Zusammenfassung
Europa erlebt seit 1945 eine der längsten Friedensperioden in seiner Geschichte. Obwohl sich mehr als vier Jahrzehnte lang die Schnittlinie der ideologisch und machtpolitisch konkurrierenden Weltmächte mitten durch Europa zog, obwohl es eine Grenze zwischen weltanschaulich grundverschiedenen Systemen war und obwohl sich hier wie nirgendwo sonst die hochgerüsteten Armeen des Warschauer Pakts und der Atlantischen Allianz unmittelbar gegenüberstanden, ist dies — auch trotz wiederholter schwerwiegender Krisen um Berlin und in Osteuropa — eine Insel der Stabilität in einer von zahlreichen Kriegen geprägten Welt gewesen. In Westeuropa wurde diese Stabilität zudem von Freiheit und bislang ungekanntem Wohlstand begleitet.
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Literatur
Diese Ansicht wurde in den sechziger Jahren von einigen sogenannten revisionistischen Geschichtsschreibern des Kalten Krieges in Frage gestellt. Nach ihrer Auffassung war die Sowjetunion niemals offensiv und konnte es wegen eigener Schwäche auch gar nicht sein. Vgl. hierzu etwa Gar Alperovitz, Atomic Diplomacy: Hiroshima and Potsdam. The Use of the Atomic Bomb and the American Confrontation with Soviet Power, New York 1965;
Herbert Aptheker, American Foreign Policy and the Cold War, New York 1962;
Denna Fleming, The Cold War and its Origins, Garden City 1961;
Lloyd C. Gardner, Architects of Illusion. Men and Ideas in American Foreign Policy 1941–1949, Chicago 1970;
David Horowitz, The Free World Colossus. A Critique of American Foreign Policy in the Cold War, New York 1965;
Gabriel Kolko, The Politics of War. The World and United States Policy, 1943–1945, New York 1968;
Joyce and Gabriel Kolko, The Limits of Power. The World and United States Policy, 1945–1954, New York 1972. Kritisch mit der revisionistischen Schule setzt sich Robert Maddox auseinander, der insbesondere auf die wissenschaftlichen Mängel dieser Schule eingeht;
vgl. Robert J. Maddox, The New Left and the Origins of the Cold War, Princeton 1973. Eine zusammenfassende, kritische Erörterung findet sich ebenfalls bei Ernst Nolte, Deutschland und der Kalte Krieg, München 1974, S.33f. Die Thesen der Revisionisten waren aus wissenschaftlicher Sicht immer zweifelhaft; jetzt, nachdem die Sowjetunion selbst ihre jahrelange offensive außenpolitische Orientierung zugegeben und kritisiert hat, sind sie wohl nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Vgl. hierzu etwa Norbert Wiggershaus, Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag 1950, und Roland G. Foerster, Innenpolitische Aspekte der Sicherheit Westdeutschlands 1947–1950, beide in: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956, Bd. 1, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, München-Wien 1982, S. 325ff. u. S. 403 ff.
Als beispielhaft in der Bundesrepublik Deutschland seien hier etwa die Arbeiten von Dieter Senghaas genannt, Abschreckung und Frieden. Studien zur Kritik organisierter Friedlosigkeit, Frankfurt 1969; Aggressivität und Gewalt: Thesen zur Abschreckungspolitik, in: Herbert Marcuse u.a., Aggression und Anpassung in der Industriegesellschaft, Frankfurt 1968, und Zur Analyse von Drohpolitik in den internationalen Beziehungen, in: Jahrbuch für Friedens- und Konfliktforschung, Bd. 1, Düsseldorf 1971, S. 89–132. Im wesentlichen verbindet sich diese Diskussion mit der damals aufkommenden »kritischen Friedensforschung«, vgl. dazu Dieter Mahncke, Friedensforschung, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, Opladen 19904, S. 190–197.
Als Ergebnis dieser Debatte ist der von der NATO 1967 offiziell angenommene Harmel-Bericht anzusehen, in dem das eigentlich Selbstverständliche formuliert wurde: nämlich daß auf der Grundlage fortbestehender Verteidigungsbereitschaft eine Entspannung des Ost-West-Verhältnisses und politische Konfliktregelungsmöglichkeiten angestrebt werden sollten. Fortgeschrieben wurde dieses in dem umfassenden Gesamtkonzept für Abrüstung und Rüstungskontrolle, das von allen NATO-Staats- und Regierungschefs im Mai 1989 verabschiedet wurde. Siehe ferner die Londoner Erklärung der NATO vom 6.7. 1990, in: Bulletin, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 10. 7. 1990, S. 777–779.
Vgl. hierzu Karl Kaiser, Der Zerfall des sicherheitspolitischen Konsenses in der Bundesrepublik Deutschland. Die Entwicklung der Diskussion in den achtziger Jahren, in: Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen/Hans-Helmuth Knütter/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Demokratie und Diktatur. Geist und Gestalt politischer Herrschaft in Deutschland und Europa (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 250), Bonn 1987, S. 476ff.
