weibe verschaffen dürfe, den er nicht vorher verstanden hat, seinem Weibe begehrenswert zu machen.
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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
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© 1919 J. F. Bergmann
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Loewenfeld, L. (1919). Die Wege zur Förderung des ehelichen Glücks. In: Über das Eheliche Glück. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99252-0_3
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