Vgl. hierzu etwa Henry Kissinger, Nuclear Weapons and Foreign Policy, New York 1958; sowie Robert E. Osgood/Robert W. Tucker, Force, Order, and Justice, Baltimore 1967.
Letzteres ist nirgendwo so eindeutig nachweisbar wie in vielen Schulbüchern der siebziger Jahre, die zugleich eine Ursache für diese Entwicklung waren. In den die internationale Politik betreffenden Teilen vermittelten sie häufig ein realitätsfernes, idealistisches Weltbild, in dem alles Negative, sei es bei der Friedenssicherung oder in der Entwicklungspolitik, lediglich Folge bösen Willens, zumindest aber eines Mangels an gutem Willen war. Generationen von Schülern wurden entlassen, denen von ihren, einer »emanzipatorischen Erziehung« verpflichteten Lehrern suggeriert worden war, daß Rüstung nur der Rüstungsindustrie nütze und Frieden nur eine Frage des guten Willens sei. Vgl. hierzu Dieter Mahncke, Grundfragen der internationalen Beziehungen und der Friedenssicherung, in: Manfred Hättich u. a., Die politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Politik und Geschichtsbüchern, Melle 1985, S. 351–407.
Vgl. Dieter Mahncke, Alternativen zur nuklearen Abschreckung als Grundlage europäischer Sicherheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/86, S. 3–13.
Möglicherweise ändert sich dies aber wieder. Als Beispiel für eine alternative Strategie, bei der der Wert nuklearer Abschreckung aufrechterhalten wird, vgl. Albrecht A. C. von Müller, Conventional Stability 2000. How NATO Could Regain the Initiative, in: Armand Clesse/Thomas C. Schelling (eds.), The Western Community and the Gorbachev Challenge, Baden-Baden 1989, S. 332–341. Interessant ist auch die Ausarbeitung von Hans-Dieter Lemke, Militärische Stabilität durch Überlegenheit der Verteidigung, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen 1989.
Man erinnere sich an das von Carl Friedrich von Weizsäcker, in dessen Gefolge sich die meisten der deutschen Alternativen bewegen, herausgegebene Diktum: »Der Dritte Weltkrieg ist wahrscheinlich«.
Vgl. D. Senghaas, Abschreckung und Frieden (Anm. 3).
Vgl. hierzu wie zu dieser Problematik insgesamt die überzeugende (und nach wie vor gültige) Kritik von Josef Joffe, Abschreckung und Abschreckungspolitik, in: Jahrbuch für Friedens- und Konfliktforschung (Anm. 3), 134–157, hier S. 147.
Für die Marine vgl. etwa die umfassende Untersuchung von Jürgen Rohwer, Strategische Konzepte und Schiffsbauprogramme der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion seit 1945 unter Berücksichtigung Großbritanniens und Frankreichs, in: Dieter Mahncke/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Seemacht und Außenpolitik, Frankfurt 1974, S. 191–259.
Vgl. hierzu die Darlegung von J. Joffe (Anm. 12), S. 144.
Peter Barth, Abschreckung, in: Eckehard Lippert/Günther Wachtier (Hrsg.), Frieden. Ein Handwörterbuch, Opladen 1988, S. 35.
J. Joffe (Anm. 12), S. 137.
Die Glaubwürdigkeit der Abschreckung — im Verhältnis zur Selbstabschreckung — hängt wahrscheinlich auch mit den beteiligten Potentialen zusammen: Vermutlich schrecken sich zwei Große gegenseitig eher ab als ein Kleiner den Großen (eine Frage der Absorptionsfähigkeit), und ein Nuklearpotential mit mehreren Optionen wirkt abschreckender als ein kleines Potential, das nur eine Option androhen kann.
Dies ist z. B. die Edward Teller zugeschriebene Auffassung in dem für diese Frage durchaus anregenden Schauspiel von Heinar Kipphardt, »In der Sache J. Robert Oppenheimer«.
J. Joffe (Anm. 12), S. 154ff.
Eine der differenziertesten Erörterungen der ethischen Probleme nimmt Ernst J. Nagel vor, Frieden sichern — Frieden fördern. Anmerkungen zum Dienen im nuklearen Zeitalter aus der Sicht der katholischen Sozialethik, hektogr. Ms. Vgl. ferner die umfangreiche von Uwe Nerlich und Trutz Rendtorff herausgegebene Studie: Nukleare Abschreckung. Politische und ethische Interpretationen einer neuen Realität, Baden-Baden 1989.
Eine neuere und differenzierte Analyse des Begriffs »Feindbilder« findet sich bei Rolf Breitenstein, »Feindbilder« als Problem der internationalen Beziehungen, in: Europa-Archiv, (1989), S. 191–198, sowie in dem umfassenden Sammelband von Günther Wagenlehner (Hrsg.), Feindbild. Geschichte — Dokumentation — Problematik, Frankfurt 1989.
Siehe etwa den Bericht Americans are Warming to Soviet Union Poll Finds, in: New York Times vom 3. Dezember 1989. Gewiß könnte argumentiert werden, daß diese Feindbilder zwar nicht in der gesamten Bevölkerung, aber doch bei der politischen und militärischen Elite vorhanden seien. Das stünde aber im Widerspruch zu dem Argument, daß ein solches Feindbild eben zur Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckungsdrohung in der Bevölkerung insgesamt gehöre. Außerdem ist es nur schwer vorstellbar, daß ein solches Feindbild in einer Demokratie auf die Dauer gegen die Auffassung der Bevölkerung durchzuhalten wäre; vgl. etwa Klaus Naumann, Krieg ist in einer Demokratie nicht mehrheitsfähig, in: PZ (hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung), Nr. 58 / September 1989, S. 14f.
Vgl. hierzu z.B. die Darlegungen zur Legitimation der Streitkräfte Frankreichs und der Schweiz von Dominique Dennachioni, Der Nation dienen, und Bruno Lezzi, Frei sein und bleiben, in: Der Mittler-Brief, 3. Quartal 1989, S. 5–8.
Vgl. hierzu etwa Dieter Zirkel, Feindbild im Politunterricht und in der Gefechtsausbildung der Nationalen Volksarmee, in: G. Wagenlehner (Anm. 21), S. 147–174. Trotz der freundlichen Überschrift strotzt auch ein neuerer Beitrag aus der DDR noch von »Feindbildern«: B. Friedland, Zum Abbau von Feindbildern, in: Militärwesen, 5/1989, S. 22–27.
Vgl. hierzu den allerdings kritischen Aufsatz von Hans Rühle, Es gibt keine »Akzeptanzkrise« deutscher Sicherheitspolitik, in: Die Welt vom 12. Januar 1989.
Eben deswegen reagiert die Bevölkerung in Demokratien oft so harsch, wenn sie rüde aus ihren Hoffnungen erweckt wird; vgl. etwa die Reaktion der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges.
Ob dies »auf die Dauer« überhaupt möglich wäre, werden viele angesichts der menschlichen Grundverfassung bezweifeln. Ist das Paradies auf Erden zu erreichen? Oder wird der Mensch sich nicht stets und solange er Mensch ist aufs neue um Annäherungen mühen müssen? Man darf bei aller Skepsis diese Frage nicht leichtfertig beantworten, denn: Genügen Annäherungen im nuklearen Zeitalter noch?
Vgl. hierzu die Studie von Robert E. Osgood, einem der Doyens der Analyse militärischer Macht, in: R. E. Osgood/R. W. Tucker (Anm. 6).
Vgl. Thomas Schelling, Arms and Influence, New Haven 1967.
Wenn am 26. November 1989 rund ein Drittel der Schweizer Bürger in einer Abstimmung für die Abschaffung der schweizerischen Streitkräfte plädiert haben, dann gewiß nicht, weil sie für eine Abschaffung schweizerischer Souveränität wären, sondern weil sie eine militärische Bedrohung der Schweiz für geringfügig erachten.
Vgl. hierzu etwa Ulrich de Maizière, Zur politischen und ethischen Legitimation der Verteidigung, in: Hartmut Bühl/Friedrich Vogel (Hrsg.), Wehrdienst aus Gewissensgründen. Zur politischen und ethischen Legitimation der Verteidigung, Herford 1987, S. 47–54.
Bemerkenswerterweise scheint diese Einstellung auch auf die Beurteilung von Polizeieinsätzen abgefärbt zu haben: Für viele sollen diese lediglich die Friedlichkeit von Demonstrationen wahren, nicht aber unberechtigte Demonstrationen verhindern, Eigentum schützen oder die Rechte Unbeteiligter wahren.
Vgl. hierzu und zum folgenden auch Manfred Bertele, Probleme und Perspektiven nuklearer Abschreckung (Schriften der Arbeitsgemeinschaft für internationale Politik e.V., Bd. 4), Bonn 1989.
Problematisch wäre aber auch eine Strategie vornehmlich nuklearer Abschreckung, wie die NATO sie — jedenfalls im Prinzip — schon einmal in den fünfziger Jahren hatte und wie sie tendenziell von Frankreich verfolgt wird. Dabei gibt es vor allem zwei Probleme: Erstens ist es fragwürdig, ob die Drohung, Europa auch im Falle eines begrenzten konventionellen Angriffs der Gefahr eines nuklearen Chaos auszusetzen, ausreichende Glaubwürdigkeit besitzt (und somit schon in Krisensituationen wirksam wäre), und zweitens wäre die Bundesrepublik Deutschland als ein Land ohne eigene Nuklearwaffen noch stärker als bisher von der Zusage eines anderen Staates abhängig, was das Problem der Glaubwürdigkeit weiter erschweren würde.
Vgl. hierzu Dieter Mahncke, Nukleare Mitwirkung. Die Bundesrepublik Deutschland in der Atlantischen Allianz 1954–970, Berlin — New York 1972.
Vgl. Anm. 4.
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Mahncke, D. (1990). Die Legitimation bewaffneter Friedenssicherung. In: Sarcinelli, U. (eds) Demokratische Streitkultur. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-92130-7_11
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